© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
"Intelligenz ist kein Zufall"
Der Humangenetiker Volkmar Weiss über angeborene Intelligenz, Günther Jauch und Einwanderung
Sven Baier

Herr Dr. Weiss, in Ihrem Buch "Die IQ-Falle" stellen Sie die Ergebnisse Ihrer jahrelangen Forschungsarbeit im Bereich der Humangenetik dar und erörtern die Frage nach der Vererbbarkeit von Intelligenz. 1970/1971 etwa haben Sie 1.329 Jugendliche, die durch Spitzenleistungen in Mathematik aufgefallen sind, mit deren nahen Verwandten in einer Kartei erfaßt und die Daten ausgewertet. Gibt es ein "Intelligenzgen"?

Weiss: Mit der Datenanalyse der rund 25.000 Verwandten der Schüler kam ich tatsächlich zu dem Ergebnis, daß es ein solches "Intelligenzgen" geben muß. Das regelmäßige Auftreten von weit überdurchschnittlicher Intelligenz in den untersuchten Familien kann nur mit den Mendelschen Regeln – d.h. dem Spalten von Genen – erklärt werden. Ich war damals selbst sehr überrascht, denn die gängige Forschermeinung war, daß für die Intelligenz eine große Gruppe von Genen zuständig sei und nicht nur ein einziges. Der wichtigste Punkt ist jedoch der, daß Intelligenz eine angeborene Eigenschaft ist. Ihr Auftreten ist daher nie Zufall.

Ihrer These widersprechend gibt es Beispiele in der Soziologie, in denen eineiige Zwillinge, die räumlich und sozial völlig unterschiedlich aufgewachsen sind, unterschiedliche Begabungen und Interessen besitzen. Wie erklären Sie sich das?

Weiss: Die Zwillingsforschung hat gezeigt, daß in der Tat Unterschiede in der Intelligenz zwischen Zwillingen auftreten können, wenn sie in völlig verschiedenen Umwelten aufwachsen und geprägt werden. Die Differenz zwischen den IQ-Werten kann maximal 20 IQ-Punkte umfassen. Eines darf man nicht vergessen: Auch wenn Intelligenz wichtig ist, die Persönlichkeit ist wesentlicher. Wie heißt es doch in einem geflügelten Wort: "Intelligenz schadet nicht, reicht aber allein nicht aus."

Apropos Zitate: Fontane behauptete, "erst der Fleiß macht das Genie". Kann man Intelligenzmängel durch Fleiß wettmachen?

Weiss: Natürlich ist daran ein wahrer Kern, aber die linke Ideologie, aus jedem alles machen zu können, ist utopisch. Ein schlechter Schüler beispielsweise wird unter normalen Bedingungen die Reifeprüfung nie ablegen können. Um so trauriger ist es, daß die Schulen von heute diesem egalitären Streben, diesem gleichmacherischen Druck der Linken in vielen Bundesländern – mit Ausnahme von Bayern und Sachsen – nachgegeben haben. Andererseits hat Fontane auch recht, weil auch ein Begabter sich auf den Hosenboden setzen, lernen und studieren muß, wenn er etwas erreichen will.

Was meinen Sie damit, daß die Schulen die linke Denkweise übernommen hätten?

Weiss: Die Gesamtschulen meine ich damit, sie sind in der Tat ein Problem, indem sie den individuellen Schüler nicht so fördern, wie es eine Haupt-, Realschule oder ein Gymnasium schafft. Auch hier ist der Wunsch der Vater des Gedankens, daß man aus jedem Schüler praktisch einen Abiturienten machen kann, also typisch links-ideologisch. Darunter leiden diejenigen, die leistungsfähig und leistungsbewußt sind, da bekannterweise die Gruppe immer nur so gut ist wie das schwächste Glied. Es ist an der Zeit, wieder differenziert und ohne Rücksicht auf erfolgssüchtige Eltern die Schüler am für sie richtigen Platz lernen zu lassen.

Was ist für den intellektuellen Erfolg eines Menschen wichtiger – die durch Vererbung vorgegebene Intelligenz oder der Fleiß, fehlende Intelligenz wettzumachen?

Weiss: Diese Frage ist vom gleichen Kaliber wie die, ob zuerst die Henne oder das Ei existierte: Es gibt keine Antwort außer die, daß beide Faktoren nicht ohne den anderen sein können.

