© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Der Banküberfall von Mostar
Bosnien-Herzegowina: Mit einem "Donnerschlag" ging die "internationale Gemeinschaft" gegen die nach Autonomie strebenden Kroaten vor
Carl Gustaf Ströhm

Die Parole "SFOR – Okkupanten!" steht mit großen roten Buchstaben auf einer Hauswand, gleich an der Einfahrt nach Mostar, der Hauptstadt der Herzegowina. Auf der Straße vom kroatischen Split hatten wir die Staatsgrenze passiert – aber hier leben auf beiden Seiten Kroaten. Die westliche Herzegowina mit ihrer kompakten kroatischen Mehrheit von zwischen 90 und 95 Prozent blickte schon immer nach Süden in Richtung Adria, nach Dubrovnik und Split. Sarajevo ist von hier aus weit entfernt "hinter den Bergen". Mit den moslemischen "Landsleuten" wollen die Herzegowina-Kroaten möglichst wenig zu tun haben. "Wir sind Katholiken und Westler", sagen sie.

In einem Dorfgasthaus am Rande der Straße spricht mich ein Mann mittleren Alters an. "Wir sind keine Barbaren, sondern ein zivilisiertes Volk mit Kultur", sagt er. "Schon mein Vater hat zwanzig Jahre lang in Deutschland gearbeitet – und ich war auch dort, im Ruhrgebiet. Wir haben uns genau angeschaut, wie die Deutschen ihre Häuser bauen und ihr Land in Ordnung halten. Genauso machen wir es. Schauen Sie sich um, Sie werden nirgendwo wilde Mülldeponien entdecken. Unsere Häuser sind gepflegt und frisch verputzt. Die Herzegowina ist kein Balkan!"

Tatsächlich strahlen die kleinen Städte und Ortschaften inmitten der sonst kargen Karatlandschaft einen gewissen Wohlstand aus. Es scheint sogar, als seine die Häuser gepflegter und moderner als drüben in der Republik Kroatien. Doch dann klagen uns einige Ortsbewohner ihr Leid: die internationalenSFOR-Truppen benähmen sich in letzter Zeit immer herausfordernder. Nur mit dem deutschen SFOR-Kontingent habe die kroatische Bevölkerung ein entspanntes, normales Verhältnis. "Mit Briten und Franzosen sind die Beziehungen gespannt. Wir können sie nicht leiden", bemerkt mein Gegenüber. "Stellen Sie sich vor: neulich bleiben vor meinem Haus ohne jeden ersichtlichen Grund zwei französische Panzerfahrzeuge der SFOR-Truppe stehen. Die Franzosen stellten sich so auf, daß meine Garagenausfahrt blockiert war. Dann richteten sie ihre Geschütze und Maschinengewehre gleichfalls völlig unmotiviert auf unsere Fenster und beobachteten uns schweigend aus ihren Luken. Alles dauerte etwa zwei Stunden – dann zogen sie, ohne ein Wort gesagt zu haben, wieder ab. Das ist doch nichts anderes als Einschüchterung!"

Die kroatische Bevölkerung der Herzegowina empfindet die SFOR-Truppe und die Aktivität der sogenannten "internationalen Staatengemeinschaft" als Okkupation und Protektoratenregime. "Was haben die vom Westen als Inbegriff der Demokratie bezeichneten freien Wahlen für einen Sinn, wenn die von uns mit großer Mehrheit gewählten Repräsentanten durch einen Befehl des sogenannten hohen Repräsentanten der EU einfach abgesetzt und an ihre Stelle nicht-gewählte Leute gesetzt werden, die nicht unser Vertrauen genießen?" lautet die mir immer wieder gestellte Frage.

In der Stadt Mostar ist es äußerlich ruhig, aber auf den Straßen des kroatischen Westteils der Stadt – der Ostteil, jenseits des Neretva-Flußes, ist fest in moslemischer Hand – spürt man die Spannung nach dem jüngsten "Donnerschlag": vor einigen Tagen umstellten kriegsmäßig ausgerüstete, schwerbewaffnete SFOR-Soldaten mit einem Dutzend Schützenpanzerwagen die "Herzegowina-Bank", stürmten in das Gebäude, durchsuchten die Schreibtische und Aktenschränke, nahmen Computer und Disketten mit, zerschlugen die an den Wänden der Büros hängenden Bilder – darunter ein Bild von Papst Johannes Paul II., das auf dem Boden regelrecht zertrampelt wurde. Kistenweise wurden Unterlagen aus der Bank weggeführt. Dann kamen die SFOR-Truppen – es soll sich dem Vernehmen nach um britische Kommando-Spezialeinheiten gehandelt haben – zurück und sprengten mittels Dynamit den Haupttresor der Bank, wobei Bündel von Banknoten – meist D-Mark-Hunderter aber auch Dollars – angesengt und durch die Luft gewirbelt wurden. Die Direktion der Bank wurde abgesetzt, an ihrer Stelle eine britische Dame zur "Zwangsverwalterin" ernannt. Die Folgen dieser von "hohen EU-Repräsentanten" befohlenen Nacht- und Nebelaktion waren katastrophal: die Bank, in der Tausende von älteren Leuten ihre Devisenkonten hatten und über die zum Beispiel die Renten der ehemals in Deutschland tätigen Gastarbeiter überwiesen wurden, ist geschlossen. Tausende von Rentnern, aber auch Beamte, Polizisten, Lehrer blieben ohne ihr Gehalt und ohne Zugang zu ihrem Geld. In einem Land mit erheblichen sozialen Problemen waren die kleinen Leute die Hauptleidtragenden.

