© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Risiken der Gentechnik
Eine Utopie aus dem Labor
Dieter Stein

Eigenartige Koalitionen tun sich auf, wenn es derzeit um den Handlungsspielraum der Gentechnik geht. Obwohl die Forschung an Embryonen und die "Präimplantationsdiagnostik" an künstlich befruchteten Eizellen nur einen Ausschnitt ausmachen, ist dies der umstrittenste Gegenstand der Gentechnik-Debatte. Es geht hierbei um die Frage, wie stark der geborene Mensch dereinst weiter Ergebnis – je nach Standpunkt – biologischer Zufälle, des Schicksals oder der göttlichen Fügung ist oder vom planenden Willen anderer Menschen abhängt, die per Selektion oder Eingriff in seine Keimbahn sein Wesen entscheidend beeinflußt haben. Bis auf die Tatsache der Zeugung und die Entscheidung der Partnerwahl können die Eltern künftig die Schuld für die natürlichen Anlagen ihres Kindes Ärzten zuschieben. Umgekehrt werden Kinder ihre Eltern für mangelhafte genetische Korrekturen zur Verantwortung ziehen.

Anläßlich der provozierenden Thesen des Philosophen Peter Sloterdijk zur Gentechnik sprachen wir in der JF 41/99 mit dem Moralphilosophen Robert Spaemann, der sich maßgeblich in der biopolitischen Debatte zu Wort meldet. Spaemann warnte, "in die menschliche Gen-Struktur planend einzugreifen", weil dies zu einem neuen Totalitarismus führe. Aufgrund modischer Selektionswünsche der Eltern werde es absehbar zu Fehlentwicklungen kommen, in die der Staat dann notgedrungen eingreifen müsse. Deshalb fordert Spaemann, Gesetze zur Gentechnik "sollten nur Verbotsgesetze sein – positive Planungsgesetze wären ein bisher unerhörter Totalitarismus".

Das Problem ist, auch für den jetzt warnend auftretenden Bundespräsidenten Johannes Rau, der in einer bemerkenswerten Rede vor der Freigabe der "verbrauchenden Embryonen-Forschung" warnte und forderte, daß der Staat menschliches Leben ab der Zellverschmelzung zu schützen habe, daß die Dämme, die das Leben schützen, schon mit der "Reform" des Paragraphen 218 eingerissen wurden. Da man das nicht mehr im Zellstadium befindliche, sondern bereits voll heranreifende Leben straffrei zur Tötung freigegeben hat, wurde die Tür zur Selektion "lebenswerten" Lebens aufgestoßen.

Nun will man Kritikern den Mund stopfen, indem man sagt, daß die Globalisierung mächtig auf die Tube drücke und die Deutschen schließlich nicht das Schlußlicht sein könnten beim Riesengeschäft der Ausbeutung menschlichen Lebens und Lebensrechts, daß der Fortschritt sowieso nicht aufzuhalten sei; mancher Unions-Politiker rechtfertigt sein Schweigen in der Debatte sogar damit, konservativ heiße, an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.

Es ist gleichgültig, ob die Forscher anderer Kontinente außer Rand und Band geraten. Der Staat muß hier hart bleiben. Auch wenn dies Deutschland alleine tut. Es steht aber zu befürchten, daß es der Gentechnik-Lobby in Politik und Medien gelingen könnte – ähnlich wie beim Thema Sterbehilfe in Holland –, die Öffentlichkeit für die utopischen Verheißungen einer gentechnischen "Schönen Neuen Welt" zu mobilisieren.


 
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