© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Am Scheideweg
Die Grünen müssen ihre innere Widersprüchlickeit begreifen
Karlheinz Weißmann

Als die FAZ am 2. März einen Artikel veröffentlichte, der von zwei Autorinnen, darunter die ehemalige grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer, verfaßt worden war, erregte das einiges Aufsehen. Der Grund war folgende Passage des Textes: "Menschliches Leben beginnt mit der Zeugung. Denn von diesem Augenblick an setzt ein lebensgesteuerter Prozeß ein, in dem sich ein eigenständiges Menschenkind mit von den Eltern unabhängiger Persönlichkeit entwickelt. Dabei ist es für den Gesetzgeber, der weltanschaulich neutral sein muß, nicht entscheidend, wie genau der Beginn einer eigenständigen Rechtsposition zu bestimmen ist. Jede Definition von menschlichem Leben, die später einsetzt als mit der Zeugung, steht in der Gefahr, willkürlich nach Sichtweise und Interessen Dritter bemessen und entsprechend willkürlich ausgeweitet zu werden."

Was ist so überraschend daran, daß ein prominentes Mitglied der "Partei des Lebens" derartige Positionen bezieht? Der Grund liegt darin, daß diese Stellungnahme im deutlichen Widerspruch zu Positionen der Grünen steht: Beseitigung des Paragraphen 218 beziehungsweise 218a StGB, Einführung der Abtreibungspille RU 486, Vorrang der "Selbstbestimmung der Frau" gegenüber dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes.

Dieser Widerspruch hängt zusammen mit der mangelnden Konsequenz in der grünen Programmatik. Um zu betreifen, warum das so ist, muß man einen Blick auf die Anfänge ihrer Parteigeschichte werfen. Die Grünen entstanden 1980 durch Zusammenschluß verschiedener Gruppen: ältere Umweltschutzorganisationen, die "neuen sozialen Bewegungen" und relativ kleine, aber einflußreiche Formationen, ökologisch-konservativer Ausrichtung einerseits, linkssozialistisch-kommunistischer Orientierung andererseits. Schon in der Anfangsphase der grünen Partei zeigte sich die logistische Schwäche – man könnte auch sagen: die mangelnde Skrupellosigkeit – der konservativen Ökologen und die taktische Überlegenheit der linken Kader, die die Mehrheit der Basis rasch auf ihre Seite ziehen konnten.

Ein wesentlicher Grund dafür war die gemeinsame Generationenzugehörigkeit, die politische Prägung durch die Revolte von ’68 und eine, wenn auch unterschiedlich starke Systemopposition. Die konservativen Ökologen, vor allem repräsentiert durch den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl, sahen sich rasch ins Abseits gedrängt. Es waren vor allem vier zentrale Forderungen, die Gruhl und seine Anhänger von der Majorität der Grünen unterschieden:

1. Die Ablehnung eines prinzipiellen Pazifismus, wie er von den Grünen im Rahmen der von ihnen mitorganisierten "Friedensbewegung" propagiert wurde,

2. die Ablehnung der multikulturellen Gesellschaft als einer zutiefst natur- und ökologiefeindlichen Konzeption, die die "Umwelt", also die Bedeutung des kulturellen Zuhauses des Menschen, radikal verneint und das Problem der Überbevölkerung in den Ländern der Dritten Welt einer Scheinlösung zuzuführen sucht,

3. die Ablehnung jeder libertären oder anarchoiden Vorstellung von Staat und Gesellschaft, denn eine ökologisch verantwortliche Politik muß immer ein Weniger durchsetzen und darf kein Mehr – etwa an sozialen Leistungen, Emanzipationsmöglichkeiten etc. – versprechen

4. die Ablehnung eines unrealistischen Menschenbildes, das meinte, Umweltschutz lasse sich mit der Annahme verbinden, der Mensch sei von "von Natur" aus gut und werde bei Beseitigung hinderlicher gesellschaftlicher Bedingungen auch selbstverständlich schonender mit eben dieser "Natur" umgehen.

Das Ausscheiden des Gruhl-Flügels minderte die innerparteilichen Konflikte, beseitigte sie aber nicht. Dabei gehört es zu den merkwürdigen Tatsachen der Fraktionierung von "Fundamentalisten" und "Realos", daß ausgerechnet jene Minorität, die aus dem linken Radikalismus – zumal der K-Gruppen – kam, nach einem Selbstreinigungsprozeß, der zum Ausscheiden undisziplinierbarer Mitglieder führte (Thomas Ebermann, Jutta Ditfurth), die Annäherung an das Establishment forcierte. Wie sehr dabei machttaktische Gründe eine Rolle spielten, ist angesichts der letzten Enthüllungen über die "Patchwork-Biographien" (Thomas Schmid) von Joschka Fischer, Jürgen Trittin oder Joscha Schmierer unverkennbar.

Die Alternativ-Bewegung war ursprünglich angetreten, um eine "neue Kultur", "zweite Kultur" oder "Gegenkultur" zur bestehenden zu schaffen, die als repressiv, inhuman, technizistisch galt. Heute scheinen die Grünen der alten Schreckbilder ebenso müde geworden zu sein wie gewisser Implikationen ihrer Vorstellungswelt. Daß sie die Erinnerung scheuen, ist verständlich, denn das könnte nicht nur zu einer prinzipiellen Infragestellung ihrer heutigen Politik führen, sondern auch dazu zwingen, die innere Widersprüchlichkeit des grünen Programms zu begreifen: Man wäre vor allem gezwungen, die conditio humana in einer Weise anzuerkennen, die die aus der Neuen Linken und der Alternativ-Bewegung tradierte Mär vom "neuen Menschen" ganz beseitigen würde.

Der Schritt wäre in jedem Fall schmerzhaft. Aber die eingangs zitierte Stellungnahme zur Biopolitik zeigt, daß die Grünen an einem Scheideweg angekommen sind.


 
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