Ein Vertreter des "hohen Repräsentanten" Petritsch gab zwar eine gewundene Erklärung ab, die ganze Aktion habe dazu gedient, kriminelle Machenschaften der Bank zu unterbinden und die Bankkunden zu schützen – aber solche Ausreden wurden von den meisten Mostarern als purer Zynismus empfunden. "Es bestand überhaupt kein Grund, den Safe mittels Dynamit zu sprengen", sagte einer der nun suspendierten Bankbeamten. "Der Schlüssel wäre jederzeit übergeben worden." Auch die Behauptung, die Bank habe Geldwäsche betrieben, wurde von dem jetzt abgesetzten Bankvorstand zurückgewiesen. Einer der Direktoren sagte, es sei doch allgemein bekannt, daß etwa in österreichischen oder Schweizer Banken nach dem Fall der Mauer massiv östliches Geld gewaschen wurde – und doch sei es undenkbar, daß etwa deswegen Militär mit Panzerwagen vor den betreffenden Geldinstituten vorführen und Tresore mittels Dynamit öffneten. Ziel der Aktion war es offenbar, den Kroaten der Herzegowina den Geldhahn abzudrehen und damit die Mehrheitspartei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) "trockenzulegen". Der Österreicher Petritsch als "hoher Repräsentant" hatte mehrfach verlangt, man müsse die "nationalistischen" Parteien in Bosnien ausschalten. Da die Wähler ihm diesen Gefallen nicht erwiesen, geht er jetzt selbstherrlich vor allem gegen die stärkste Partei der Kroaten vor. Als die kroatischen Vertreter in der gemeinsamen moslemisch-kroatischen Föderation die mangelnde Gleichberechtigung ihrer Volksgruppe und ständige Majorisierungen und Schikanen durch die Moslem-Mehrheit beklagten und die HDZ – nach einem Referendum – die Gründung einer "kroatischen Selbstverwaltung" innerhalb Bosniens ankündigte, setzte der internationale Diplomat (oder Bürokrat) Petritsch den gewählten Vertrauensmann der kroatischen Volksgruppe, Ane Jelavic, Knall auf Fall ab und verhängte über ihn ein "Verbot jeglicher öffentlichen und politischen Tätigkeit" – eine Sanktion, die sonst nur in kommunistischen und totalitären Staaten vorkommt. Mehr noch: mit einem Male wurde verbreitet, Jelavic sei womöglich an der Ermordung des stellvertretenden bosnischen Innenministers Leutar beteiligt, der einem Attentat zum Opfer fiel. Schon verbreitete sich das Gerücht, ein weiteres britisches Kommando stünde bereit, um den Anführer der bosnischen und herzegowinischen Kroaten, Jelavic, und einige seiner engsten Mitarbeiter festzunehmen. Ziel einer solchen Aktion ist es offenbar, die kroatische Volksgruppe ihrer Führung zu berauben, um sie dann um so leichter "manipulieren"oder lenken zu können. Um dieses Ziel zu erreichen, griffen die hohen und nicht ganz so hohen Repräsentanten des Westens in Sarajevo und Mostar hemmungslos tief in die Innenpolitik des "Protektorats" ein. Petritsch erklärte gar, es sei "höchste Zeit, daß die totalitäre Abhängigkeit der Kroaten von der HDZ – also der Mehrheitspartei – beendet werde". Anders gesagt: Der internationale Repräsentant behält sich das Recht vor, nach eigenem Geschmack über Wahlentscheidungen der "eingeborenen Bevölkerung" zu entscheiden.

Faktisch haben die internationalen Repräsentanten in Bosnien der kroatischen Bevölkerung den Krieg erklärt. Mit allen Mitteln soll der "Widerstand" der Kroaten gebrochen werden. Das bedeutet aber, daß die internationalen Repräsentanten in Sarajevo und Mostar längst die Position als unparteiische Vermittler zwischen den Völkern und Religionen verlassen und sich in Kombattanten in einem Konflikt verwandelt haben, der zumindest seit 500 Jahren in diesem Lande schwelt und den die internationalen Vertreter offenbar in kürzester Zeit lösen wollen – indem sie alles übers Knie brechen.

