© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Ein widerliches Land
Neuerscheinungen über die DDR-Schriftstellerinnen Brigitte Reimann und Maxie Wander und ihre dem Sozialismus fremden Sehnsüchte
Doris Neujahr

Sind Frauen tatsächlich das stärkere Geschlecht? Zumindest erweisen sie sich in schwierigen Zeiten oft als das mutigere, wie die beiden Biographien über die Schriftstellerin Brigitte Reimann und die Journalistin Maxie Wander belegen. Beide wurden 1933 geboren, beide veröffentlichten in der DDR regelrechte Kultbücher: Reimann den Roman "Franziska Linkerhand" (1974), Wander unter dem Titel "Guten Morgen, du Schöne" (1977) einen Band mit Frauenprotokollen. Die Bücher waren Bekenntnis und Politikum, Bückware, unwägbarer Tabubruch und existentieller Notschrei, in dem die Verfasserinnen sich verzehrten. Beide Frauen starben früh und qualvoll an Krebs, Brigitte Reimann 1973, Maxie Wander nur vier Jahre später.

Die in der Nähe von Magdeburg geborene Schriftstellerin Brigitte Reimann war schön und geheimnisvoll wie eine morgenländische Prinzessin. Bei zahllosen Männern – Kollegen und Parteifunktionäre eingeschlossen – löste sie ein erotisches Erdbeben aus. Soviel Sinnlichkeit mußte im prüden DDR-Sozialismus subversiv wirken. Doch zunächst war die junge Frau aus kleinstädtischem Bürgertum für den Sozialismus entflammt. Als die Künstler aufgerufen wurden, sich auf dem "Bitterfelder Weg" in die Industrieproduktion zu begeben, ging sie ins Lausitzer Braunkohlewerk "Schwarze Pumpe". Ergebnis war der Roman "Ankunft im Alltag" (1961), der einer ganzen Literaturrichtung, der "Ankunftsliteratur", den Namen gab. Sie handelte von jungen Leuten, die sich nach vielen Konflikten für den Sozialismus entschieden. Walter Ulbricht erkor sie daher zur Vorzeigeautorin aus!

Das war, von Ulbricht aus gesehen, ein glatter Fehlgriff! Als der Aufbau-Verlag 1997 und 1998 Reimanns Tagebuchbände "Ich bedauere nichts" und "Alles schmeckt nach Abschied" veröffentlichte, stießen die Leser auf eine authentische, desillusionierte und desillusionierende Sozial- und Prominentengeschichte der DDR. Sie lasen die Dokumente eines unbändigen Lebenshungers und des Versuchs, privat und politisch ein Leben in der Wahrheit zu führen.

Parallel dazu erschien "Franziska Linkerhand" erstmals in ungekürzter Fassung. Die Titelfigur, eine junge Architektin, glaubt zunächst daran, in der sozialistischen Gesellschaft für die breiten Massen endlich schön und menschengemäß bauen zu können. Natürlich verzweifelt sie an den Verhältnissen, ohne sich als Persönlichkeit brechen zu lassen. Der ungekürzte Roman sprach die sozialen Probleme und mentalen Verwüstungen in der DDR mit einer Deutlichkeit an, daß er wie ein vorweggenommener Totenschein wirkte. Die Kritik war sich einig, daß ihr früher Tod die Entfaltung einer ganz großen Schriftstellerin verhinderte.

Brigitte Reimann hatte sich aus eigener Kraft aus dem Sumpf verführten Denkens gezogen. Die Berliner Publizistin Dorothea von Törne hat ihre Biograpie mit unverhohlener Sympathie verfaßt. Reimann fühlte sich zu Außenseitern und Normverletzern hingezogen, die politisch, sozial oder habituell aus der Reihe tanzten. Sie zahlte einen hohen Preis: Drei Ehen gingen in die Brüche, die vierte kriselte. Ihre finanziellen Schwierigkeiten waren ohne Ende, die Kontrolle durch die Stasi ebenfalls. Sie litt an der Dummheit und Brutalität der Verhältnisse, an der Heuchelei und Feigheit ihrer Zeitgenossen. Die Verhaftung Wolfgang Harichs 1956 schockierte sie, die Stasi versuchte sie zu erpressen, der Mauerbau trennte sie vom geliebten Bruder. 1966, nach Angriffen von Kulturbürokraten, notierte sie: "Ein widerliches Land." Die Niederschlagung des "Prager Frühlings" bedeutete den finalen Tiefschlag: Nur einen Monat liegen zwischen dem Einmarsch des Warschauer Pakts und ihrer Krebsdiagnose. Jetzt steckte sie alle Kraft in den Roman "Franziska Linkerhand". Der hinterlassene Torso wurde nach ihrem Tod gekürzt, die schneidend scharfe Analyse des DDR-Sozialismus banalisiert.

Dorothea von Thörne hat sich eng an die Tagebücher Brigitte Reimanns gehalten, allzu eng. Es gibt kaum Textanalysen, und über weite Strecken fehlt der Bezug zu literaturhistorischen, soziologischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhängen. Entstanden ist das Bild einer schönen, mutigen, verzweifelten Frau. Es hätte darüber hinaus eine Typologie intellektuellen Lebens in der DDR werden können.

