© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Staub der Geschichte
Oper: Peter Ruzickas "Celan" in der Semperoper
Konrad Pfinke

Man kann sich selbst nicht entkommen." Zumal dann nicht, wenn man eine Erfahrung wie Auschwitz scheinbar überlebt hat. Der Dichter Paul Celan hat die Vernichtung von Juden überlebt – aber wie viele andere wählte er schließlich den Freitod, um das Trauma zu überwinden.

"Celan" – so schlicht lautet der Titel der ersten Oper, die Peter Ruzicka im Auftrag der Semper-Oper geschrieben hat. Er schließt damit seine langwährende kompositorische Beschäftigung mit dem Meister der Sprache ab, dessen Lyrik zuletzt auf ein Verstummen der Sprache, also auf ein durchaus produktives Scheitern hinauslief. Das "Musiktheater in sieben Entwürfen" ist denn auch sinnvollerweise nicht auf die festgefügte Dramaturgie eines biographischen, gar kontinuierlichen Ablaufs angelegt. Der Librettist Peter Mussbach entwarf statt dessen Möglichkeits-Räume, fragmentierte Skizzen aus Celans Leben, Angst-Ecken einer Innenwelt, die bis in die Gegenwart ausgeleuchtet werden. Der Regisseur Claus Guth folgte dem offenen Konzept, indem er alte und neue Filme, Kampfsequenzen des Zweiten Weltkriegs, Buchenwaldbilder und Wintersequenzen in die Szene projizierte, in der nicht nur ein, sondern gar zwei Celans, also der Dichter und sein Doppelgänger agieren: zwei Seelen, ach – sie wurden zuschanden an einer Geschichte, die dem Überlebenden nur die Nicht-Identität übrigließ, auf daß am Ende der Tod in der Seine den Schlußpunkt setzt.

Also schauen wir in einen Kerker der Angst, in dem zumal Celan 1 gefangen ist. Umgeben von den Stand- und Zerrbildern einer Nachkriegszeit, die von den Problemen Celans nichts hören will, reagiert die Figur Celan auch in stereotypen Gesten, die zur scheinbaren Statik der Partitur trefflich passen. Celan und die Frauen, der junge Celan im Bukarester Surrealisten-Zirkel (der entzückend locker auf Giftpilzen thront), Celan und seine Frau, dazwischen geschaltet ein modernes Museum samt der Konfrontation eines Kommissars mit einem Hooligan – die Zersplitterung der beispiel- und bruchstückhaften "Entwürfe" stellt am Ende doch eine bedrängende Einheit dar. Zusammengehalten wird der zweistündige Abend vor allem durch die Interpretation der beiden phänomenalen Celans: Andreas Schmidt und Urban Malberg erobern sich die nicht allein vokal schwierigen Partien mit höchstem Einsatz. Schauspielerisch dankbarer ist auf den ersten Blick die Rolle eines grotesken Obers (Ralph Tomaszewski).

Eine Hauptrolle spielt der großartige Chor, dem das zentrale vierte, schlicht und eindringlich inszenierte Bild "Das Grauen – bildlose Welten ferner Gewißheit" gewidmet ist: eine Musik der Wortlosigkeit, horrend schwierig in ihren rhythmischen Finessen, vollkommen intoniert – und unendlich berührend, wenn im weißen Raum nur noch der Name "Jerusalem" erklingt und die weißbekittelten Menschen von grauem Staub bedeckt werden. Daß auch dieser Teil der Partitur gelang, ist dem Dirigenten Marc Albrecht und dem engagiert spielenden Staatsorchester hoch anzurechnen.

Ruzickas Musik erfaßt "Das Grauen" mit wenigen Ton- und Motivkomplexen, die einen unleugbaren Wiedererkennungseffekt haben. Es mag sein, daß das Material nicht die Spannung des ganzen Abends garantiert, aber es ist nicht zu bestreiten, daß dem Komponisten eine suggestive Musik gelang, deren formale Strenge mit der dramatischen Aktion vollkommen harmonierte, also beste Theatermusik ist. Das Ende aber beherrschten nicht die schweren, schwarzen Blechklänge, nicht die Cluster und Schlagzeugketten, sondern eine Streicher-Cantilene und die Sopranistin Sabine Brohm, die als Gattin Christine den Tod Celans stimmschön kommentierte.

Was folgte, war sehr freundlicher Applaus für ein über weite Stellen mitreißendes Werk – dem unlösbaren Stoff zum Trotz.


 
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