© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Präsident Bush ist herausgefordert
Krise USA – China: "Weltpolizist" in Aktion / Pekings Angst vor dem Freiheitsdrang der Tibeter und Uiguren
Michael Wiesberg

Geht es nach Admiral Dennis C. Blair, dem Befehlshaber der US-Streitkräfte im Pazifik, dann sind chinesische Abfangjäger für den Zusammenstoß mit dem US-Spionageflugzeug EP-3E Aries II siebzig Meilen vor der chinesischen Insel Hainan im internationalen Luftraum verantwortlich: "Die chinesischen Jagdflugzeuge fingen das Flugzeug ab. Eines von ihnen rammte eine Tragfläche der EP-3", erklärte Blair. "Daraufhin setzte der Pilot das Notrufsignal ’Mayday‘ ab. Dieses Signal ergeht, wenn die Gefahr für ein Flugzeug so groß ist, daß es den nächsten Flugplatz anfliegen muß, um die Besatzung und das Flugzeug zu retten. Der Pilot flog daraufhin den nächstgelegenen Flugplatz von Lingshui an."

Seitdem wird die 24-köpfige Besatzung des viermotorigen Propellerflugzeuges auf der chinesischen Insel Hainan von den dortigen Behörden festgehalten. Die Angelegenheit hat sich in der Zwischenzeit zu einer ernsten diplomatischen Krise zwischen den USA und China ausgewachsen, die noch dadurch angeheizt wird, daß bei der Kollision ein chinesischer Pilot wahrscheinlich ums Leben gekommen ist. China verlangt eine ausdrückliche Entschuldigung von den USA, weil die Besatzung des Spionageflugzeuges internationales Recht gebrochen haben soll. Dazu waren die USA zunächst nicht bereit, da der Unfall im internationalen Luftraum stattfand. Die USA konnten sich nur zu einem Bedauern im Hinblick auf das Schicksal des vermißten chinesischen Piloten durchringen. Diplomaten beider Seiten ringen deshalb um Kompromißformeln, die beiden Seiten "das Gesicht wahren" läßt. Zuletzt schienen sowohl China als auch die USA mehr und mehr daran interessiert zu sein, den Konflikt nicht über Gebühr hochzuspielen, um den Flurschaden so gering wie möglich zu halten.

Wie fragil die Beziehungen zwischen beiden Seiten inzwischen sind, zeigten die heftigen Reaktionen auf den Vorfall in beiden Staaten. Auf chinesischer Seite sind deutlich die Nachwirkungen des Nato-Bombardements der chinesischen Botschaft in Belgrad vor zwei Jahren zu spüren. Seitdem hat sich in chinesischen Regierungskreisen die Überzeugung durchgesetzt, daß der "selbsternannte Weltpolizist" USA auch in China aktiv werden könnte, um etwa die Unabhängigkeitsbestrebungen der Tibeter oder Uiguren zu unterstützen. Noch übler stößt den Chinesen allerdings die anhaltende Unterstützung Taiwans durch die USA auf. US-Präsident George W. Bush erwägt derzeit, die Taiwanesen mit neuen Abwehrsystemen, darunter vier Zerstörern der "Aegis-Klasse", zu versorgen. Die USA reagieren damit unmittelbar auf die gegen Taiwan ("National-China") gerichteten neuen Raketenstartrampen an der rot-chinesischen Küste. Die kommunistische Volksrepublik China, die bestrebt ist, die "kapitalistische" Inselprovinz Taiwan wieder einzugliedern, interpretiert diese US-Pläne als Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Mit Unbehagen sehen die Rot-Chinesen auch die Pläne der Amerikaner, im Weltraum ein Raketenabwehrsystem zu schaffen, das aus ihrer Sicht das militärische Gleichgewicht in Asien gefährden könnte.

Da die Festlands-Chinesen aber waffentechnologisch und ökonomisch den USA immer noch weit unterlegen sind, haben die USA im laufenden Konflikt die besseren Karten für sich. Denn die Aussetzung der militärischen Austauschprogramme zwischen den USA und China, die geplanten Waffenlieferungen der USA an Taiwan, die Verzögerungen von Chinas Beitritt in die Welthandelsorganisation WTO und mögliche Störmanöver seitens der USA bei Pekings Olympia-Bewerbung für 2008 würden China hart treffen. Darüber hinaus haben Abgeordnete aus dem amerikanischen Repräsentanenhaus gefordert, die Normalisierung der Handelsbeziehungen mit China wieder zurückzunehmen.

Der republikanische Abgeordnete Hunter brachte einen entsprechenden Gesetzentwurf ein, den er wie folgt begründete: "Während wir mit China Handel treiben, bereiten sie sich auf einen Krieg vor." Das Gesetz über die Normalisierung der Handelsbeziehungen war erst im vergangenen Jahr verabschiedet und von Präsident Bill Clinton im Oktober 2000 unterzeichnet worden. Der Kongreß muß über die weitere Gültigkeit dieses Gesetzes entscheiden, falls China bis zum 3. Juni diesen Jahres nicht Mitglied der WTO geworden sein sollte.

Daß die Chinesen den Konflikt mit den USA vor dem Hintergrund dieser Interessenlage nicht eskalieren lassen werden, kann als sicher gelten. Den USA aber sollte diese Konfrontation – ganz gleich, wie sie letztlich ausgeht – nachhaltig zu denken geben. China sieht sich mehr und mehr als internationale Großmacht, die den südostasiatischen Raum als ihr Einflußgebiet reklamiert. Dazu gehört, daß China nicht mehr bereit ist, inzwischen zur Routine gewordene US-Spionageaktivitäten vor der eigenen Haustür einfach weiter hinzunehmen. Denn daß es sich hier um Spionage seitens der USA handelt, zeigt schon die Aufgabenverteilung der 24-köpfigen Besatzung der EP-3E Aries II. Zu deren Aufgaben gehört es, Radarsignale, Satellitenübertragungen, Fax- und Telefonanrufe zu sammeln.

Das kollidierte Flugzeug gehört zum Marinegeschwader VQ-1 der US-Marine, das vom japanischen Standort Misawa (Insel Okinawa) aus operiert. Dieses Geschwader unterhält im übrigen auch eine Einheit in der Golfregion und nennt sich selbst bezeichnenderweise "Worldwatcher".

Eigentümlich diplomatisch verhält sich Chinas "strategischer Partner" Rußland in diesem Konflikt. Und jenseits aller gegenseitigen "Diplomatenausweisungen": Sollte sich dahinter möglicherweise eine "stille Partnerschaft" zwischen den USA und Rußland andeuten? Trotz aller Konflikte im Verhältnis zwischen Washington und Moskau kann beiden Atommächten an einem gestärkten – sogar mit Taiwan wiedervereinten "Großchina" – nicht gelegen sein.


 
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