© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Kolumne
Zersetzung
Klaus Motschmann

Als vor einiger Zeit eine gymnasiale Oberstufe anläßlich einer Dombesichtigung nach der Bedeutung des Kruzifixus befragt wurde, fielen die Antworten sehr spärlich aus. Eine lautete, es sei das Denkmal für einen "antifaschistischen Widerstandskämpfer", der von den Faschisten in Jerusalem hingerichtet worden sei.

Diese Begebenheit ist kein Einzelfall, der sich einer verallgemeinernden Betrachtung entzieht. Umfragen nach dem Sinn der christlichen Feiertage und Symbole belegen ein ständig absinkendes Niveau christlich-religiöser Bildung und damit der historisch-politischen Bildung überhaupt. Wie aber sollen die Traditionen des christlichen Abendlandes bewahrt, gepflegt und weiterentwickelt werden ohne ein Mindestmaß religiöser Bildung? Die jüngsten Beschlüsse des Landesparteitages der Berliner SPD mit der Absage an das Wahlpflichtfach "Religion" an den Berliner Schulen verdichten die bisherigen Zweifel zur Gewißheit, daß dieser Zusammenhang von einer großen deutschen Volkspartei offensichtlich nicht mehr gesehen wird (oder nach dem Willen ihrer maßgeblichen Ideologen offensichtlich nicht mehr gesehen werden soll?).

Die Erklärungen für solche Zustände sollen allerdings nicht allein aus dem Wirken religionsfeindlicher oder indifferenter Ideologen und sonstiger Zeit-Geistlicher in allen möglichen Bereichen unserer Bewußtseinsindustrie abgeleitet werden. Der Grund dafür liegt vielmehr in der systematischen Zersetzung zentraler Aussagen der christlichen Theologie in der evangelischen und zunehmend auch in der katholischen Kirche. Dazu gehört vor allem die Osterbotschaft von der Auferstehung Jesu Christi. Sie entstamme der "Geister- und Wunderwelt des Neuem Testaments". Wer an diese Botschaft auch persönlich glaubt, "muß sich klarmachen, daß er, wenn er das für die Haltung christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht", so 1940 der evangelische Theologe Rudolf Bultmann.

Bultmann und seine Anhänger haben damit nicht nur den christlichen Glauben radikal "entmythologisiert", sondern die wesentlichen Voraussetzungen für alle möglichen neuen Mythen geschaffen, zum Beispiel für den Mythos Sozialismus. Die Botschaften des Weihnachtsfestes (Geburt eines Vorkämpfers für Frieden und Gerechtigkeit in der unterprivilegierten Klasse) und des Karfreitags (Hinrichtung durch die herrschende Klasse) lassen sich bis heute einigermaßen nach politischen und ideologischen Zweckmäßigkeiten umdeuten – die Osterbotschaft nicht. Sie war, ist und bleibt die Kernaussage des christlichen Glaubens, an der sich die Geister scheiden und ideologische Nebel lichten.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


 
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