© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Mit geballter Feder
Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Max von der Grün
Werner Olles

Max von der Grüns Bücher, vor allem seine frühen Werke, sind auf den ersten Blick eine grandiose Verteidigung des proletarischen Ethos. Seine Helden aus der Arbeiterklasse, einer Spezies, die in den letzten Jahrzehnten von der zunehmend stärker werdenden Dienstleistungsbranche eingekreist wurde und nun von der Globalisierungswelle gänzlich verdrängt wird, beschreibt er so detailliert und authentisch, weil er das Leben, das sie zu führen gezwungen sind, am eigenen Leib erfahren hat.

Am 25. Mai 1926 in der Wagner-Stadt Bayreuth geboren, geriet der knapp Neunzehnjährige bei Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft. Nach einer Maurerlehre arbeitete er zunächst im Baugewerbe und schlug sich anschließend zwölf Jahre bis 1963 auf einer Zeche in Unna als Grubenarbeiter durch. Ein schwerer Arbeitsunfall unter Tage zwang ihn damals zu einer Umschulung zum Grubenlokomotivführer. Noch während dieser Tätigkeit gründete er gemeinsam mit Fritz Hüser einen Arbeitskreis, der sich kritisch-literarisch mit der modernen Arbeitswelt und dem Einfluß der Technik auf die Menschen, die diesem Arbeitsprozeß unterworfen sind, auseinandersetzte. Aus diesem Arbeitskreis konstituierte sich wenig später mit Max von der Grün als Mitbegründer die legendäre Dortmunder "Gruppe 61".

Nachdem er seinen ersten Roman "Männer in zwiefacher Nacht" (1962) herausgebracht hatte, ließ sich von der Grün als freier Schriftsteller nieder. Bereits das zweite Buch "Irrlicht und Feuer" (1963) wurde ein großer Erfolg. Exemplarisch stellt er hier die Gefahren der Arbeit unter Tage dar und solidarisiert sich mit den von der kapitalistischen Gesellschaft ausgebeuteten Arbeitern und ihren Familien, deren Alltagswelt er eindringlich skizziert. Dabei nimmt die Schilderung der zunehmenden Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit durch die Automatisierung breiten Raum ein. Die bedrückende Atmosphäre in den Gruben und Fabrikhallen, aber auch die Probleme, welche die gemeinsame Berufstätigkeit von Mann und Frau für die Familie mit sich bringt, schildert der Autor dabei mit großem Engagement und mit einer Detailtreue, die an romanisch-neorealistische Vorbilder erinnert.

Max von der Grüns Kritik gilt jedoch keineswegs nur dem kapitalistischen System. Mit der gleichen Vehemenz wendet er sich auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie, deren Aktivitäten er scharf kritisiert, weil deren Verzahnung und Verfilzung mit politischen und wirtschaftlichen Interessen in Wahrheit gar keine wirksame Verteidigung der Lebensinteressen arbeitender Menschen mehr zuläßt. In "Zwei Briefe an Pospischiel" (1968) tritt diese konsequente Haltung des Autors besonders klar hervor. Sein Protagonist bekommt zuerst mit aller Härte die Allmacht des Konzerns zu spüren und wird dann, als er die Solidarität "seiner" Gewerkschaft dringend benötigt, von dieser schmählich im Stich gelassen.

Gute Kritiken bekam auch "Stellenweise Glatteis" (1973), während sein Roman "Die Lawine" (1986), in dem er die Utopie eines von den Arbeitnehmern geleiteten Betriebes schildert, von vielen Kritikern als "zu politisch" abqualifiziert wurde. In seinem bislang letzten Buch "Springflut" (1990) thematisiert von der Grün die Vorurteile und Phobien der Westdeutschen gegenüber rußlanddeutschen Spätaussiedlern und Bürgern der früheren DDR, wobei er schonungslos die übersättigte Wohlstandsgesellschaft, die nur noch an Fernreisen, teuren Autos und seichten Vergnügungen interessiert ist, an den Pranger stellt.

Am 25. Mai feiert Max von der Grün, dessen Gesamtwerk eine neue gesellschaftliche Dimension in die deutsche Nachkriegsliteratur hineingetragen hat, seinen 75. Geburtstag.


 
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