Die hat Sabine Zurmühl mit ihrer Biographie über Maxie Wander geliefert. Ihre Fotos zeigen ebenfalls eine lebensfrohe, sinnliche Frau. Maxie Wander wurde in Wien geboren, sie entstammte einer klar gegen den Nationalsozialismus eingestellten Arbeiterfamilie. Die begabte Tochter sollte den Traum der Familie vom sozialen Aufstieg erfüllen, aber sie verliebte sich in den 16 Jahre älteren Schriftsteller Fred Wander, einen Auschwitz-Überlebenden. Als Ende der fünfziger Jahre eine Reihe linker Künstler von Wien nach Ostberlin ging, um ihrer politischen Kaltstellung im österreichischen Kulturbetrieb zu entgehen, zogen auch die Wanders mit. Angesichts der Massenflucht in den Westen bedeutete es für die DDR einen Propagandaerfolg, daß ein paar Leute die umgekehrte Richtung einschlugen. Die Wanders fühlten sich nun materiell abgesichert und bezogen im Berliner Vorort Kleinmachnow ein Haus. Den österreichischen Paß behielten sie.

Anders als Reimann, die gar nicht daran dachte, in ihren Ehen irgendwelche Einschränkungen zu akzeptieren, wollte Maxie Wander zunächst vor allem Hausfrau und Mutter sein. Es gelang ihr aber nicht, sich auf diese traditionelle Rolle beschränken. Im Mai 1968 kam es zur Katastrophe. Während sie mit Lektüre und Reisevorbereitungen beschäftigt war, verunglückte die achtjährige Tochter beim Spiel vor dem Haus tödlich. Bis an ihr Lebensende hatte Maxie Wander das Gefühl, als Mutter versagt zu haben.

Der Wunsch nach Kreativität blieb indessen unbezähmbar. Ihre Versuche, journalistisch zu arbeiten, wurden schnell abgeblockt, denn der frische Ton ihrer Reportagen widerlegte das offizielle Parteichinesisch. Sie begann zu fotografieren und veranstaltete zusammen mit ihrem Mann eine Fotoausstellung über Paris, die schnell wieder geschlossen wurde, weil sie bei den Besuchern sozialismusfremde Sehnsüchte weckte. Nach dem "Prager Frühling" stellte das Ehepaar seine Beitragszahlungen an die Kommunistische Partei Österreichs ein. Vorsichtige Sondierungen ergaben, daß eine Rückkehr nach Wien ausgeschlossen war, sie wären im Westen ins soziale Nichts gefallen.

1977 kam mit dem Buch "Guten Morgen, du Schöne" endlich der Durchbruch. Es enthält Gespräche mit Frauen aller Altersgruppen und unterschiedlicher sozialer Herkunft, die Maxie Wander geführt, redigiert, gestrafft, ergänzt, umgeschrieben hat. Das Buch war ein Paukenschlag. Aus allen Protokolle sprach das Bedürfnis, in einem System, das dem Individuum ständige Unterordnung abverlangte, endlich "Ich" zu sagen. Die Frage nach der Emanzipation der Frau weitete sich zu der Fragestellung, wie es denn mit der Emanzipation des Menschen überhaupt bestellt sei. Offen wurde ausgesprochen, daß der essentielle Wert des Lebens nicht darin liegen könne, seine Existenz mit dem offiziellen Normengefüge in Übereinstimmung zu bringen. In ihren posthum veröffentlichten "Tagebüchern und Briefen" (1978) war nachzulesen, mit welcher Intensität Maxie Wanders Denken gerade um diesen Gedanken zunehmend gekreist hatte. Auch im Westen fühlte sich ein großes Publikum von Maxie Wanders Büchern angesprochen. Die Stasi setzte den Lektor, der "Guten Morgen, du Schöne" an der Zensur vorbeibugsiert hatte, umgehend ab. Maxi Wander hatte keine Zeit mehr, sich über ihren Erfolg zu freuen. Auch zum geplanten Umzug nach Mecklenburg, weg von der Mauer, kam es nicht mehr. Sie starb im November 1977 an ihrer – mit skandalöser Inkompetenz behandelten – Krebserkrankung.

Die Autorin Sabine Zurmühl verfügt neben der nötigen Quellenkenntnis auch über die erzählerischen Qualitäten, um Maxie Wanders Lebenssituationen, ihre vermuteten Gedankengänge und Motive mimetisch nachzuvollziehen. Ihr Buch ist mehr als eine Biographie, es ist ein fesselnder Lebensroman.

Zeitzeugen erinnern sich, daß von Brigitte Reimann und Maxie Wander ein unvergeßlicher, persönlicher Zauber ausging. Beide zogen aus kollektiven Irrtümern, an denen sie teilhatten, mutige Schlußfolgerungen. So wurden die Stationen der Entfremdung für sie zu Etappen der Selbsterkenntnis und, paradoxerweise, zu ihrem Eigentum. Schließlich erreichten sie, was die meisten unter weit günstigeren Umständen niemals erreichen: Ein weitgehend selbstbestimmtes Leben.

 

Dorothea von Törne: Brigitte Reimann. Einfach wirklich leben. Biographie. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000, 293 Seiten, Abb.,16,90 Mark

Sabine Zurmühl: Das Leben, dieser Augenblick. Die Biographie der Maxie Wander. Henschel-Verlag Berlin 2001, 314 Seiten, Abb., 39,90 Mark


 
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