Zu DDR-Zeiten wurden Sie in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit vom dogmatischen Flügel der SED jahrelang kaltgestellt, weil Ihre Thesen gegen das sozialistische Dogma verstießen, der Mensch werde nur durch seine Umwelt geformt. Auch heute noch ist Ihre Forschermeinung für einige Leute ein Tabu. Wie versuchen Sie dennoch, Ihre Kritiker durch Argumente zu überzeugen?

Weiss: Meine Kritiker sind Leute, die den Stand der Wissenschaft nicht akzeptieren können oder wollen. Sie glauben nicht daran, daß jeder Mensch nicht nur in seinem Aussehen, sondern auch und vor allem in seinen geistigen Gaben verschieden ist. Es darf keine Ergebnisgleichheit zwischen den Menschen geben: Diejenigen, die nicht für das Abitur geboren wurden, sind deswegen keine schlechteren Menschen, sie sollten aber ihren Neid ablegen und akzeptieren, daß die Leistungsfähigeren auch mehr verdienen. Die ideologisch Linken jedoch von ihrer Meinung abzubringen, ist schier unmöglich: Argumente helfen hier nicht mehr weiter.

Ihnen wird immer wieder vorgeworfen, mit Ihren Thesen den Sozialdarwinismus und einen unterschwelligen Faschismus wissenschaftlich zu hofieren.Wie stehen Sie zu diesen schweren Vorwürfen?

Weiss: Ich habe eben schon gesagt: Ein intelligenter Mensch ist noch lange kein besserer Mensch, geschweige denn in der NS-Terminologie eine Art "Übermensch". Gerade diese Vorwürfe zeigen wiederum, daß die Linken, wenn sie mit Sachargumenten nichts mehr erreichen, persönlich werden und diffamieren.

Die Frage ist doch aber nicht auf ein simples Rechts-Links-Schema zu reduzieren. Auch anerkannte Forscher wie Lewontin, Gould und Friedrich beziehen mit eigenen wissenschaftlichen Thesen gegen Sie Stellung.

Weiss: In dem breiten Feld der Wissenschaft gibt es natürlich einige, die meine Arbeit durch die verschiedensten Publikationen angreifen. Diese Leute gehören auch zur "radikalen Linken" und forschen daher noch auf einer ideologischen Grundlage.

Sie erhalten von vielen Seiten Gegenwind. So hatten Síe auch Probleme, für Ihr Buch "Die IQ-Falle" einen Verlag zu finden.

Weiss: Bevor ich mein Buch geschrieben habe, hatte ich vor, das Buch "The Bell Curve" von den Amerikanern Richard Herrnstein und Charles Murray zu übersetzen. Sie belegen, daß die Intelligenz im weitesten Sinne die sozialen Unterschiede erklärt. Ich wollte lediglich das Kapitel über die notwendigen politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen umschreiben, um es direkt auf Deutschland zu münzen. Zahlreiche Verlage lehnten aber ab, das kontroverse Buch zu publizieren. Dann wurde ich von meinem Kollegen Hans-Jürgen Eysenck ermutigt, ein eigenes Buch zum gleichen Thema zu schreiben, aber auch dieses Mal winkten die großen Verlage ab – wahrscheinlich waren meine Thesen für sie ein zu heißes Eisen. In den Begründungen hieß es manchmal unverhohlen, das Geschäftsrisiko, das von diesem Buch ausgehe, sei zu hoch.

Political Correctness im Verlagswesen?

Weiss: Leider ja. Zu meinem Glück veröffentlichte dann der österreichische Leopold Stocker Verlag in Graz mein Buch "Die IQ-Falle".

Sie kehren in Ihrem Buch immer wieder zu Ihrer These zurück, daß der Intelligenzgrad eines Menschen durch die Genetik bestimmt wird. Welche praktischen Beispiele gibt es dafür?

Weiss: Beispiele, in denen sich Intelligenz trotz schlechter Bedingungen durchsetzt, gibt es zahlreiche: In den Niederlanden gab es 1945 eine schwere Hungersnot, da die holländische Bevölkerung einige Wochen von der Versorgung abgeschnitten war. Die Kinder und Säuglinge waren in einem sehr schlechten Zustand. Trotzdem hatten sie später keine IQ-Ausfälle, wie man es eigentlich hätte vermuten können.

