© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
"Wir spüren keinerlei Solidarität von anderen Journalisten"
Interview: Der kroatische Journalist Josip Jovic über den politischen Druck auf die Tageszeitung "Slobodna Dalmacija" und die Krise in Kroatien
Carl Gustaf Ströhm

Herr Jovic, Sie sind Chefredakteur der in Split erscheinenden Tageszeitung "Slobodna Dalmacija". Jetzt hat die in Kroatien regierende SDP gedroht, die bisherige Redaktion hinauszuwerfen, den Chefredakteur abzusetzen und die Zeitung wieder zu einem "anständigen" Organ zu machen. Was bedeutet das alles?

Jovic: Die gegenwärtige Regierung hat alles unternommen, um die von uns während des vergangenen Jahres eingeschlagene Linie zu konterkarieren und zu verändern. Man bediente sich dabei verschiedener Methoden: Man drohte, den Konkurs über das Blatt zu verhängen. Dann hätten sie eine neue Firma gründen und ihre eigenen Leute einsetzen können. Außerdem wurde versucht, eine innere Revolte der in Verlag und Redaktion Beschäftigten auszulösen. Es wurden Petitionen und Resolutionen gegen mich in Umlauf gesetzt. Die Zagreber Regierung nutzte ihr formelles Recht als Eigentümer, da die Zeitung noch immer nicht privatisiert ist. Die Linksregierung entsandte ihr genehme Personen in den Aufsichtsrat, mit dem Ziel, die Verlagsleitung neu zu besetzen. Die neue Verwaltung soll dazu einen neuen Chefredakteur ernennen. Es kann also sein, daß ich zum Zeitpunkt, da dieses Interview erscheint, gar nicht mehr Chefredakteur sein werde. (Diese Prophezeiung hat sich inzwischen bewahrheitet, JF.)

Ist das Vorgehen der Regierung rechtlich überhaupt gedeckt?

Jovic: Die Regierung hat formal ein Recht auf ein solches Vorgehen, obwohl das allem widerspricht, was sie seit ihrem Amtsantritt vor über einem Jahr proklamierte: nämlich, daß sie nicht Eigentümer von Medien zu sein wünsche. Aber sie hatte inzwischen genug Gelegenheiten, die Zeitung Slobodna Dalmacija zu verkaufen. Es gab zwei oder drei ernsthafte Angebote. Doch die Regierung zog es vor, einige dubiose finanzielle Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit des Blattes aus dem Staatshaushalt abzudecken. Das heißt: die Regierung war sogar bereit, zu bezahlen, um die Kontrolle über die Zeitung zu behalten.

Wie haben Sie sich bisher halten können?

Jovic: Wir haben uns im letzten Jahr den Ruf erworben, die einzige unabhängige Tageszeitung in ganz Kroatien zu sein. Genau das aber konnte und wollte die jetzige Regierung nicht schlucken, denn sie strebt die vollkommene Kontrolle über alle Medien in Kroatien an.

Für den westlichen Leser kommt das, was Sie sagen, etwas überraschend, denn im Westen ist die Meinung verbreitet, die neue Regierung habe die Demokratisierung Kroatiens verwirklicht – nach zehn Jahren sogenannter Tudjman-Diktatur.

Jovic: Ich glaube, hier handelt es sich um furchtbare Manipulationen. Wir haben am eigenen Leibe erfahren, daß es jenen, die sich ständig auf die Demokratie berufen – einschließlich internationaler Vereine, Nicht-Regierungs-Organisationen und Politiker – meist gar nicht so sehr um die Demokratie geht. Vielmehr geht es ihnen um einen bestimmten Typus der Macht und des Regierens in bestimmten Ländern. Die Situation der Medien war zur Zeit Franjo Tudjmans unvergleichlich besser als heute. Die Atmosphäre war liberaler, es gab viel mehr kritischen Journalismus. Es gab viel mehr unterschiedliche Meinungen und viel mehr Kritik gegenüber der Regierung, als dies heute der Fall ist. Jetzt sind in Kroatien Leute an die Macht gekommen, die bereit sind, jene Politik durchzuführen, die das Ausland von ihnen verlangt. Es ist eine Täuschung, wenn man von einem großen Sieg der Demokratie in Kroatien spricht. Hier hat sich nicht eine Wendung in Richtung Demokratie, sondern lediglich ein Machtwechsel vollzogen. Das wollen viele Leute, besonders im Ausland, nicht begreifen. Daß es aber so ist, bestätigt sich nicht nur am Zustand der kroatischen Medien, sondern etwa auch am Zustand unserer Justiz, wo man im Vergleich zu früher sogar einen Schritt rückwärts gegangen ist: der Vorgesetzte aller Richter ist neuerdings der Justizminister. Damit kontrolliert die ausführende Gewalt praktisch die Gerichte.

Wie würden Sie die heutige Situation in den kroatischen Medien charakterisieren?

