© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
"Am Ende trifft man sich in der Mitte"
Ein Gespräch mit dem sachsen-anhaltinischen JU-Vorsitzenden Markus Kurze über die Beschlüsse des Landestags
Jörg Fischer

Am vorvergangenen Wochenende fand der 11. Landestag der JU Sachsen-Anhalt in Wolfen im Landkreis Bitterfeld statt. Das JU-Papier, das dort verabschiedet wurde, erinnert seinem Inhalt nach mehr an die bayerische CSU. So fordert die JU eine an nationalen Interessen orientierte Einwanderungsgesetzgebung sowie eine Verschärfung des Asylrechts und der geltenden Abschiebungsregelungen. Ein dauerhafter Verbleib von Nicht-EU-Bürgern soll nur nach einem erfolgreich abgelegten Sprach- und Staatsbürgertest möglich sein. Dazu sagte JU-Pressesprecher Christian Fischer: "Mit der Forderung nach Quoten und einer Änderung des Asylrechts liegen wir seit Monaten eher auf der Linie der bayerischen CSU. Es kann bezweifelt werden, daß eine wirksame Asylrechtsverschärfung ohne Grundrechtsänderung überhaupt möglich ist. Des weiteren lehnen wir Einwanderung aufgrund der demographischen Problemlage ab. Auch Einwanderer werden älter und passen ihre Geburtenziffer dem Einwanderungsland an. Für uns hat eine verbesserte Familienpolitik Vorrang." Die JUNGE FREIHEIT sprach mit dem JU-Landesvorsitzenden Markus Kurze:

Ihre CDU-Jugendorganisation hat kürzlich Beschlüsse gefaßt, die eher an die CSU erinnern – welche Linie gilt denn nun?

Kurze: Die CDU ist eine große Volkspartei, in der es verschiedene Meinungen und Strömungen zu den unterschiedlichsten Themen der Gesellschaft gibt. Die CDU und die JU verstehen sich als konservatives Politikangebot gegenüber den vielen linksorientierten Parteien Deutschlands. Sicherlich haben wir dabei auch Ansichten, die vom liberalen bis in das konservative Spektrum hineinreichen, aber das zeigt die breite Beteiligungsmöglichkeit unserer Partei und zeichnet sie aus. Wenn wir von Sachsen- Anhalt nach Bayern schauen, imponiert es uns schon, wie sich dieses Land entwickelt hat. Dies geht unserer Meinung nach nur, wenn man ein geradliniges Politikangebot unterbreitet und sich dabei an Normen und Werten orientiert. Freiheit darf nicht falsch verstanden werden. Freiheit bedeutet, daß man nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten in der Gesellschaft zu erfüllen hat!

Sie fordern auch, die intensive, verharmlosende Alkoholwerbung im Fernsehen zu verbieten ...

Kurze: Alkohol ist die Volksdroge Nummer 1. Mit den gesetzlichen Bestimmungen wird vielerorts viel zu leichtfertig umgegangen. Sicherlich ist diese Forderung sehr hart, aber sie soll provozieren und zur Diskussion über das Problem Alkohol anregen. Wenn es uns gelingt, die Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren, wird es auch einen anderen Umgang mit dem Alkohol und den Zigaretten geben.

Sind es nicht unerfüllbare Versprechen Angela Merkels, wenn sie 1.200 Mark Kindergeld in den ersten Jahren fordert? Woher soll das Geld kommen?

Kurze:Es gibt viele Umverteilungsbeispiele in Deutschland, ob bei Rüstungausgaben, Steinkohlesubventionierung oder Beamtenapparat. Solange eine vierköpfige Familie, bei der die Eltern täglich arbeiten gehen, am Monatsende weniger Geld im Portemonnaie hat als eine vierköpfige Familie, die Sozialhilfe bezieht, gehen wir davon aus, daß genügend Geld vorhanden ist.

Die CDU-Zuwanderungskommission will das Asylrecht nicht einschränken. Sie aber fordern "die Umwandlung des bisherigen Grundrechts auf Asyl in eine verfassungsrechtliche Institutsgarantie". Wie wollen Sie diese Forderung politisch durchsetzen?

Kurze: Deutschland ist nicht und kann nicht für die gesamten Probleme der Welt verantwortlich gemacht werden. Gesetze müssen nicht über Jahrhunderte ihre Gültigkeit behalten, denn von Zeit zu Zeit sollten diese an die Realität angepaßt werden. Dabei meine ich nicht nur das Grundgesetz, sondern auch das BGB. Auch dort gibt es sicherlich Reformbedarf. Es ist für viele Menschen unverständlich, wenn ein Steuersünder härter bestraft wird als ein Sexualtäter oder Mörder. Schlimm, daß ein Menschenleben in der Rechtsprechung scheinbar weniger wert ist. Grundsatzpapiere und politische Ziele sind nicht immer sofort umsetzbar, deshalb müssen Forderungen provozieren und zur Diskussion darüber anregen. Es ist wie bei einem Verkäufer, der Preis wird anfangs hoch angesetzt und am Ende trifft man sich in der Mitte.

