© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Ein halber Olymp
Im oberschwäbischen Heiligkreuztal fand das dritte Jünger-Symposion statt
Tobias Wimbauer

Der Freundeskreis der Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger veranstaltete am vorvergangenen Wochenende im oberschwäbischen Heiligkreuztal, unweit von Ernst Jüngers Wohnort Wilflingen, das dritte Jünger-Symposion. Es stand unter dem Motto "Verwandtschaften", zu verstehen als Ausdruck geistiger Nähe.

Das Symposion wurde eröffnet mit der Vorstellung des gelungenen und empfehlenswerten Bildbandes "Ernst Jünger in Wilflingen" von Barbara Figal, der nach dem Tode Ernst Jüngers aufgenommene Fotos enthält, welche die "Stimmung", die "Atmosphäre" des Hauses dokumentieren.

Den Auftakt zu den Vorträgen bildeten die Ausführungen Luca Crescenzis (Pisa) zu Verwandtschaften im allgemeinen und bei Jünger im besonderen. Der sich anschließende Beitrag über Jünger und Friedrich Hielscher konnte die Erwartungen nicht erfüllen. Nach der Einleitung Stefan Breuers lieferte seine Assistentin, die Diplom-Soziologin Ina Schmidt, ein schülerhaftes Referat, das nur Kopfschütteln hervorrief: Ohne erkennbare Struktur oder Ordnung der Gedanken, schnodderig im Tonfall und überheblich. Zudem war ihr Vortrag, in dem wesentliches ausgespart blieb, durchsetzt von Fehlern und Unverschämtheiten (Ernst Jünger als Antisemit beispielsweise). Spekulationen über den "frauenfeindlichen", da männerbündischen Charakter des Hielscher-Kreises fehlten ebensowenig wie die ex-post-Mutation Jüngers zum Hielscher-Jünger. In Gegenwart des Ehepaars Mohler versuchte Ina Schmidt krampfhaft, den Begriff "Konservative Revolution" zu vermeiden. Frau Schmidt hatte keinen guten Tag; es blieb jedoch bei diesem einen Fehltritt.

Michael Großheim (Hamburg) war für den erkrankten Paul Noack, der über Jünger und Schmitt vortragen wollte, eingesprungen und sprach über die "Kultur als Last", den geistesverwandten Weg von Nietzsche über Simmel zu Walter Benjamin und Jünger. Großheim überzeugte mit seiner Darstellung. Die museal-bürgerliche Welt in der ersten Jahrhunderthälfte lebte aus dem Zusammenspiel von Bewahren und Erneuern: "Halb ist die Welt im Aufbau begriffen, halb im Verfall", wie Jünger in einem unveröffentlichten Brief an Alfred Kubin schrieb. Dagegen stand die Werkstattlandschaft des Arbeiters, die durch eine "Schrumpfung" (Curtius) gekennzeichnet ist, durch die Jüngersche "Gepäckerleichterung", die zugleich eine Minderung darstellt. Dem Eigentlichen aber wohne der Wille zur Dauer inne, es könne nicht zerstört werden. So wandelte sich, "inmitten dieser Welt der Zerstörung" (Friedrich Georg Jünger), Ernst Jüngers Bewertung des musealen Betriebes: das Bewahren wurde notwendig.

Bernhard Gajek führte die Hörer vorzüglich und fesselnd in die Welt des Philosophen Johann Georg Hamann, eines der geistigen Väter Jüngers, "als Magier". Hamanns Umschreibung der so-verstandenen Welt prägte Jüngers Denken: die Wechselwirkung von Urbild und Abbild, der unterirdische Zusammenhang und die Unmittelbarkeit des Einzelnen als unverwechselbares Geschöpf, dessen Verbindung die Sprache, ein Geschenk Gottes.

Der vormalige Landrat Wilfried Steuer erzählte erfrischend lebhaft von seinen Begegnungen mit Jünger. Ein geist- und pointenreicher Beitrag, bei dem viel gelacht wurde. Der Beifall war rekordverdächtig und für Steuer, dessen Freundschaft mit Jünger spürbar herzlich war, gab’s ein Küßchen von Liselotte Jünger. Eine exzellente Rezitation, begleitet von befremdenden Percussionklängen, beschloß den Abend.

Am Palmsonntag (katholisch) sprach Pfarrer Martin Haas (evangelisch) über "Jünger und die Theologie". Haas ist ein Schriftgelehrter in doppelter Weise; die Bibel hat er gelesen, Jünger auch, Wesentliches blieb jedoch unerwähnt: Jüngers Glaubensweg, Abkehr, Hader und Hoffnung bis hin zur Konversion 1996. Oder Jüngers Ausführungen zur Heilslehre: "Das Wesen der Seligkeit besteht nach der christlichen Glaubenslehre in der unmittelbaren und ewigen Anschauung Gottes; dem läßt sich zustimmen, nicht aber der Einschränkung, daß es Grade der Seligkeit gebe, die von den auf Erden erworbenen Verdiensten abhängen. Auf Zensuren post festum sollte man sich nicht einlassen. Der Kursus hat genügt, über die Absolution läßt sich reden – das bleibt entre nous." So war der Vortrag eine blutarme Pastoralpredigt. Knochen und Sehnen, kein Fleisch; eine Ansammlung von Brosamen.

Ein unschätzbarer Gewinn war dagegen der abschließende Beitrag von Julien Hervier, Professor an der Universität Poitiers, über Vaterschaft und Adoption bei Jünger. Ernst Jüngers Werk durchziehe die Ersetzung des "legalen" Vaters in einer Parallelwelt der Vorstellung. Jüngers erzählerisches Werk ist eine Infragestellung der Familie; Liebe, Ehe, Trennung werden Muster der aufgelösten, bürgerlichen Welt des Geschlechts. Die Rolle der Frau ist die der Mutter schlechthin, als haltgebende Fürsorgerin. Die apollinische Welt des Vaters der dionysischen der Mutter entgegengesetzt, wird die zerronnene Bindung letztlich zum Zusammenspiel; es bleibt das Mißtrauen gegen die physische Verwandtschaft (man denke etwa an die imaginierte Herkunft der Prinzessin Tarakanowa, JF 13/01). Herviers Vortrag bot Überraschendes und Neues, er war schlüssig und überzeugend durchdacht und in glänzendem Deutsch vorgetragen.

Daß Leben und Werk des Dichterbruders Friedrich Georg Jünger, des "geistigen Zwillingsbruders", abgesehen von Teilen der Rezitation, dieses Mal keine Rolle spielte, ist angesichts des ausdrücklichen Themas "Verwandtschaften" um so bedauerlicher. Ernst Jünger antwortete einem Kritiker einmal auf den Vorwurf, er bilde einen "unvollständigen Olymp": "Ja, aber zusammen mit dem meines Bruders ist er vollständig." In diesem Sinne war bei diesem Symposion ein halber Olymp zu bestaunen.

Für Leser, Freunde und Liebhaber der Werke der Brüder Jünger ist das alljährliche Heiligkreuztaler Sympo-sion zu einer festen Institution geworden. Es sind die hochkarätigen Vorträge, die anlocken, und natürlich die vielen fruchtbaren Gespräche unter Gleichgesinnten, "Verwandten".


 
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