Wirkt sich eine Hungersnot überhaupt nicht negativ auf die Intelligenz aus?

Weiss: So kann man das nicht sagen. Eine lang währende Hungersnot wird sehr wohl zu Intelligenzminderungen führen, ohne dabei die Unterschiede zwischen den Menschen zu verwischen. Dieses Phänomen kann man am Besipiel einiger afrikanischer Länder nachvollziehen, in denen die Kinder an chronischer Unterernährung leiden.

Wie wirkt sich dann das Fernsehen auf die Intelligenz junger Menschen aus?

Weiss: Man hat festgestellt, daß die sogenannte "Testintelligenz" über die letzten Jahrzehnte aufgrund des Fernsehens und des Internets deutlich gestiegen ist. Das ist aber noch nicht die gesamte Geschichte, denn gleichermaßen sinken zum Beispiel die Rechtschreibfähigkeiten.

Sie verweisen bei der Frage nach den sozialen Unterschieden auf die unterschiedliche Intelligenz. Wer aber ist überhaupt die intellektuelle Elite?

Weiss: In einem Kapitel meines Buches gehe ich auf diese Frage dezidiert ein. Die Begriffe "Intelligenz" und "Intellektuelle" haben in der Nachkriegsgeschichte eine völlig unterschiedliche Entwicklung genommen. In den alten Bundesländern wird der Begriff "Akademiker" für die besagte Schicht noch verwendet. In der DDR meinte man mit der Intelligenzschicht diejenigen, die einen Hoch- und Fachschulabschluß besaßen. Jeden aus dieser Schicht heute aber als Intellektuellen zu bezeichnen ist verfehlt, denn ein universitärer Abschluß allein reicht beim besten Willen nicht aus.

Was macht den Intellektuellen neben seiner Bildung und seiner Intelligenz im Sinne eines IQ-Tests noch aus?

Weiss: Ein weiteres Merkmal ist sicher die Kreativität – und das im weitesten Sinne. Kreativität und Intelligenz sind also die zwei Größen, an denen die intellektuelle Elite festzumachen ist. Denn äußerst wichtig hierbei ist: Nur etwa die Hälfte derer, die einen überdurchschnittlich guten IQ-Test abgelegt haben, ist wirklich kreativ schaffend.

Wie sicher und aussagekräftig sind die bekannten IQ-Tests eigentlich?

Weiss: Hundertprozentig sind die Tests selbstverständlich nicht. Meßfehler und Ungenauigkeiten können immer auftreten. Weiterhin ist der körperliche und seelische Zustand sehr wichtig für den Ausgang. Es ist ganz logisch, daß man beispielsweise ausgeruht ein besseres Ergebnis erzielt. Aus diesem Grunde ist es recht unwahrscheinlich, daß jemand bei zwei Tests dieselben Ergebnisse erzielt.

Was halten Sie von dem Vormarsch der Quiz-Sendungen im deutschen Fernsehen?

Weiss: Das ganze finde ich äußerst interessant. Günther Jauchs Sendung beispielsweise, die nicht viel anders ist als ein nach Siegfried Lehrl sogenannter "Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest". Das bedeutet, daß die Testperson – in diesem Fall der Kandidat – zwischen mehreren Antworten wählen, also die unwahrscheinlichen logisch aussortieren kann. Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang ist der bislang einzige Gewinner des Höchstpreises.

Wieso?

Weiss: Es hat mich überhaupt nicht überrascht, daß es ein Professor war, der die eine Million Mark gewonnen hat. Ganz eng verbunden mit dem Erfolg in der Sendung ist der Schul- oder Hochschulabschluß wie der IQ, denn "Wer wird Millionär?" ist in erster Linie ein IQ-Test ohne wirklichen Spielcharakter, auch wenn das Herr Jauch niemals zugeben würde.

Aber ist es nicht so, daß diese Quizsendungen hauptsächlich pures Wissen abfragen? Immerhin sind Wissen und Intelligenz zwei verschiedene Paar Schuh.

