© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Bürgerentscheid stoppt Privatisierung
Düsseldorf: Kein Stadtwerke-Verkauf in der Landeshauptstadt /Trinkwasserqualität im Wettbewerb gefährdet
Martina Kempf

Eine Sensation gab es in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf. Durch einen Bürgerentscheid am 20. Mai konnte ein vom Rat bereits beschlossener Verkauf der Stadtwerke abgewendet werden – zur Überraschung des CDU-Oberbürgermeisters Joachim Erwin.

Vor der Problematik eines Stadtwerke-Verkaufs stehen derzeit viele Kommunen, insbesondere, wenn sie verschuldet sind. Doch die Privatisierungen der deutschen Wasserwirtschaft sind bisher von der überregionalen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt vonstatten gegangen. Neben deutschen Energieversorgern wie dem RWE drängen in Deutschland britische, französische und amerikanische Konzerne auf die Einverleibung der Daseinsvorsorge mit Energie und Wasser. So wurden etwa in Berlin und Bremen die Stadtwerke aus der kommunalen Hand in die Privatwirtschaft gegeben. Dies war auch das Ziel der CDU/FDP-Mehrheit im Düsseldorfer Rat. Ende letzten Jahres beschlossen beide Fraktionen den Verkauf der Aktienmehrheit. Bisher hält die Stadt Düsseldorf 80 Prozent der Anteile an den Stadtwerken, die restlichen 20 Prozent hat das RWE Essen inne. Nun wollte OB Erwin 54,9 Prozent der stadteigenen Anteile verkaufen. Dies rief in der Bevölkerung Empörung hervor, schnell wurden die erforderlichen Unterschriften für ein Bürgerbegehren gesammelt. Die Unterzeichner sprachen sich dafür aus, daß mindestens 50,1 Prozent der Aktienanteile in der Hand der Stadt Düsseldorf verbleiben sollten. Da der Rat dem nicht entsprach, führte der Weg zum erstmaligen Bürgerentscheid in der Geschichte der Stadt.

Folgendes stand zur Entscheidung: "Soll die Landeshauptstadt Düsseldorf einen bestimmenden Einfluß (mindestens 50,1 Prozent) auf die Stadtwerke Düsseldorf AG erhalten und über die Mehrheit der Anteile an den Stadtwerken entgegen dem Ratsbeschluß vom 9. November 2000 weiterhin verfügen?". Diese in "Juristendeutsch" formulierte Frage beantworteten neun Zehntel der an der Wahl teilnehmenden Bürger der Stadt mit "Ja". Die Anteilsmehrheit an den Stadtwerken bleibt in kommunaler Hand.

Die CDU/FDP-Mehrheit im Rat war für einen Verkauf der Stadtwerke gewesen, da das Kommunalunternehmen nur mit einem neuen Partner künftig auf dem Energiemarkt bestehen könne. Der Erlös sollte Schulden abbauen und sozialen Bereichen sowie der Bildung zugute kommen. Das Bürgerbegehren hingegen wurde gemeinsam von Gewerkschaften, der SPD, den Grünen, der PDS, den Republikanern sowie Sportlern, Künstlern und Pfarrern getragen. Sie führten folgende Argumente gegen einen Verkauf ins Feld: Die Stadtwerke arbeiteten gewinnbringend und seien ein kerngesundes Unternehmen. Sie hätten sich bereits seit Beginn der neunziger Jahre auf die Liberalisierung des Strommarktes gut vorbereitet. So wurde das Personal sozialverträglich ohne Kündigungen verringert und die Hierarchieebenen sowie die Anzahl der Abteilungen reduziert. In der Folge haben nur sehr wenige Kunden den Stadtwerken den Rücken gekehrt. Die günstigen Strompreise zogen aber viele Neukunden aus dem Bundesgebiet an. Dies bestätigt ein Vergleich: Während ein Vier-Personen-Haushalt (5.000 kWh) in Düsseldorf jährlich 1.303 Mark für den Strom zahlt, sind es in Berlin 1.663 Mark (Tarif Berlin Klassik Plus).

"Die Stadtwerke sind unser Tafelsilber, das wir nicht ohne Not verscherbeln sollten", meinte Marion Enke, die grüne Ratschefin, während einer hitzigen Stadtratsdebatte wenige Tage vor dem Bürgerentscheid. Sind die Stadtwerke einmal verkauft, würde schließlich eine dreistellige Millionensumme, die jährlich in die Stadtkasse fließt, wegfallen. Zu bedenken war des weiteren, daß vom Gewinn der Stadtwerke auch das örtliche Handwerk profitiert, nämlich durch jährliche Aufträge in Höhe von rund 80 Millionen Mark. Dies könnte durch einen Verkauf der Stadtwerke gefährdet werden, meinten die Vertreter des Bürgerbegehrens.