Jovic: In der Medienszene herrscht ein spürbarer linker Terror. Weil das so ist, fanden wir uns plötzlich in der Rolle einer "rechten Zeitung" – obwohl ich diese Qualifikation nicht akzeptiere, vor allem nicht, wie die andere Seite die Teilung in "links" und "rechts" definiert.

Gibt es irgendeine Solidarisierung anderer Zeitungen und Journalisten?

Jovic: Das ist ja das Seltsame – wir spüren nicht nur keinerlei Solidarität, sondern schlimmer noch: die anderen Zeitungen solidarisieren sich mit den Angriffen der Regierung auf unser Blatt. Als uns der Staatspräsident Stipe Mesic als "faschistoide" Zeitung beschimpfte, wurde der Vorsitzende des Journalistenverbandes gefragt, was er davon halte: Er halte das für "ein wenig übertrieben". Das war ziemlich zynisch. Zu diesem Vorgang aber sollte man wissen, daß unsere Schwierigkeiten mit Mesic im gleichen Augenblick begannen, als wir Geheimdokumente über seine seinerzeitige Zusammenarbeit mit dem ehemaligen jugoslawischen Geheimdienst veröffentlichen. Ein anderer Fall: wir veröffentlichten unlängst den Text einer Rede, die Mesic noch als führender Politiker der Tudjman-Partei HDZ gehalten hat. Das war 1993 in der Schweiz. Wir verglichen seine damalige Rede mit dem, was er jetzt sagt – etwa, was Bosnien-Herzegowina oder das Ustascha-Regime des Jahres 1941 betrifft. Dabei stellte sich heraus, daß er damals das genaue Gegenteil von dem vertrat, was wir heute von ihm hören.

Als Tudjman Präsident war, kamen nach Kroatien internationale Kommissionen und Journalistenorganisationen, welche vorgaben, die Freiheit der Medien untersuchen zu wollen. Sind bei Ihnen jetzt westliche Politiker oder Kollegen aufgetaucht, die sich für Ihren Fall interessierten?

Jovic: Niemand hat sich für uns interessiert. Niemand aus dem Ausland oder aus dem Westen hat uns ja auch nur eine einzige Frage in dieser Richtung gestellt.

Haben die in Zagreb akkreditierten West-Diplomaten Kontakt zu Ihnen gesucht?

Jovic: Niemals. Es kamen gelegentlich einige untergeordnete Funktionäre der OESS, die mit uns einige Routinegespräche führten.

Im Westen herrscht die Meinung vor, in Zagreb regiere jetzt eine Mitte-Links-Koalition. Stimmt diese Charakterisierung?

Jovic: In Kroatien ist jetzt eine Koalition aus sechs Parteien an der Macht – aber die führende Rolle in dieser Koalition spielt die SDP von Premier Ivica Racan. Seine Partei, die Sozialdemokratische SDP, führt die Regierung, während die übrigen fünf eine Alibirolle spielen. Sie sollen als Beweis für demokratische Breite dienen. Aber die Schlüsselpositionen im Staat und die Schlüsselministerien sind in der Hand Racans und seiner Leute. Die westliche Welt wird getäuscht, denn die SDP ist keinesfalls eine Sozialdemokratie europäischen Typs. Diese Partei entspricht nicht einmal unserer früheren Reform-KP. Der "Bund der Kommunisten Kroatiens" begann sich Ende der achtziger Jahre sogar zu demokratisieren. Im zu Jugoslawien gehörenden Kroatien kamen damals solche KP-Mitglieder an die Regierung, die sich immerhin um eine Befreiung von bolschewistischen Denkmethoden bemühten. Aber jetzt sind in Kroatien nicht diese Reformer an die Macht gekommen, sondern unter sozialdemokratischem Namen jene Kommunisten an die Schalthebel zurückgekehrt, die nach 1971 an der Niederschlagung des kroatischen Frühlings beteiligt waren und ihr Weltbild aus dieser Erfahrung beziehen.

Was sind das für Leute?

Jovic: Das ist ein Typus von Funktionären, der ständig in der Vergangenheit lebt. Er führt ständig ideologische Kämpfe. Er rechnet ständig mit irgendwelchen Gespenstern der Vergangenheit ab. Dieser Typus erneuert das KP- Denkschema – etwa was kroatische Emigration betrifft. Sie betrachten kroatische Emigration, also die Auslandskroaten, als etwas "Feindliches". Immer wieder wird also von "Feinden" gesprochen. Auch gegenüber der Kirche sind die jetzt herrschenden Kräfte negativ eingestellt. Außerdem haben sie eine negative Einstellung gegenüber der Meinungs- und Gedankenfreiheit, wie unser Beispiel deutlich zeigt. Besonders problematisch ist ihre Haltung in Bezug auf den Vaterländischen Krieg (1990–1995). Im Unterbewußtsein können diese Leute die kroatische Armee, die 1990 aufgestellt wurde, nicht von der Armee des Jahres 1941 trennen. Sie können innerlich auch keinen Unterschied zwischen der heutigen Republik Kroatien und dem "Unabhängigen Staat Kroatien" machen, der von 1941 bis 1945 existierte.

