© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Nur im leichten Rausch erträglich
Michel Houellebecq: Die Welt als Supermarkt
Alexander Schmidt

Wenn ein Essayband mit dem Beitrag "Jacques Prévert ist ein Arschloch" beginnt, kann man sich auf etwas gefaßt machen, heißt es im Klappentext zu Michel Houellebecqs Essay-Sammlung aus den vergangenen Jahren. Harmlos scheint der entsprechende Beitrag angesichts des Stoffs, den Houellebecq seinen Lesern in den folgenden Aufsätzen und Interviews zumutet.

Genüßlich werden vermeintliche Freiheiten der Aufklärung aufgegriffen, mit subtiler Kehrseitenmentalität betrachtet und in ihr Gegenteil zurückgeführt: die Unfreiheit. Dabei sind ihm weder die heiligen Kühe der Moderne – Liberalismus, Individualismus und Menschenrechte – heilig, noch schreckt er vor der Darstellung des Menschen als bindungslosem Wesen zurück, das seine vermeintliche Freiheit allein als Rückweg in die Abhängigkeit von Lust und tierischen Trieben nutzt. Denn die Frage nach dem metaphysischen Grund des Daseins wurde mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und der New-Age-Welle unserer Zeit letztendlich gleichgültig.

Die Emanzipation hat, so Houellebecq nicht zu der Befreiung der Frau geführt, sondern zu dem Verschwinden von Selbstlosigkeit, Liebe und Sanftheit als Werte einer höheren Kultur zugunsten den männlichen, wettbewerbsorientierten Welt.

In Massen bewegt sich der moderne Mensch in Rave-Parties, Supermärkten und der Suche nach Sex fort, nimmt seinen Gegenüber, wenn überhaupt, als Objekt seiner Lust wahr und entflieht in den nächsten kurzweiligen Kontakt auf der Suche nach Erfüllung und der Flucht aus einer trostlosen, durchrationalisierten Welt. Anklänge zum "Partikular" von Botho Strauß sind unverkennbar, wenngleich Houellebecq die metaphorische Ebene verläßt, sich über Stil und Form der Literatur ausläßt und in Interviews seiner Politikverachtung freien Lauf läßt.

In völliger Gleichgültigkeit gegenüber der feierwütigen Massengesellschaft und den Verhaltensregeln, die er daraus ableitet, offenbart sich Houellebecqs feinsinniger Humor. "Es geht nicht darum, eine zynische und blasierte Haltung anzunehmen. Im Gegenteil, das bescheidene und von einem Lächeln begleitete Akzeptieren des allgemeinen Desasters ermöglicht den Erfolg, eine mißlungene Feier in einen Augenblick angenehmer Banalität zu verwandeln", rät er.

Mit diesem Lächeln führt er das Wesen der Feier mit seiner Empfehlung, sich vor Beginn in einen leichten Rausch zu versetzen, der die Erträglichkeit der Gesellschaft herbeiführen soll, und in dieser dann enthaltsam zu bleiben, daraufhin ad absurdum.

Insgesamt ist Houellebecq geneigt, den modernen Menschen, der als aufgeklärtes und geschichtsloses Wesen bungee-springend und ravend durch die Welt eiert, mit Ironie zu betrachten. Dabei drückt sich auch seine eigene Hoffnungslosigkeit in der Erkenntnis aus, selber auf der Suche nach Gott zu sein, den er sich zwar wünscht, dem er als a-religiöser Mensch aber unerreichbar fern bleiben muß.

 

Michael Houellebecq: Die Welt als Supermarkt. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001, 120 Seiten, 12,90 Mark


 
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