© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
"Eine Kampagne gegen die Geschichte"
Interview: Wolfgang Venohr über die neuen Angriffe auf den nationalkonservativen Widerstand, die Weiße Rose und die Männer des 20. Juli 1944
Dieter Stein

Herr Dr. Venohr, der Historiker Hans Mommsen hat dazu aufgefordert, das Bild der Widerstandsgruppe Weiße Rose zu entheroisieren. Der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach, meinte in bezug auf die Weiße Rose, wir müßten "weg vom Heroismus". Kann man überhaupt sagen, daß die Geschwister Scholl bzw. die Männer des 20. Juli 1944 in Deutschland als Helden verehrt werden?

Venohr: Also, ich bin sehr erstaunt darüber, denn von dieser Heroisierung habe ich nie etwas bemerkt. Bei den Recherchen für all meine Bücher und Filme über Stauffenberg habe ich nur immer wieder festgestellt, daß Stauffenberg und sein Kreis – und das gilt noch viel mehr für die Weiße Rose – eigentlich doch ziemlich unpopulär sind. Der 20. Juli oder die Weiße Rose sind doch immer nur recht elitär "unterm Ladentisch" gehandelt worden. Bemerkt und geschätzt nur von wenigen Eingeweihten und Interessierten, und von denen sind sie wohl kaum heroisiert worden. Diesen Vorstoß der Notwendigkeit einer "Entheroisierung" halte ich für völlig aus der Luft gegriffen. Ich vermute dahinter etwas ganz anderes.

Nämlich?

Venohr: Seit Jahren läuft doch die Kampagne gegen die Wehrmacht und den deutschen Soldaten. Man versucht die Wehrmacht, salopp gesagt, als "Verbrecherhaufen" zu etikettieren. Die Kinder und Enkel erinnern sich ja kaum noch an Väter und Großväter und wenn, dann sollen sie sich negativ erinnern. Das ist schon schlimm genug, aber hinter dieser Kampagne gegen die Wehrmacht steht ja eigentlich eine Kampagne gegen die deutsche Geschichte. Und damit soll natürlich die deutsche Nation getroffen werden, denn eine Nation bezieht ihr Selbstverständnis ja aus ihrer Geschichte. Bisher blieb immer noch ein kleines, weißes Fleckchen auf dem Ehrenkleid der Nation, an das man nicht so richtig herankommen konnte, und das waren diese "vermaledeiten" Verschwörer gegen Hitler. Ich nehme an, dieser weiße Fleck, der eine positive Identifikation mit der deutschen Geschichte ermöglicht, soll nun endlich auch schwarz – oder am besten braun – gefärbt werden. Es geht darum, die Motivation dieser Widerstandskämpfer zu diskreditieren. Denn diese Motivation war ja weiter nichts als Patriotismus. Es ging vor allem den Männern des 20. Juli um die Rettung des Reiches und um sonst nichts. Die Geschwister Scholl haben ja, was heute einfach ausgeblendet wird, weil es nicht ins Bild paßt, als begeisterte Nationalsozialisten und engagierte HJ-Führer begonnen. Oder denken Sie an Alexander Schmorell, der aus dem Stahlhelm kam. In ihren Flugblättern bezieht sich die Gruppe dann unter anderem auf den deutschen Freiheitskampf von 1813. Sie sprechen von "der deutschen Jugend", für die sie handeln, und sie sprechen von "unseren Soldaten". Professor Kurt Huber, den die Geschwister Scholl schließlich zur Mitarbeit in ihrem Kreis gewinnen konnten und der einen großen Einfluß auf die Gruppe ausübte, sprach in einem Flugblattentwurf sogar von "unserer herrlichen Wehrmacht", auch wenn um diese Wendung dann ein Streit ausbrach. All das paßt natürlich überhaupt nicht in das Bild, das wir uns heute von der Weißen Rose und dem deutschen Widerstand machen, und läuft der derzeitigen geistigen Umerziehungskampagne zuwider. Also soll es verdächtigt werden.

Ist dieser Widerstand der Nationalkonservativen des 20. Juli 1944 und der Weißen Rose ein lästiges Erbe für das heutige Deutschland?

