© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001


Keine Chancen für Linksliberale
Ungarn: Nachwahl stärkt die Mitte-Rechts-Koalition / "Magyar CDU" geplant / Achtungserfolg für Rechtspartei
Alexander Barti / Jörg Fischer

Vor drei Wochen gab es im Parlamentswahlkreis 14 eine Nachwahl, weil der Abgeordnete Attila Búza von der rechtsliberalen Regierungspartei Fidesz bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Doch der erste Wahlgang im südlich von Budapest gelegenen 15.000-Einwohner-Ort Dabas war ungültig, weil nur 28 Prozent statt der nötigen 50 Prozent zur Urne gingen. Trotzdem wurde die Wahl von der politischen Klasse als Stimmungsbarometer aufgefaßt, denn im Mai 2002 wählen die Ungarn ein neues Parlament.

Sieger des ersten Wahlgangs war der Kandidat der Regierungskoalition mit 38,5 Prozent, gefolgt von den Sozialisten (MSZP) mit 33,6 Prozent. Als dritte Kraft konnte sich überraschend die rechte Partei "Ungarische Wahrheit und Leben" (MIÉP) mit 12,9 Prozent etablieren, und erst an fünfter Stelle stand der von den Medien "hochgelobte" Bund der Freidemokraten (SZDSZ) mit kaum fünf Prozent. Fidesz-Chef László Kövér sah die Regierungsarbeit eindrucksvoll bestätigt. Sozialisten-Chef László Kovács sah das Ergebnis seiner Partei ebenfalls positiv, schließlich sei der Wahlbezirk keine Bastion der Linken, und trotzdem habe man an Stimmen zulegen können. Bedrohlich aber empfinde er den Stimmenzuwachs der rechten MIÉP. István Csurka – Schriftsteller, MIÉP-Chef und einst Führungsmitglied der CDU-nahen Regierungspartei Demokratisches Forum (MDF) – kommentierte das gute Abschneiden seiner erst 1993 gegründeten Partei recht undramatisch und meinte, daß seine Partei auf dem besten Wege sei, auch im Parlament die dritte Kraft zu werden. Einzig der linksliberale SZDSZ zeigte sich enttäuscht, da er nicht nur an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, sondern auch vom Wahlbündnis aus der Demokratischen Volkspartei Ungarns (MNDP) und der Unternehmerpartei (Vállalkozók Pártja) überholt worden war. Damit scheint sich zu bestätigen, was Wahlforscher schon seit längerem prognostizieren: der SZDSZ – der im letzten Jahr als einzige ungarische Partei den EU-14-Boykott gegen Österreich unterstützte – wird bei den Wahlen 2002 um den Einzug ins Parlament bangen müssen. Doch Prognosen sind mit Vorsicht zu genießen, denn auch Csurkas MIÉP soll kaum mehr als zwei Prozent haben, eine Tendenz, die sich bei verschiedenen Bürgermeister- und Zwischenwahlen nicht bestätigte – eher tendiert die MIÉP zweistellig.

Der zweite Wahlgang, der am 8. April stattfand, zeigte noch deutlicher, wie die Parlamentswahlen im Mai nächsten Jahres ausgehen könnten – auch wenn die Wahlbeteiligung nur 26,8 Prozent erreichte. Der Kandidat der Regierungskoalition (Fidesz/MDF/FKGP), Lajos Szücs, erhielt 54,8 Prozent, gefolgt vom Sozialisten István Kovács mit 39 Prozent. Den dritten Platz erreichte der SZDSZ-Mann Ferenc Nagy mit mageren 2,9 Prozent – obwohl MDNP-Kandidatin Erzsébet Pusztai nicht mehr antrat. Da in Ungarn eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht existiert, hatte auch die MIÉP ihren Kandidaten Tibor Franka nicht mehr antreten lassen, aber auch keine Wahlempfehlung ausgesprochen.

Die linksliberale Opposition gerät derweil immer stärker unter Druck. Die Sozialistenführer – unter ihnen auch Ex-Premier Gyula Horn – rangeln mit verschiedenen Plattformen um die Nominierung zum Ministerpräsidenten. Und das vermeintliche neue Zugpferd des SZDSZ, Budapests Bürgermeister Gábor Demszky, entpuppt sich als "großmäulige, aber lahme Ente" wie seine Kritiker offen sagen. Der Einzug ins Parlament scheint nach Dabas mehr als fraglich – die von Parteichef Demszky betriebene Öffnung zur rechten Mitte wurde nicht belohnt.

