© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Meldungen

Eine Welt, die Gott nicht mehr vermißt

BERLIN. Unlängst hat sich der Berliner Philosoph Herbert Schnädelbach mit seinen Thesen über die kulturhistorisch verhängnisvolle Wirkung des Christentums ins Gespräch gebracht. Das war keine schlechte Empfehlung, um auch als Nietzsche-Interpret mitreden zu dürfen. Unter dem Titel "Nietzsche und die Metaphysik des 20. Jahrhundert" (Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 1/01) präsentiert der Adorno-Schüler nun seine Einsichten als Vorabdruck eines Beitrags für den Band "Zeitenwende – Wertewende", in dem alle Referate einer internationalen Tagung zu Nietzsches 100. Todestag erscheinen werden. Schnädelbach meint, daß mit der Wendezeit um 1990 nicht nur das politische, sondern auch das philosophische Jahrhundert zu Ende gegangen sei. Nietzsches "Gott-ist-tot"-Diagnosen lösen keine existenzielle Erschütterung mehr aus. "Wir leben in einer Welt, in der Gott nicht einmal mehr vermißt wird." Der alles beherrschende, allein an psychischer "wellness" ausgerichteter Eudämonismus findet darum Schnädelbachs Zustimmung. Irritiert zeigt sich der Philosoph nur durch den Tatbestand, daß in einer Welt, für die das Wahrheitsthema selbst irrelevant geworden ist, plötzlich "ethnozentrische" nicht mehr durch "objektive" Wahrheit in die Schranken gewiesen werden kann.

 

Juristische Klassiker: Gebetsruf und Kopftuch

MÜNCHEN. Norbert Janz und Sonja Rademacher, zwei Potsdamer Nachwuchskräfte auf dem Feld des öffentlichen Rechts, machen eine Entdeckung: Die islamische Religion beschäftigt zunehmend die deutsche Justiz (Juristische Schulung, 5/01). Die inzwischen "klassischen Problemstellungen", die das Erstarken des Islam im ursprünglich christlich geprägten deutschen Staat aufgeworfen hat, sind mit den Stichworten Schächtung, koedukativer Sportunterricht, islamischer Religionsunterricht und Körperschaftsstatus für islamische Vereinigungen unvollständig aufgezählt. Der "muslimische Gebetsruf" sei gerade dabei, sich in die Reihe dieser "Klassiker" einzureihen. Janz und Rademacher thematisieren in diesem Kontext zwei "Kopftuch"-Entscheidungen. Die eine gegen zwei iranische Frauen, die sich nicht mit dem Schleier fotografieren lassen wollten, um ihre Abschiebung zu verhindern, die andere gegen jene Stuttgarter Lehramtsanwärterin, die auch im Unterricht auf ihr Kopftuch nicht verzichten wollte. In beiden Fällen haben Verwaltungsgerichte die Grenzen der grundgesetzlichen Religionsfreiheit aufgezeigt. Trotzdem sei abzusehen, daß gerade diese Problematik in Zukunft in Rechtsprechung und Literatur Konjunktur haben wird.

 

EU kein Vorbild für Asiens Integration

BERLIN. Der europäische Weg der wirtschaftlichen und politischen Einigung stehe Asien wegen großer struktureller Unterschiede nicht offen. Diese These vertritt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, in einem China und seinen Nachbarn gewidmeten Themenheft der Zeitschrift Internationale Politik (4/01). In Asien haben Japan, China und Indien eine natürliche Anspruchshaltung auf Hegemonie. Japans Weg zur wirtschaftlichen Vorherrschaft scheine aber seit zehn Jahren gebrochen. China, auf dem Weg zur Weltmacht, benötige mindestens nich zwanzig Jahre zur asiatischen Vorherrschaft. Und der "schlafende Elefant" Indien, das über einen breiten gebildeten Mittelstand verfüge, werde durch innere Uneinigkeit und den immer noch nicht überwundenen Analphabetismus behindert. Asiens Integration werde also frühestens um 2020 durch China ermöglicht werden können. Allerdings nur, wenn es nach westlichem Muster so "weltoffen" gestaltet sei, daß es noch andere "Götter" neben sich gelten lassen werde.


 
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