© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Verstörend
Oper: Puccinis "Tosca" am Staatstheater Kassel
Konrad Pfinke

Wenn der junge Regisseur Sebastian Baumgarten, der für viele Kasseler Zuschauer das enfant terrible der lokalen Opernszene zu sein hat, eine Oper inszeniert, darf man als Zuschauer sicher sein – ob man will oder nicht –, sein Innerstes zu spüren. Beim seinem letzten "Rosenkavalier" bliesen die Abonnenten noch in zahlreiche Trillerpfeifen – nun ist die hysterische Aufregung einem kurzen, kräftigen Schlagabtausch zwischen wütender Ablehnung und begeisterter Zustimmung gewichen.

Gewiß: Baumgarten macht es dem Zuschauer nicht leicht. Er interessiert sich nicht, wie er sympathisch offen bekennt, für den alten, zu Tode inszenierten Stoff, diesen Dreieckskonflikt zwischen der Diva, dem Künstler und dem Polizeichef, sondern bebildert mit einem so fröhlichen wie ernsthaften Assoziationsnetz seine persönliche Weltsicht. So pfropft er Puccinis genialer Abhandlung über die Allgegenwärtigkeit des Terrors eine durchaus aktuelle Geschichte auf – und bleibt doch dem sinnlichen Gehalt der Vorlage treu. Scarpia wird zum verbrecherischen Guru einer entheiligten, morbiden Spaßgesellschaft, die sich nur noch dann spürt, wenn sie ihre Gefühle ins Extrem treibt. Pech für den Maler Cavaradossi, daß er die Spielregeln nicht kapiert und sich, der finale Lebensekel macht’s möglich, schließlich angesichts eines grotesken, killermaschinenhaften Erschießungskommandos selbst die Kugel gibt. Daß Scarpia als gespenstischer Schatten das Geschehen bis zuletzt dominiert, ist durchaus im Sinn des Komponisten – und es ist immer wieder faszinierend, die enge Verzahnung von Szene und Musik zu bemerken.

Die Sorgfalt, mit der Baumgarten der Partitur und dem musikalischen Ausdruck vertraut, beweist, daß seine Werktreue höher ist, als es eine "werktreue" Inszenierung vermöchte. Eine blonde Muse, die der Maler mit blauer Farbe übergießt, um mit ihr seine Sex-Spielchen zu treiben, ein mit italienischen Nationalsymbolen ausgestatteter Chor, Riesen-Ratten und graue Mönche, die mit Gasleitungen die Szene ausräuchern und die hinreißend surreale Alptraumwelt des Schlußakts bevölkern – all das kann sich auf Puccini und dessen Bühnenvorlage, Sardous Boulevard-Drama "La Tosca", berufen, ohne ihm sklavisch und einfallslos zu folgen.

Zur starken Spannung tragen natürlich auch die verläßlichen Sänger bei, allen voran Manfred Volz, der als Scarpia stets die schwierige Balance zwischen dämonischer Bosheit und menschlicher Tiefe hält. Kassels Callas heißt Lona Culmer-Schellbach, und mit Olafur Bjarnson hat sich das Staatstheater einen sehr realistischen, sehr menschlichen Cavaradossi eingeladen, der den Künstler als flippigen, orientierungslosen Sympathieträger bringt. Roberto Paternostro führt mit gewohnt sicherer Hand durch die Partitur, um vor allem die extremen Akzente der zuweilen herrlich brutalen Musik zu betonen.Auch am Ende dieser Premiere ist klar, daß Sebastian Baumgartens verstörende Regiearbeiten nicht der Zerstörung, sondern der erhellenden Belebung einer oftmals totgesagten Gattung dienen.

Scarpia und die Diva: Manfred Volz und Lona Culmer-Schellbach


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen