© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Zaghafte Demontage eines Denkmals
Das Bild Winston Churchills in der neueren Geschichtsschreibung
Wolfgang Berger

Die Zahl der über Winston Churchill (1874–1965) erschienenen Bücher ist kaum noch überschaubar. Nach wie vor gibt es die größtenteils narrativen, lobenden Heldengeschichten, aber die Zahl der kritischen Darstellungen hat in den letzten Jahren zugenommen – und zwar gerade auch in Churchills Heimat.

An der Demolierung des Churchill Denkmals hat nicht zuletzt der junge Historiker John Charmley teil, dessen Churchill-Biographie 1993 für großes Aufsehen in England sorgte. Er wirft dem Kriegspremier vor, die Möglichkeit eines Friedens mit Hitler-Deutschland im Frühjahr 1940, vor dem Beginn der Luftschlacht um England, nicht genutzt und so das Ende des Britischen Empire eingeleitet zu haben. Die Churchills Nachruhm beschattende Hypothese, er könne 1943 am Flugzeugabsturz des polnischen General Sikorski beteiligt gewesen sein, weist Charmley jedoch zurück. "Er bewunderte den Polen und sah in ihm einen Mann, der die agressiveren Anti-Sowjet-Polen in Schach halten konnte". Und Charmley kann, seinen Demontagezielen zum Trotz, Churchill weiterhin als "Symbol des Widerstandes" ehren. Damit bleibt er aber weit entfernt von der ungebrochen hagiographischen Darstellung, wie sie ausgerechnet ein Deutscher vor kurzem präsentierte: Christian Graf Krockow lieferte eine "runde" Churchill-Vita, die aber immerhin die Terrorangriffe auf Hamburg und Dresden unzeitgemäß thematisiert. Die Frage sei, "ob Churchill nicht selbst einen fatalen Beitrag zum Rückfall in die Barbarei geleistet hat. Er war politisch verantwortlich für die Entfesselung des Bomben-und Vernichtungskrieges gegen deutsche Städte, der absichtsvoll die Zivilbevölkerung traf." Das lasse sich auch durch deutsche "Untaten" nicht relativieren.

Diese Biographien lassen sich nicht mit den Angriffen des einst als seriös geltenden David Irving vergleichen. Nach dem Erscheinen seines teilweise beleidigenden Churchill-Opus (1987), von dem er nur den ersten, 1941 endenden Band bei einem australischen (!) Verleger unterbringen konnte, wurde Irving in England verfemt: seine bis dahin publizierten Bücher verschwanden nicht nur auf der Insel, sondern auch auf dem Kontinent und in den USA aus den Buchhandlungen. Er konnte kein weiteres historisches Werk mehr veröffentlichen. Erst nach diesem Boykott driftete Irving zur "revisionistische" Internationalen ab – mit der Konsequenz von Einreiseverboten für diesen Autor, dessen zeithistorisch investigativen Studien einst bei den ersten Verlagsadressen herauskamen.

In diesen früheren Arbeiten beschäftigt Irving sich zwar mit dem Bombenangriff auf Dresden, dem "Fall" Sikorski, für dessen Tod er Churchill nur indirekt verantwortlich macht. Aber erst in seine als opus magnum konzipierte Churchill-Biographie flossen jene Vorwürfe ein, die ihm das britische Historiker-Establishement nicht verzieh. Irving warf dem Premier Feigheit und Trunksucht vor. Churchill habe London verlassen, wenn deutsche Luftangriffe gemeldet wurden. Irving konstruierte dies aus Terminkalendern, die er dem Patensohn des Churchill-Leibwächters abkaufte. Churchills berühmte Durchhalterede ("Wir werden niemals kapitulieren") sei im BBC vom Schauspieler Norman Shelley, bekannt als "Larry, das Lamm" aus Kinderprogrammen, gesprochen worden, da Churchill zu betrunken gewesen sei.

Churchill war 1938 hoch verschuldet. Sein aufwendiger Lebensstil ließ sich durch seine literarischen Einkünfte nicht mehr finanzieren. Sein südafrikanisch-jüdischer Milionärsfreund Henry Strakosch, so Irving, habe ihn 1938 mit 20.000 Pfund gerettet. Ausführlich geht Irving in diesem Kontext auch auf Churchills Mitgliedschaft im zionistischen Club The Focus ein, damit bereits ein Feld betretend, das ihm zur Todeszone werden sollte.

Der vorerst letzte Akt in jenem Abstieg, der mit der Ächtung des Churchill-Biographen Irving begann, war im im April 2000 in London zu bestaunen. Dort wurde seine Verleumdungsklage gegen die US-Autorin Deborah Lipstadt ("Denying the Holocaust") abgewiesen, so daß der Kläger auf einigen Millionen Mark Prozeßkosten sitzen blieb.

Rolf Hochhuth ist natürlich kein Historiker, sondern ein Schriftsteller, der sich gerne mit historischen Themen befaßte und der sich schon sehr früh, von professionellen Historikern aber kaum wahrgenommen, kritisch mit Churchill beschäftigte. Er beschuldigte den einstigen Marinechef, die Torpedierung der Lusitania durch ein deutsches U-Boot im Mai 1915 provoziert zu haben. Die dabei umgekommenen US-Bürger sollten als "Lebendköder" die USA zum Kriegseintritt gegen die Mittelmächte provozieren. In seinem Stück "Soldaten" belastet Hochhuth Churchill viel stärker als Irving mit der Verantwortung für Sikorskis Tod.Hochhuth und Irving waren in den siebziger Jahren Freunde und unternahmen gemeinsame Studien.

Englische Historiker urteilen heute über Irvings frühe Arbeiten erstaunlich positiv: Donald Cameron Watt, ehemaliger Professor für Weltgeschichte an der Universität London, lobt seine Professionalität: "Keines seiner Bücher erschien ohne neue Fakten". Der Militärhistoriker John Keagan schrieb noch nach Irvings Verurteilung: "Irving hatte eine außerordentliche Fähigkeit, Hitlers militärische Operationen zu beschreiben und zu analysieren".


 
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