Oberbürgermeister Erwin versuchte am 17. Mai im Stadtrat die Argumente des Bürgerbegehrens gegen eine Privatisierung zu entschärfen. Mehrere Interessenten wollten die Stadtwerke kaufen. Die Namen verriet er nicht. Alle hätten zugesichert, bei einem Kauf der Stadtwerke für die nächsten vier Jahre keine betriebsbedingten Kündigungen durchzuführen. Der Rat könne weiterhin die Höhe der Tarife bestimmen. Es bliebe bei der Auftragserhaltung für das örtliche Handwerk. Auch garantierten alle Bieter die hohe Wasserqualität Düsseldorfs. Ratsherr Frank Laubenburg (PDS) warnte allerdings davor, auf die Versprechungen Erwins hereinzufallen. Niemand könne garantieren, daß die jetzigen Bieter ihre Versprechen wirklich hielten. Außerdem kritisierte er, daß der OB anläßlich des Bürgerentscheides an die Bürger einen sogenannten "Bürgerbrief" mit seinen eigenen Argumenten gerichtet habe. Die Vertreter des Bürgerbegehrens hätten hingegen darin nicht ihre Meinung vorstellen können.

Weitere Ratsmitglieder debattierten schwerpunktmäßig, ob ein Verkauf die Stadt finanziell besserstelle oder nicht. Aus dem Blickwinkel gerieten hierbei ökologische Argumente, die insbesondere von den Grünen zu erwarten gewesen wären. Denn heute sorgen bundesweit noch mehr als 6.000 Wasserversorger in geschützten Gebietsmonopolen für sauberes, hochwertiges Trinkwasser. Das könnte sich bald ändern. Derzeit wird diskutiert, ob nach dem Strom-, dem Gas- und dem Telekommunikationsmarkt auch der Markt für die Wasserversorgung liberalisiert werden soll. Davor warnt allerdings das Umweltbundesamt (UBA) in Berlin eindringlich. Mehr Wettbewerb schließe eine Qualitätssicherung beim Trinkwasser praktisch aus, heißt es in einer UBA-Studie. Um den Profit zu steigern, müßten Kosten so gering wie möglich gehalten werden. Das führe dazu, daß etwa die Rohrnetzpflege vernachlässigt würde. Dieses Defizit müßte mit einem höheren Zusatz desinfizierender Stoffe wie Chlor ausgeglichen werden, wie es zum Teil schon in anderen Ländern üblich ist, befürchtet das UBA.

Bezogen auf Düsseldorf sprach der Ratsherr der Republikaner Jürgen Krüger gegenüber der JF von der extrem hohen Sorgfalt, mit der die Stadtwerke das Wasser aufbereiten: "Das Düsseldorfer Trinkwasser zählt zu den besten in Deutschland. Die Wasserqualität könnte durch einen Verkauf an ein privates Unternehmen nicht verbessert, sondern nur verschlechtert werden. Der politische Druck zugunsten der Wasserqualität würde eingeschränkt werden." Ähnlich wertete die Neue Rhein Zeitung in ihrer Ausgabe vom 18. Mai: "Es gibt, den SPD-Bundestagsabgeordneten und Energieexperten Jung und Müller zufolge, gute Gründe, bei der Energie- und Wasserversorgung auf kleinteilige Lösungen und politische Kontrolle zu setzen – gerade im liberalisierten Markt." Zusammenfassend zeigt sich, daß sich hierbei "Linke" wie "Rechte" erstaunlich nahe sind. Übrigens: Die bayrische CSU ist auch gegen eine zügellose Liberalisierung des Wassermarktes. Es geht damit in der Zukunft weniger um links oder rechts, sondern vielmehr um die entscheidende Frage nach Zentralität oder Dezentralität.

Trends gegen die Privatisierung in den Bereichen Energie und Wasser sind bereits jüngst ersichtlich geworden. So stoppte das niederländische Parlament durch Christ- und Sozialdemokraten die Privatisierung des Energiemarktes. Es wurde beschlossen, daß regionale Verteilernetze für Strom und Gas vorerst nicht an Privatfirmen verkauft werden dürfen. Maßgeblich für den Stopp waren unter anderem die "kalifornischen Zustände", von denen sich zahlreiche Abgeordnete schockiert zeigten. In Kalifornien wird infolge der dortigen Liberalisierung des Energiemarktes der Strom rationiert. Der Strompreis ist seit Ende 2000 fast explodiert. Kein Wunder, daß da der Kabarettist Frank Küster resümiert: "Aus der Werbung wissen wir: Strom hat eine Farbe, und Strom hat einen Namen. Und ab sofort hat Strom für mich auch eine Heimat: Düsseldorf !"


 
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