Die Kroaten der Herzegowina werden, weil sie nicht gehorsam sind und sich nicht willenlos in das Spiel fügen, als Mafiosi, Banditen, Nationalisten und Reaktionäre abqualifiziert – und zwar von eben jener internationaler Gemeinschaft, die dazu berufen wäre, die Interessen der zahlenmäßig kleinsten Volksgruppe zu schützen. Gewiß handelt es sich bei den Herzegowina-Kroaten um einen zähen, eigenwilligen Menschenschlag, der sich ein halbes Jahrtausend lang gegen die Türken, später gegen Serben und Kommunisten behaupten mußte. Natürlich hat es in diesen Breiten niemals zuvor westliche Demokratie gegeben, sondern meist Unterdrückung – und bestenfalls vierzig Jahre aufgeklärter österreichischer Herrschaft bis zum Ersten Weltkrieg. Ein Volk kollektiv zu verurteilen aber ist überhaupt nicht angebracht und zeugt bestenfalls von erschreckender Phantasielosigkeit.

Die Position der Herzegowina-Kroaten ist im Grunde einfach: Sie wollen nicht von einer moslemischen Mehrheit majorisiert und untergebuttert werden. Sie fragen sich, warum der Westen im Dayton-Abkommen 1995 den Serben, die nur 33 Prozent der Bevölkerung Bosniens stellen, 50 Prozent des Territoriums überantwortet und die totale ethnische Säuberung der Republika Srpska von nicht-serbischen Elementen geduldet hat – während der gleiche Westen die Kroaten mit den Moslems zusammenspannte. Was spricht eigentlich dagegen, daß die Kroaten eine kroatische "Entität" erhalten, so wie die Serben ihre "Republika Srpska" haben – und die Moslems ohnehin ihre Mehrheitsposition als zahlenstärkste Nation behalten. Verbittert sagte uns ein Kroate: "Hinter den Moslems steht die islamische Welt. Hinter den Serben Rußland, Frankreich und England. Hinter uns Kroaten steht niemand – nur der Papst in Rom."

Die katholische Kirche aber hat sich im Konflikt zwischen den Kroaten und der "internationalen Gemeinschaft" voll auf die Seite ihrer Gläubigen gestellt – denn in Bosnien-Herzegowina ist ein Katholik fast immer ein Kroate, und umgekehrt. Der Erzbischof und Kardinal von Sarajevo, Vinko Puljic, warnte die internationalen Repräsentanten, daß sie eine Diktatur ausüben, wenn sie von den Kroaten bedingungslos die Unterschrift unter alles und jedes verlangten. Ähnlich äußerte sich Ratko Peric, der Bischof von Mostar, In der Kirchenzeitung seiner Diözese Kirche auf dem Stein hieß es neulich über den US-Repräsentanten für Bosnien, Jacques Klein: "Der Amerikaner Klein behauptet ohne irgendeinen Beweis dafür vorzulegen, daß der (kroatische) Vorsitzende Ante Jelavic aus egoistischen Gründen das Volk betrüge. Ist das nicht ein ehrloser Humbug? Von der anderen Seite droht der Österreicher Petritsch, ’er‘ (man stelle sich das vor!) werde nicht gestatten, daß sich die einen bereichern, während die anderen immer ärmer würden. Allen Respekt, aber ich erinnere mich, daß dieser Herr hohe Repräsentant monatlich ein Gehalt von 45.000 D-Mark erhält. Welch seltsame Koinzidenz: ihm monatlich 45.000 Mark, dem General Blaskie (der in Den Haag verurteilt wurde) 45 Jahre Haft. Der eine bekommt Mark, weil er das kroatische Volk unterdrückt und entrechtet – aber dem General die Haft, weil er dieses Volk vor der Vernichtung bewahrte ..."

Die katholische Kirchenzeitung wirft Petritsch und den anderen Repräsentanten vor, sie würden die legitime und gewählte Führung der kroatischen Volksgruppe als "Häuflein von Extremisten" abqualifizieren, wobei Petritsch "scheinheilig" behaupte, nichts gegen das kroatische Volk zu haben. Petritsch wolle die kroatische Volksversammlung loswerden, die immerhin 90 Prozent der kroatischen Bevölkerung des Landes repräsentiere. Die "Vertreter der internationalen Gemeinschaft", so heißt es weiter, benutzten kommunistische Methoden im Kampf gegen das kroatische Volk in Bosnien.

Wenn die Vertreter dieser internationalen Gemeinschaft – darunter der Deutsche Hansjörg Kretschmer – die katholische Kirche in Bosnien wegen "Einmischung in die Politik" zurechtweisen wollen, verkennen sie die Lage von Grund auf. Die Kirche und die Franziskaner-Patres sind auf diesem Boden seit Jahrhunderten als einzige für die entrechtete und unterdrückte Bevölkerung eingetreten. Wenn sich EU und Amerikaner gerade auf diesem steinigen Boden mit der Kirche und den Bischöfen und womöglich auch mit dem Vatikan anlegen, dann ist das – von allem anderen abgesehen – zunächst einmal eine politische Dummheit. Wie die Dinge liegen, hat die internationale Gemeinschaft in Bosnien eine Destabilisierung bewirkt. Petritsch und Genossen haben den Karren an die Wand gefahren. Wäre es nicht Zeit für neue Gesichter und neue, unbelastete westliche Repräsentanten in Mostar und Sarajevo? Info: Ante Jelavic; Der Kroate war Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums und Parteichef der HDZ.


 
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