Venohr: Natürlich gibt es einzelne Personen und Gruppen, die sich mit Respekt und Anerkennung vor dem 20. Juli und vor der Weißen Rose verneigen. Aber wir wollen ja die Haupttendenz ins Auge fassen, und ich glaube, daß da die 20.-Juli-Leute und die Geschwister Scholl schon ziemlich lästig sind. Womit ich aber vor allem ganz vorsichtig sein würde, ist die Bezeichnung "nationalkonservativ", denn Stauffenberg, Fritz Dietlof von der Schulenburg oder Julius Leber – der politische Mentor Stauffenbergs – waren ja schließlich Sozialisten. Und die Weiße Rose entstammt dem bildungsbürgerlichen, christlichen und bündisch-idealistischen Milieu. Geistig entstammen sie allesamt wohl eher dem deutschen Idealismus! Alle verehren Sie auch Stefan George, Stauffenberg studierte Gneisenau. Hier mischen sich – und das ist ja auch das Schöne – konservative, patriotische und sozialistische Elemente, aber Patrioten sind sie eben alle.

Sie sind selbst als Jugendlicher vom Nationalsozialismus fasziniert und in der Jugend begeisterter Soldat gewesen. Erst nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft haben Sie sich der Person Stauffenbergs und dem deutschen Widerstand genähert. Weshalb wurde Stauffenberg für Sie zu der Figur, die Ihr weiteres Leben bestimmte?

Venohr: Die für mich unvergeßliche Margret Boveri, eine Deutsch-Amerikanerin und große Schriftstellerin und Publizistin, hat mich eines Besseren belehrt. Sie hat mich immer wieder auf Stauffenberg hingewiesen und hat meine Vorbehalte, die ich als ehemaliger Frontsoldat noch hatte – denn die Frontsoldaten waren ja alle gegen diesen Putsch –, langsam abgebaut. Sie hat immer wieder darauf hingewiesen, daß Stauffenberg kein Landesverräter, sondern ein Hochverräter gewesen sei – und dagegen könne ich doch nichts haben. So ist es auch. Dann habe ich in Straßenbefragungen für den ersten großen Stauffenberg-Film, den ich für die ARD gemacht habe, erlebt, daß an den Schulen ganz junge Leute äußerten, Stauffenberg sei ihnen doch wichtig, denn seine Person verteidige und verbessere das Bild des deutschen Soldaten. In der Tat: Das Bild des deutschen Soldaten wird ebenfalls durch Stauffenberg repräsentiert. Der dritte Punkt, der mich zu Stauffenberg führte – und das ist vielleicht der Wichtigste –: Ich habe selbst erlebt, wie es ist, wenn man gegen alle anderen seinem Gewissen folgt. Denn mit 15 Jahren habe ich auf unserem HJ-Traditionsmarsch nach Kutno öffentlichen Widerstand geleistet: Ich habe ein Symbol des Reiches, meine Fahne, vor aller Augen eingerollt – das war damals ein lebensgefährlicher Akt. Ich habe das getan wegen der Polen und Juden, die dort verprügelt wurden, weil sie nicht die Mützen vor unseren Fahnen abnehmen wollten. Das habe ich bitter bezahlt. Mit Schimpf und Schande bin ich degradiert und aus der HJ geworfen worden, natürlich nicht, ohne zuvor halb totgeschlagen worden zu sein. Na ja, das ging vorbei – solche Narben verheilen. Aber was sich mir damals für immer eingeprägt hat, ist dieses Gefühl, wie allein ich in diesem Moment dastand. So ging es auch Stauffenberg am 20. Juli.

Stauffenberg wird heute von der Bundesrepublik offiziell geehrt. Doch sein politisches und geistiges Vermächtnis, vor allem seine Motivation wird von denselben Leuten meist unterschlagen, umgedeutet oder gar beschimpft.