Die JU Sachsen-Anhalt ist gegen die von Rot-Grün propagierte eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft ("Homo-Ehe"). Ende 2000 verabschiedete der JU-Kreisverband München-West ein Positionspapier zum Thema "Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften". Darin wird gefordert, daß der Staat eingetragene Lebenspartnerschaften unterstützt und ihnen wesentliche Rechte der klassischen Ehe einräumt. Stehen Sie da mit Ihrer Position nicht allein in der JU?

Kurze: Wir sind auch dafür, daß gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften mit mehr Rechten ausgestattet werden. Ich glaube nicht, daß wir mit diesen Ansichten allein im Bundesverband der JU stehen. Wir wollen aber die Privilegierung der Ehe nicht aufgeben, und Rot-Grün ist dabei völlig anderer Meinung. Diesbezüglich kritisieren wir dabei auch Sachsen- Anhalt. Wir stehen in Sachsen- Anhalt in allen Eckdaten der Entwicklung an letzter Stelle in Deutschland und können es uns "leisten" ausgerechnet in dieser Frage aber Nummer 1 zu sein. Ab 1. August gibt es in Sachsen- Anhalt für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften die Möglichkeit zur Heirat. Hier werden seitens der rot-roten Regierung die Prioritäten für die Politik falsch gesetzt.

Anläßlich des 55. Jahrestages der SED-Gründung haben PDS-Chefin Zimmer und ihre Berliner Genossin Pau öffentlich ihr Bedauern darüber geäußert, unter "welchen Zwängen die Vereinigung von KPD und SPD 1946 vollzogen wurde". In Ihrem Bundesland regiert die PDS faktisch mit. Was spüren Sie von dem Sinneswandel?

Kurze: Am 21. April 2002 finden die nächsten Landtagswahlen in Sachen- Anhalt statt. Herr Höppner und die PDS bereiten die rot-rote Koalition schon gemeinsam vor. Dabei gibt es Kritik aus den eigenen Reihen. Nicht nur die alten Genossen sind dagegen, sondern auch gegenwärtige Sympathieträger, zum Beispiel der Magdeburger Oberbürgermeister Polte oder Ex-Wirtschaftsminister Gabriel. Mit dieser Koalition würde man eine ähnliche Zwangsvereinigung wie vor 55 Jahren vollziehen.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat in seinem Sozialpapier "Auf dem Weg zu neuer Solidarität" die These aufgestellt, "es gibt genug Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland". Wie sehen Sie das im Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote?

Kurze: Wir haben in der ehemaligen DDR das Problem, daß das Lohnniveau vieler Jobs unter der Sozialhilfe liegt. Es mag genügend Arbeit geben, aber leider zum größten Teil in den alten Bundesländern. Die Abwanderung junger Leute aus den neuen Bundesländern ist erschreckend. Es gibt kaum Arbeit in diesem Teil und wenn, ist sie sehr gering bezahlt. Bei einer 40-Stunden Woche verdienen Friseusen 900 Mark, ein Kellner 1.400 Mark, eine Arzthelferin 1.700 Mark brutto. In den alten Bundesländern würde dafür nicht einmal ein Student arbeiten gehen. Wie sollen die Menschen in den neuen Bundesländern damit leben? Wenn ein Maurer mehr Kraftstoff verfährt, als er verdient, funktioniert doch irgend etwas nicht mehr. In den alten Bundesländern kann sich diese Verhältnisse gar keiner vorstellen. Seit Kanzler Schröder den Osten 1998 zur Chefsache erklärt hat, stehen wir auf dem Abstellgleis. Ich glaube, daß der Kanzler Schröder nicht weiß, was um Berlin herum passiert. Herr Merz versucht mit seinen Thesen zu provozieren, um eine Diskussion zu entwickeln.

 

Markus Kurze, 1970 in Burg bei Magdeburg geboren, ist Landesvorsitzender der Jungen Union (JU) in Sachsen-Anhalt. Nach Abschluß seines Studiums zum Grundschullehrer war er zunächst fünf Jahre als Pädagoge in der Jugendarbeit des Deutschen Roten Kreuzes tätig. Seit 1999 leitet er den Aufbau des Stadtmuseums in Burg. Außerdem sitzt er seit der Kommunalwahl im Juni 1999 für die CDU im Kreistag des Jerichower Landes.


 
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