© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Kolumne
Meta-Stasi
von Klaus Motschmann

Die verdienstvolle Veröffentlichung des Historikers Hubertus Knabe über den Einfluß der Stasi auf die Gestaltung und Entwicklung unserer Medienlandschaft haben bemerkenswerte Reaktionen ausgelöst, die zumindest ebenso aufschlußreich wie die dargestellten Tatsachen selber sind.

Immerhin kann nicht mehr bestritten werden, daß die Stasi über realexistierende IMs maßgebenden Einfluß auf den Prozeß der politischen Urteils- und damit auch Willensbildung genommen hat. Doch es waren eben nicht allein die von der Stasi gedungenen IMs, die nun aus naheliegenden Gründen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gerückt werden. Einflußagenten dieser Art hat es zu allen Zeiten und in allen Ländern gegeben. Sie sind also keine Schöpfung kommunistischer Strategen, so sehr auch die auf die Spitze getriebene Organisation und Perfektion dieses (Fehl-)Urteil nahelegen. Die Wertschätzung dieser Agenten hielt sich aufgrund ihrer charakterlichen Veranlagung überdies stets in Grenzen, weil der Auftraggeber nie ganz sicher sein konnte, ob die ausgehandelten Bedingungen eine dauerhafte und zuverlässige Bindung garantieren.

Sehr viel wichtiger im Sinne der politischen Einflußstrategen aller Systeme (und eben auch der Kommunisten) waren und sind (!) deshalb die "Judasse ohne Silberlinge", die IMs ohne förmliche Verpflichtung und Führungsoffiziere, die bereits Napoleon so trefflich charakterisiert hat. Auf die Frage, welche Agenten die zuverlässigsten seien, antwortete er kurz und bündig: "Diejenigen, die es gar nicht wissen".

Es sind die "reinen Naturen", die politisch Naiven und Vertrauensseligen, Autisten und Utopisten, Schwärmer und Gesinnungsethiker aller Art, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, daß sie die Folgen ihres Redens und Handelns nicht bedenken. Sie betätigen sich damit – unbewußt und allen Warnungen zum Trotz – als Stichwort-Geber für umfassende politische Kampagnen, die dann von der Stasi durch den Einsatz der entsprechenden IMs vorangetrieben wurde. Welche Veranlassung also sollte die Stasi gehabt haben, dieses nachweislich vorzüglich funktionierende System der Agitation, Organisation und Kollaboration durch förmliche Verpflichtungen zu gefährden?

Welche Veranlassung aber haben unsere Medien, die ihnen bekannten Zusammenhänge weithin zu verschleiern? Gewiß: Der Krebsschaden "Stasi" ist beseitigt; aber auch die von ihr verursachten Schäden, die sogenannten Meta-Stasi, die in einigen Bereichen von Politik und Gesellschaft offensichtlich fortwirken?

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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