© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Stilblüten und Schattengewächse
Hanns Cibulkas "Sonnenflecken über Pisa" bleiben von Mauer und Schiefem Turm verdunkelt
Doris Neujahr

Es ist nicht der Schiefe Turm, sondern die eigene Vergangenheit, die den Erzähler ins italienische Pisa zieht. Vor mehr als fünfzig Jahren hat er hier als Nachrichtensoldat bei der Wehrmacht gedient, als alliierte Bomber am Himmel ihre Kurven zogen. Außerdem will er sich auf seiner Reise dem Werk und der Persönlichkeit Ezra Pounds annähern, dem bewunderten Dichter der "Cantos" und der "Pisaner Gesänge", den die Amerikaner 1945 in der Nähe Pisas interniert hatten. Im zweiten Teil des Bandes, "Nachtwache", hat Cibulka sein Kriegstagebuch von 1943 publiziert. Dazwischen sind Wehrmachtsberichte und Reflexionen über Ernst Jüngers Erzählung "Auf den Marmorklippen" (1939) eingestreut.

Der Text ist, anders als auf dem Buchdeckel angekündigt, kein Roman, vielmehr eine Mischform aus Reisebeschreibung, Diarium, Meditation, Essay und Kunstbetrachtung. Und es ist eindeutig das alter ego des Autors Hanns Cibulka, das sich äußert. Cibulka wurde 1920 in Jägerndorf, Mähren, geboren. Nach dem Krieg lebte der gelernte Handelskaufmann und studierte Bibliothekar als Leiter der Stadt- und Kreisbibliothek und Schriftsteller im thüringischen Gotha. Für seine literarischen Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Louis-Fürnberg-Preis (1973), den Johannes-R.-Becher Preis (1978), den Sudetendeutschen Kulturpreis (1991) sowie im vergangenen Jahr den Erwin-Strittmatter-Literaturpreis für Umwelt des Landes Brandenburg.

Bevor man der Frage nach dem literarischen Handwerk nachgeht, muß man erst einmal bekennen: Was für ein Stoff! Und was hätte das für ein Buch werden können, werden müssen! Ein Buch, das den Bogen zunächst in die Vergangenheit zurückschlägt, um schicksalhafte Erfahrungen in eine ahnungslose Gegenwart zu holen. Ein Buch, das die Fensterreden der Hochmoralisten links liegenläßt und aus eigener Anschauung des Autors über Krieg und Todesangst, über zweierlei Diktaturerfahrung und den Rückzug in ästhetische Bezirke, über Mauersyndrom und Italiensehnsucht, über deutsche Teilung und Wiedervereinigung, über Hybris und Nemesis berichtet.

Doch wie wenig hat der Autor daraus gemacht! "Was war es also, das Pound in die Todeszelle gebracht?" lautet Cibulkas zentrale – und stilistisch mißglückte – Frage. Statt einer Antwort folgt politisch-korrekter Biedermeier. Der klingt so: "Es gibt eine Blindheit im Leben des Menschen, die sich nicht ausloten läßt, auf die man keine Antwort findet, eine solche Blindheit muß über Pound gekommen sein, als er sich mit seinen Vorträgen im italienischen Rundfunk an die Seite Mussolinis gestellt, als er sich zu einem Anwalt der italienischen Faschisten gemacht hatte."

Aber wozu schreibt man ein Buch, wenn nicht zu dem Zweck, blinde Flecke aufzuhellen, sei es durch Einfühlung, Imagination oder Analyse? Statt den eigenen Erfahrungen zu vertrauen, hat Cibulka eine Synthese aus Klassizität und politischem Gegenwartskonsens versucht, hat sich so den persönlichen Zugang zu seinem Thema verbaut und literarische Selbstverstümmelung betrieben. Denn man weiß aus seinen früheren Werke, daß er mit Pound die entschiedene Abneigung gegen den Typus des Homo oeconomicus teilt. Pounds Bannflüche gegen den Wucher ("USURA"), diese "Sünde gegen die Freigebigkeit der Natur", die sich das staatliche, gesellschaftliche und private Leben unterwirft ("Vom Aufsichtsrat der Bank / wurden Regierungsmitglieder ausgeschlossen / Bankdirektoren überwachen Regierungsgelder / und betrügen das Volk", heißt es in den "Cantos"), fanden bei Cibulka einen unüberhörbaren Widerhall, als er als einer der ersten DDR-Autoren die Naturzerstörung im Namen ökonomischer Notwendigkeiten kritisierte.

Er hätte also seine Schwierigkeiten mit den Zensurbehörden darstellen und dann zur Frage überleiten sollen, wieweit der brutale Umgang mit Pound nach dem Krieg durchaus der generellen Ausgrenzungslogik von Machtsystemen entspricht. Er sollte nachlesen, was Curzio Malaparte im Roman "Die Haut" über die Umstände von Pounds Inhaftierung im Gorillakäfig schreibt, dann käme er – wie Ernst von Salomon im "Fragebogen" – auf das schwerwiegende, tabuisierte, weder ethisch noch juristisch hinreichend aufgearbeitete Problem, daß auch Demokratien unter Umständen vor der Folterung tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner nicht zurückschrecken.

Kurzum: Es wäre zu empfehlen, daß Autor und Verlag sich nochmals zusammensetzen, die zahlreichen Stilblüten herausstreichen und das Buch inhaltlich überarbeiten. Es würde sich lohnen. Denn Cibulka verfügt über einen Stoff wie sonst kaum ein anderer Autor mehr in Deutschland. Seine Erinnerungen könnten, wie gesagt, ein großes Buch ergeben!

 

Hanns Cibulka: Sonnenflecken über Pisa. Roman. Reclam Verlag, Leipzig 2000, 182 Seiten, kart., 16 Mark


 
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