© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Tierfriedhöfe: Immer mehr Menschen bestatten ihre Haustiere
Dankbar bis in alle Ewigkeit
Martin Lohmann

Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchmann erklärte einst, daß es eines bekräftigenden Details bedarf, um den Gemütszustand einer Gesellschaft zu illustrieren. Als ein solches Detail unserer gefühlskalten Welt könnten künftige Historiker folgende kürzlich in einer Tageszeitung erschienene Todesanzeige eines Tierfreundes für seinen Hund Hasso ansehen: "Mein treuer Freund, ich werde Dich nie vergessen. In Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit."

Schon der Apostel Paulus sah in seinem Brief an seinen Schüler Timotheus eine Zeit kommen, in der die Menschen eigenliebig und ohne natürliche Zuneigung zueinander sein würden. Und in unserer von Vereinsamung gekennzeichneten Zeit, in der die Menschen mit ihresgleichen nicht mehr viel anzufangen wissen, versuchen daran leidende Menschen ihre Zuneigung an anderer Stelle zu vergeben, und zwar an ihre Haustiere, wobei sich die Katze als typisches Lieblingstier der Singles erweist, während der Hund immer noch unschlagbar ist, was die Tugend der Treue angeht, und in dieser Wertschätzung noch vor einem Ehepartner rangiert, dessen Treue wohl nie so ganz sicher ist.

Dabei offenbart sich in unserem Land ein gar merkwürdig ambivalentes Verhältnis zur Kreatur. Einerseits werden Tausende Rinder eiskalt aus marktwirtschaftlichen Erwägungen heraus "gekeult", andererseits erfahren Bello und Mieze eine Zuwendung seitens ihrer Halter, die sie in den Status eines Familienmitglieds versetzt. Und diese Liebe zum Haustier scheint auch bis in das Jenseits zu reichen, was bei den verbitternden Erfahrungen vieler Menschen im Umgang mit ihren Nächsten auch verständlich erscheint. Bei einem Gang über einen Tierfriedhof zeigt sich ein seltsamer Kontrast zu den Gräbern der Menschen. Während zunehmend viele Menschen Vorsorge tragen für ein banales und schmuckloses und zuweilen anonymes Urnengrab, sieht der Betrachter auf einem Tierfriedhof ordentlich gepflegte Gräber, teilweise mit marmorierten Grabsteinen, auf denen sogar Bilder des verstorbenen Tieres eingefaßt ist. Die Grabgestaltung wirkt verspielt, nicht so ernst wie bei den Menschengräbern; auf einem sitzt sogar eine kleine Harlekinpuppe. Aber der markanteste Unterschied zum Menschengrab dürfte wohl darin bestehen, daß die hinterbliebenen Tierhalter auf den Grabsteinen ihren Lieblingen dankende Worte ins Jenseits hinterherschicken wie "Du warst meine Sonne", "Wir hatten Dich so lieb" oder "Unser treuer Schatzi". Gerade die Treue des Tieres will über den Tod hinaus gedankt werden, und so ist es nur naheliegend, wenn ein Tierfriedhof mit dem Motto wirbt: "Daß mir das Tier das liebste ist, sagst du oh Mensch ist Sünde. Das Tier bleibt Dir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde."

Es kommt dem Leser solcher Grabsprüche das schale Gefühl, daß sogar im Tod manches Tier mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit erhält als vielerorts die vernachlässigten Kinder oder die alleingelassenen Alten, die alle noch lebend unter uns weilen. Aber wer mag es andererseits diesen trauernden Tierhaltern verdenken, daß sie ihre toten Lieblinge nicht einfach der Tierkörperbeseitigungsanstalt übergeben wollen, wo diese zusammen mit Schlachtabfällen unter anderem zu Grundstoffen der Kosmetikindustrie weiterverarbeitet werden. Immerhin kann davon ausgegangen werden, daß diese Trauer auch aufrichtig ist, haben doch Haustiere in der Regel wenig zu vererben, hinterlassen aber um so größere emotionelle Lücken. Um die Tierbestattung hat sich bereits ein ganzes Dienstleistungsgewerbe gebildet, mit vollständiger Rundumversorgung, von der Erledigung der Formalitäten, Sargausstattung, Grabsteinen und Grabpflege. 1998 haben sich acht Anbieter sogar zu einem Bundesverband der Tierbestatter zusammengeschlossen. Die Ziele des Verbandes sind die Durchsetzung von bundeseinheitlichen Qualitätsstandards in der Tierbestattung und die Förderung einer eigenen Tierbestattungskultur sowie die wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet.

Die Branche ist am Wachsen. Gab es in Deutschland 1995 etwa 25 Tierfriedhöfe, so stieg fünf Jahre später ihre Zahl auf etwa 80. Nach Schätzung des Verbandsvorsitzenden Hartmut Gläser sind in den vergangenen zehn Jahren etwa 9.000 bis 11.000 Tiere bestattet worden.

Selbstverständlich gibt es inzwischen auch die virtuelle Form des Tierfriedhofs, in der jeder mit ein paar Klicks ein Grab für seinen Liebling einrichten kann, egal für welche Tierart. Das wohl größte und bekannteste Angebot ist unter http://www.virtueller-tierfriedhof.de   abrufbar. Die Nutzung ist kostenlos, aber gegen einen kleinen Preis von 25 Mark kann auch ein Ehrengrab mit Bild eingerichtet werden. Auch hier finden sich in den Eintragungen die gleichen Dankesworte an Bello, Miezi und Co, wobei aber manchem Scherzkeks offenbar die Liebe durch den Magen ging: "Sorry, aber ich hatte Hunger" (letzte Worte für ein Hausschwein). Von ernsterem und pietätvollerem Zuschnitt dürfte der Virtuelle Friedhof ( http://www.virtuellerfriedhof.net ) sein, der jedem Tier ein kostenloses Internet-Grab einrichtet inklusive Besucherzähler und Kondolenzbuch.

Der Bedarf an einer eigenen Sepulkralkultur für das "liebe Vieh" wird zunehmen. Wer einmal beim Sonntagsspaziergang aufmerksam seine Umgebung beobachtet, wird feststellen, daß selbst an den belebtesten Plätzen einem kaum noch Kinder über dem Weg laufen – dafür aber um so mehr Hunde.


 
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