© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Neue Fesseln für Montenegro
Carl Gustaf Ströhm

Mit gemischten Gefühlen haben viele Bewohner Monte-negros die Verhaftung Slobodan Milosevics beobachtet. Einesteils war er Symbol all dessen, wovon sich die unabhängigkeitsbewußten Montenegriner möglichst rasch befreien wollten: eine Galionsfigur der Vorherrschaft Belgrads.

Andererseits aber ist klar, daß die neue "demokratische" Regierung Serbiens für sie auch gewaltige Probleme bringt. Kürzlich sagte der montenegrinische Präsident Milo Djukonovic: "Seit dem Machtantritt der neuen Regierung in Belgrad haben sich die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro verbessert. Trotzdem ist das Problem damit nicht gelöst. Auch heute will Serbien über Montenegro bestimmen. Kostunica spricht mit lieblicher Stimme, aber er hat die Absicht, über uns mit eiserner Faust zu herrschen."

Der 39jährige Ökonom – 1991 jüngster Premier in Europa – spürt seit längerer Zeit den eisigen Gegenwind des Westens. Montenegro will nach den Wahlen, die noch diesen Monat stattfinden sollen, unbeirrt eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von Jugoslawien/Serbien veranstalten. Gewinnt er dabei die Mehrheit, wäre dies das Ende der aus Serbien und Montenegro bestehenden "Bundesrepublik Jugoslawien". Streng- genommen wäre dann auch Kostunica "arbeitslos" – denn er wäre dann Oberhaupt eines nicht mehr existierenden Bundesstaates.

Der Westen, der jetzt ein "starkes" Serbien als Ordnungsmacht auf dem Balkan wünscht, sieht die "separatistischen" Eskapaden von Djukonovic mit Unbehagen: Der Präsident hat daher die EU und die Amerikaner unverblümt aufgefordert, sich – anders als in Serbien, wo zum Sturz von Milosevic zwischen 70 und 140 Millionen Mark an westlicher Wahlhilfe verpulvert wurden – nicht in den Wahl- und Abstimmungskampf einzumischen. Laut Umfragen hat Djukanovic gute Chancen, eine absolute Mehrheit für die Unabhängigkeit zu gewinnen. Aber das Verfassungsgericht der Bundesrepublik Jugoslawien hat das montenegrinische Gesetz über die Volksabstimmung aufgehoben und die Bestimmung für ungültig erklärt, wonach in Montenegro nur wählen bzw. abstimmen darf, wer mindestens seit zwei Jahren hier lebt. Damit wollte die Regierung das Hereinströmen pro-serbischer Wähler vereiteln. Auch den Auslands-Montenegrinern will das Verfassungsgericht ein Votum verwehren.

Aus der Umgebung von Djukonovic wird argumentiert, das Belgrader Verfassungsgericht sei während der vergangenen acht Jahre ein "politischer Dienstleistungsbetrieb der Belgrader Diktatur" gewesen. Auf dem Wege in die Unabhängigkeit sind jedenfalls noch vielerlei Konflikte möglich: So kamen jüngst in Belgrad Tausende Montenegriner zusammen, die forderten, am Referendum teilnehmen zu dürfen – wobei man davon ausgehen kann, daß diese "Belgrader Montenegriner" nicht für die Unabhängigkeit votieren werden. Der "jugoslawisch" gesinnte, in Belgrad lebende montenegrinische Autor Matija Beckovic sagte, es sei heute leichter, in Istanbul ein Serbe zu sein als in Cetinje (der alten Hauptstadt des bis 1918 selbständigen Königreichs Montenegro). Und der montenegrinische Sozialisten-Chef Momir Bulatovic (Ex-Präsident und Ex-Kommunist) drohte seinen nach Unabhängigkeit strebenden Landsleuten sogar mit Sanktionen der internationalen Gemeinschaft, weil der Westen gegen "einseitige" Schritte dieser Art sei. Wieder einmal zeigt sich eine seltsame Allianz kryptokommunistischer Kräfte mit dem demokratischen Westen. Letzterer könnte damit erneut aufs falsche Pferd gesetzt haben.


 
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