Weiss: Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen der Jauchschen Sendung und den IQ-Tests, wie man sie kennt. Die meisten Tests könnten auch von Menschen ohne jegliche Bildung gemacht werden. In Tests dieser Art muß man rasch simple Symbole erkennen, Spielkarten sortieren oder aus zahlreichen langen Buchstabenfolgen einen bestimmten unter Zeitdruck durchstreichen. Weil man das kaum üben kann, ist diese Form von Test besonders sinnvoll. Wir nennen einen solchen einen "kulturfreien IQ-Test".

Wie erklären Sie sich den Erfolg von "Wer wird Millionär?"?

Weiss: Der Erfolg dieser Art von Sendungen ist in der Tat sehr interessant. Ob in den USA, in Polen oder in Deutschland: Überall sind die Einschaltquoten hoch. Kein Wunder also, wenn die verschiedenen Sendungen sich so ähneln bzw. sich gar gleichen. Was den Zuschauer reizt, ist zum einen das Interesse daran, wie klug der Mitmensch ist, und zum anderen der hohe Gewinn. Wir wollen uns immer und überall messen, genau das tut der Zuschauer. Er ärgert sich, daß er nicht das viele Geld gewinnt, wenn er eine schwere Frage beantworten kann und der Kandidat nicht.

In der Sendung die Fragen als Kandidat richtig zu beantworten ist das eine, aber wie schwer ist es, überhaupt in die Sendung eingeladen zu werden?

Weiss: Genau da liegt der Knackpunkt, denn wer es in die Sendung geschafft hat, hat mehr als Glück gehabt. Die Hürden der Auswahlverfahren sind sehr hoch gesteckt, es ist statistisch gesehen schier unmöglich, vom Wohnzimmersofa in die Sendung zu gelangen und den Hauptpreis zu gewinnen. Ich habe einmal ausgerechnet, daß das weitaus schwieriger ist, als im Lotto sechs Richtige zu haben.

Heutzutage entstehen durch die Medien neue, recht fragwürdige Idole, ein Beispiel ist der "Big Brother"-Star Zlatko, der nicht einmal Shakespeare vom Namen her kannte. Dies suggeriert Jugendlichen, daß man auch mit purer Dummheit Erfolg haben kann. Marschieren wir einem Intelligenz-GAU entgegen?

Weiss: Das ist etwas zu drastisch formuliert. Dennoch haben die Medien die starke Tendenz, die Diktatur der Mittelmäßigkeit zu forcieren, und das ist natürlich eine ganz gefährliche Tendenz.

Was fällt Ihnen zu Zlatko ein?

Weiss: Dazu muß ich sagen, daß das ganze eine traurige Entwicklung ist, aber Zlatko ist nun einmal Realität. Hoffnung gibt es dennoch: In Zeiten der Krise werden die intelligentesten Menschen zu Vorbildern und Führern gewählt. Im Zweiten Weltkrieg kam es zum Beispiel oft vor, daß, wenn die Offiziere und Unteroffiziere von einer versprengten Einheit gefallen waren, der Intelligenteste von seinen Kameraden zum Kommandierenden gewählt wurde. Das ist ein menschlicher Urinstinkt.

Daß das Bildungsniveau in Deutschland sinkt, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Ist unqualifizierte Einwanderung mit daran schuld, daß das Bildungsniveau der Bevölkerung sinkt?

Weiss: So politisch inkorrekt das auch klingen mag: Es spielt eine Rolle.

Was ist also zu tun?

Weiss: Nüchtern betrachtet müßte man Einwanderung stärker über die deutschen Interessen definieren, indem man ganz konkret mehr qualifizierte Einwanderer anstelle von Wirtschaftsflüchtlingen ins Land läßt.

 

Dr. Volkmar Weiss Jahrgang 1944, Dr. rer. nat. habil., Dr. phil. habil.; Leiter der Abteilung Deutsche Zentralstelle für Genealogie im Sächsischen Staatsarchiv Leipizig; 1990 Mitbegründer der DSU;

Ausgewählte Publikationen: "Psychogenetik: Humangenetik in Psychologie und Psychiatrie", 1982; "Bevölkerung und soziale Mobilität: Sachsen 1550–1880", 1993; "Die IQ-Falle: Intelligenz, Sozialstruktur und Politik", Leopold Stocker Verlag, Graz 2000. Informationen: www.v-weiss.de 

 

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