Innenpolitisch konnte die Opposition in jüngster Vergangenheit sogar punkten, indem sie den Landwirtschaftminister Józef Torgyán zum Rücktritt zwang. Allerdings hatte der Minister tatkräftig an seinem eigenen Ast gesägt. Torgyán, wortgewaltiger Parteichef der 1930 entstandenen und 1988 wiedergegründeten Unabhängigen Kleinlandwirte-, Landarbeiter- und Bürgerlichen Partei (FKGP), hatte in letzter Zeit Bodenhaftung verloren: Während er mit seiner Frau auf Staatskosten in fernöstlichen Ländern angeblich neue Märkte für die ungarische Landwirtschaft erschloß, rumorte es zunehmend an der Basis. Der Niedergang Torgyáns zeichnete sich ab, als er den Bau seiner neuen Luxusvilla im Budapester Prominentenviertel nicht korrekt abrechnen konnte. Das Faß zum Überlaufen brachten Ermittlungen gegen seinen Sohn Attila, der Schmiergelder in Millionenhöhe kassiert haben soll, um Fördergelder aus dem Ministerium seines Vaters entsprechend zu kanalisieren.

Nach dem Rücktritt Torgyáns und dem freien Fall in der Wählergunst ist die Partei, die nach 1945 noch jahrelang tapfer gegen die Kommunisten kämpfte, heillos zerstritten. Seit zwei Wochen liegt nun auch ihr Chef, nachdem er bei einer Veranstaltung zusammengebrochen war, körperlich angeschlagen im Krankenhaus. Premier Viktor Orbán (bis letztes Jahr auch Fidesz-Präsident) dürfte der unrühmliche Abgang nicht so ganz ungelegen kommen, denn damit hat er sich elegant von einem Koalitionspolitiker befreit, der immer wieder mit rüden Attacken auf den politischen Gegner losging und so unnötige Angriffsflächen für die meist linksgestrickten ungarischen Medien bot. Außerdem kann Orbán sich ausrechnen, daß ein Teil der FKGP-Wähler bei der nächsten Wahl seine "Jungdemokraten" wählen wird.

Bemerkenswert ist, daß bei all den Turbulenzen die Koalition nicht, wie von der Oppostion gehofft, auseinandergebrochen ist, sondern Fidesz in der Wählergunst sogar weiter zulegen konnte. Vom sozialen Wandel betroffene "Modernisierungsverlierer" dürften ebenfalls kaum für ungarische Varianten von Tony Blair und Guido Westerwelle zu begeistern sein, sondern eher von der "rechtspopulistischen" MIÉP oder gar der kommunistischen Arbeiterpartei (Munkás Párt).

Völlig ungewiß ist noch das Projekt einer "Magyar CDU", die sich, orientiert am deutschen Vorbild, aus christdemokratischen Splittergruppen bilden will. In Ungarn sind insgesamt rund 180 Parteien registriert, doch über 90 Prozent dieser "Parteien" betätigen sich nicht politisch. Die 1996 von vom MDF abgespaltene MDNP und die KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei) wollen das CDU-Projekt ("Centrum Demokrata Unió", Demokratische Union im Zentrum) voranbringen. Tivadar Bartók, Generalsekretär und "neuer starker Mann" der KDNP erklärte in der Budapester Zeitung optimistisch: "Die ungarische CDU würde sich offensichtlich nach dem Vorbild der deutschen CDU in der Mitte etablieren. Sie könnte zu einer politischen Kraft werden, die sich an den traditionellen christlich-demokratischen Werten orientiert." Bartók glaubt sogar, wohl bestärkt durch den vierten Platz in Dabas mit 5,8 Prozent, das "Zünglein an der Waage" spielen zu können: "Das Kräfteverhältnis zwischen den sich abzeichnenden zwei Polen in der ungarischen Innenpolitik scheint ziemlich ausgeglichen. Durch diesen Umstand werden die kleineren Parteien unwillkürlich aufgewertet: im Jahre 2002 könnten im Extremfall ein bis zwei Prozent der Stimmen darüber entscheiden, wer die nächste Regierung bildet."

Ein Blick nach Italien könnte dem KDNP-Politiker bestärken: Dort ist die italienische CDU Teil des rechten Berlusconi-Bündnisses und – angesichts des Mehrheitswahlrechtes – unverzichtbarer Partner, mit landesweit jedoch unter fünf Prozent. Und weil 186 "Parteien" am 13. Mai um den Einzug ins römische Parlament kämpfen, wurde dort innerhalb des rechten "Hauses der Freiheiten" um die Listenplätze gefeilscht. Selbst mit Vertretern der korrupten Sozialistischen Partei Bettino Craxis wurden Bündnisse geschlossen. Dafür mußten sogar mehrere Vertreter von Silvio Berlusconis Forza Italia ausgeschlossen werden – nur um gegen die Widrigkeiten des Mehrheitswahlrechtes zu bestehen. Und Bartók wird sich – ganz unideologisch – wohl auch den "Siegertypen" zuwenden. Außerdem steht in der nächsten Legislaturperiode der EU-Beitritt des zehn Millionen Einwohner zählenden Nato-Landes an. Da hätte ein auf die Tolerierung durch die MIÉP angewiesener Premier Orbán in Brüssel einen schweren Stand – einen EU-Boykott á la Österreich würde Ungarn nicht unbeschadet überleben. Im Gegenteil – nichts käme manchem EU-Mitglied gelegener, als den Beitritt eines "deutschfreundlichen" Landes zu verzögern.


 
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