Venohr: Stauffenberg gibt ein Beispiel, wie es für alle Zeiten gilt, für die Antike, für heute, morgen und übermorgen, auch noch in 100 Jahren. Das war Zivilcourage: Aufzustehen aus Gewissen und aus Moral. Er hat selbst die erschütternden Worte gesagt: "Wenn ich dieses Attentat übermorgen durchführen werde, dann werde ich als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen." Und so ist es zunächst auch gekommen. Und hinzugefügt: "Aber wenn ich es nicht tue, dann werde ich ein Verräter vor meinem Gewissen." Dieser Zwiespalt Stauffenbergs und sein Mut zur Entscheidung bleibt ein Beispiel für alle Zeiten. Unsere Politiker stellen sich doch ununterbrochen hin und belehren uns über den angeblichen oder tatsächlichen Mangel der Deutschen an Zivilcourage. Na, hier haben sie ein Beispiel: Sie sollten Stauffenberg auf ihre Fahnen schreiben! Natürlich scheint uns heute das meiste von dem, was Stauffenberg mit seinen Kameraden damals in Zusammenhang mit einer Neuordnung nach dem Putsch besprochen hat, als veraltet. Die Verhältnisse haben sich eben geändert. Aber Grundsätzliches seiner Überzeugung ist doch geblieben. Vor allen Dingen, daß er und seine Kameraden sich nicht haben von einer Ideologie besetzen lassen – weder von der sowjetisch-bolschewistischen noch von der amerikanisch-kapitalistischen, unter der wir heute leben. Stauffenberg hat das Reich – man sprach damals weniger von "Deutschland" und vom "Vaterland", sondern vom "Reich" – über alle Ideologien gestellt. Und hat er nicht recht behalten? Wenn nicht in den Jahren 1989/90 für einen kurzen, geschichtlichen Augenblick die westdeutsche Politik sich mit Amerika und Rußland verstanden hätte, dann wäre es nie zur Wiedervereinigung gekommen und auch nicht zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Von 1945 – 1989 ist doch alles unter der Vorherrschaft dieser verrückten Ideologien gelaufen. Dieses erdrückende Problem des "Kalten Kriegs" haben Stauffenberg und seine Freunde, vor allem Trott zu Solz, der ja die Denkschrift "Deutschland zwischen West und Ost" geschrieben hat, von vornherein erkannt, abgelehnt und bekämpft. Und bis heute hat das nichts von seiner Bedeutung verloren.

Peter Steinbach hat mit der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" den Widerstandsbegriff stark erweitert, er plädiert für die Berücksichtigung auch stalinistischer Gruppen und Personen.Gibt es Ihres Erachtens nicht doch qualitative Unterschiede, die zu würdigen sind?

Venohr: Ja, aber das ist eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muß. Ich persönlich habe zum Beispiel den größten Respekt vor kommunistischen Widerstandskämpfern, die als junge Kommunisten, schon vor 1933, dann für ihre Überzeugung in die Gefängnisse, KZ, Zuchthäuser gingen. Viele von ihnen arbeiteten, kaum entlassen, sofort wieder illegal weiter. Die Weltanschauung dieser Leute habe ich nie geteilt, aber es ist ihr Mut, der mir Respekt abverlangt. Anders ist das bei den Deserteuren, die ja nun auch als Widerständler geehrt werden sollen. Nein, das waren Feiglinge, die vor dem Feind weggelaufen sind und die ihre Kameraden im Stich gelassen haben. Etwas anderes als die überzeugten, idealistischen Kommunisten sind natürlich die Stalinisten: Da fallen mir zwei dokumentierte Äußerungen Stauffenbergs zum von Stalin lancierten "Nationalkomitee Freies Deutschland" (NKFD) ein. Stauffenberg hat immer wieder gesagt, er könne von Proklamationen hinter Stacheldraht nichts halten. Und noch schärfer: "NKFD und BDO (Bund deutscher Offiziere) betreiben Landesverrat, ich betreibe Hochverrat." Wissen Sie, Männer wie Harro Schulze-Boysen oder Widerstandsgruppen wie die "Rote Kapelle" sind ja durchaus für jeden von historischem Interesse. Aber mehr darf es eigentlich auch nicht sein, denn sie haben Landesverrat zugunsten Stalins betrieben. Ich kann das nicht billigen. So etwas darf nicht auch nur in die geringste Nähe zum Patrioten Stauffenberg gebracht werden. Es ist klar, daß man nicht nur die Stauffenberg-Gruppe als einzig wahren Widerstand herrausstellen soll. Doch darf man andererseits die verschiedenen Gruppen auch nicht miteinander vermengen. Das ist nicht nur unhistorisch, dann besteht auch die Gefahr einer Widerstandsideologie, die nur allzuleicht politisch mißbrauchbar ist.