Gibt es vielleicht eine Jugoslawien-Nostalgie – einen Wunsch nach einer Wiederherstellung der alten Zustände?

Jovic: Es ist eine Tatsache, daß viele Leute aus jenem Bereich sich mit dem Zerfall Jugoslawiens nicht abgefunden haben. Sie hätten nichts dagegen, wenn dieser Staat erneuert würde. Einige Signale aus dem Ausland ermutigen sie dabei. Die negative Haltung gegenüber dem Befreiungskrieg hat auch in diesem Kontakt ihre Bedeutung. Man produziert also ein Bewußtsein, das auf die These hinausläuft: Es gab keinen Aggressor, es gab keine Verbrecher – beziehungsweise: die Verbrecher waren gleichmäßig auf alle Beteiligten verteilt. Man bezeichnet das Ganze fälschlich als Bürgerkrieg, obwohl es ein Krieg zwischen Nationen war. Damit fällt eine politische Barriere, welche die Rückkehr in ein neues konstruiertes Jugoslawien verhindern könnte.

Wie ist Ihrer Meinung nach die Einstellung der Mehrheit der Kroaten – wollen sie weiterhin einen eigenen souveränen Staat?

Jovic: Ich glaube, daß die Mehrheit bei uns den kroatischen Staat als einen Wert empfindet, für welchen es sich zu kämpfen gelohnt hat – und für den man auch in Zukunft kämpfen muß, diesmal nicht militärisch, sondern mit politischen Mitteln. Ich fürchte allerdings, daß durch ständige Beeinflussung viele Menschen unsicher gemacht werden und an der Bedeutung der Eigenstaatlichkeit für das Überleben des eigenen Volkes zweifeln könnten. Allerdings muß man auch sagen – kaum einer der kroatischen Wähler hat nach dem Januar 2000 die jetzige Politik gewünscht oder vorhergesehen.

Sie meinen die Ent-Tudjmanisierung?

Jovic: Die Ära Franjo Tudjmans wurde durch viele soziale, wirtschaftliche und moralische Probleme geprägt. Die Menschen erhofften sich, daß die neue Regierung diese Problematik lösen und die Situation verbessern würde. Niemand aber erwartete sich, daß man das große Werk Tudjmans – die Gründung des kroatischen Staates – in Frage stellen würde. Jetzt sind die Wähler verwirrt. Wenn wir heute von Tudjman sprechen, dann muß man bemerken, daß die Menschen zwei verschiedene Gestalten Tudjmans sehen: Einmal ist da der Tudjman, der die Kroatische Demokratische Union (HDZ) und den kroatischen Staat geschaffen hat – das war die Zeit, als Tudjman am vollkommensten die historischen Bestrebungen des kroatischen Volkes ausgedrückt hat. Er stand an der Spitze einer großen und großartigen Bewegung für die Schaffung eines selbständigen kroatischen Staates. Das aber bedeutete für alle Kroaten die Verwirklichung auch der individuellen Freiheit. Denn im jugoslawischen System waren wir schon durch die Tatsache verdächtig, daß wir Kroaten waren. Die Schaffung des Staates und der eigenen Armee, das Streben nach einer nationalen Versöhnung aller Kroaten – das waren große Ideen die ein großes historisches Resultat brachten. Auf der anderen Seite hatte Tudjman gewisse Schwächen – etwa, was die Organisation der Gesellschaft oder die Schaffung der "Zivilgesellschaft" betraf. Hier aber muß man bedenken, unter welchen Bedingungen er antrat: es war eine Zeit des Krieges.

 

Josip Jovic stand fünfzehn Monate lang als Chefredakteur an der Spitze der einzigen regierungskritischen Tageszeitung Kroatiens – der Slobodna Dalmacija (Freies Dalmatien). Ausgerechnet am 3. Mai, dem internationalen "Tag der Pressefreiheit", wurde Jovic auf Betreiben der Zagreber Linksregierung über Nacht abgesetzt. Im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT, das wenige Tage vor seiner Absetzung geführt wurde, spricht Jovic unverblümt vom "linken Terror" in der heutigen kroatischen Medienszene. Der 1950 in Imotski, im Binnenland Dalmatiens geborene Jovic arbeitete als Redakteur und Kommentator und ist Autor mehrerer zeitgeschichtlicher Bücher – u. a. "Die Geburt Kroatiens" (1992), "Die Versuchung der Freiheit" (1997) und "Die Qual von Dayton" (1999). In seiner Amtsführung galt er, obwohl er weltanschaulich eher als konservativ und national-kroatisch einzustufen ist, als ausgesprochen liberal: Er ließ auch jene zu Wort kommen, die ihm jetzt den Mund verbieten.


 
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