Woher kommt Ihrer Meinung nach die vergleichsweise dürftige Erinnerung an den Widerstand?

Venohr: Es ist ja heute sowieso nicht üblich in Deutschland, Politiker, Staatsmänner, Feldherren zu preisen, lieber preisen wir Fußballer, Models oder Pop-Musiker. Daß der Deutsche Widerstand aber immer nur ein Gegenstand der öffentlichen Feiern am 20. Juli ist, hat mehrere Geründe. Erstens, das Attentat ist fehlgeschlagen. Die Betrachtung, gerade durch das Volk, wäre heute eine ganz andere, hätte es geklappt. Zweitens, es ist den Leuten natürlich bewußt, daß das nur eine ganz, ganz kleine Gruppe war, die diesen Mut und Anstand fand. Sie steht eben nicht repräsentativ für die Masse des deutschen Volkes. Als die Weiße Rose ihre Flugblätter warf, als Stauffenberg sein Attentat plante und durchführte, standen die Deutschen, einschließlich der Wehrmacht, noch ganz überwiegend hinter Hitler. Die Führung hatte das Volk und die Wehrmacht noch fest im Griff. Dazu beigetragen haben freilich auch die Alliierten mit ihrer Konferenz in Casablanca im Januar 1943, mit der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation. Darauf konnte es von seiten des deutschen Volkes natürlich nur eine Antwort geben: Kampf bis zur letzten Patrone! Oder denken Sie an den Bombenterror dieser Luftgangster Churchill und Co. Und drittens: Nicht vergessen werden sollte, der Widerstand erhielt von seiten der Alliierten keinerlei Unterstützung, also spielte er auch bei ihrer nach 1945 in Deutschland lancierten Reeducation keinerlei Rolle.

Der Widerstand war also ein lästiges Hindernis auf dem Weg zur Niederwerfung Deutschlands?

Venohr: Unzweifelhaft ja. Es gibt ja diese berühmte – nachzulesen im Public Record Office in London – Denkschrift von Wheeler-Bennett: Er schrieb nach dem 20. Juli, daß die Nazis gerade dabei seien, diese Leute zu liquidieren, erspare den Alliierten nach dem Sieg vieles. Hätten Stauffenberg, Schulenburg und Tresckow überlebt, sie hätten auch in Gefangenschaft marschieren müssen und ganz ohne Zweifel furchtbar viel Ärger mit den Besatzern bekommen. Denn sie hatten sich ja am 3. Juli 1944 alle zu einem Heiligen Schwur verbunden, ihren Widerstand auch nach dem Attentat, wenn es scheitern sollte, in einem besetzten Deutschland gegen die Alliierten fortzusetzen! Das wird immer verschwiegen.

 

Dr. Wolfgang Venohr, geboren 1925 in Berlin, studierte Geschichte und Germanistik. Bevor er von 1965 bis 1985 als Chefredakteur bei "Stern TV" und "Lübbe TV" tätig war, arbeitete er bei verschiedenen Tageszeitungen. Zwischen 1969 und 1974 wurde er bekannt als der einzige westdeutsche Journalist, der aus der DDR direkt berichten durfte. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. Wichtigste Veröffentlichungen: "Patrioten gegen Hitler. Der Weg zum 20.Juli" (Lübbe, 1984); "Stauffenberg – Symbol der deutschen Einheit" (Ullstein, 1986); "Preußische Profile" (Propyläen, 1982); "Der Soldatenkönig – Revolutionär auf dem Königsthron" (Ullstein, 1988); "Fredericus Rex" (Lübbe, 1990); "Der große König" (Lübbe, 1995); "Fritz der König" (Lübbe, 2000); "Erinnerungen an eine Jugend", (Herbig, 1997)

 

Maschinendurchschrift des Schwurs vom Juli 1944 mit handschriftlichen Änderungen von Claus Graf Stauffenberg; Quelle: Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder, DVA 1992

Claus Schenk Graf von Stauffenberg, 1929: "Die Motivation war weiter nichts als Patriotismus. Es ging vor allem den Männern des 20. Juli um die Rettung des Reiches und um sonst nichts."


 
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