© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
"Rechte" Gefahr auf dem Campus geortet
Hochschulen: Die meisten Studenten werden immer unpolitischer / Wachsende Tendenz zu "Leistungsideologie"
Alexander Schmidt

Wenn in der kommenden Woche an vielen Universitäten in Deutschland die Hörsäle ihre Türen wieder öffnen, warten auch Vertreter von Verbindungen, politischen Hochschulgruppen und anderen Selbsterfahrungszirkeln auf den akademischen Nachwuchs, den sie von dort aus rekrutieren wollen.

Burschenschafter stehen herausgeputzt mit Traditionsmütze und Trachtenjanker neben betroffenen Vertretern der Antifa-Hochschulgruppe oder den Hochschulgemeinden, und alle wollen nur das eine. Den hilflosen Erstsemestern soll das Tor zur Glückseligkeit wahlweise bei Weißwurst und Starkbier, Filmvorführungen von revolutionären Frauenlesbengruppen im spanischen Bürgerkrieg oder Vorträgen von Dorothee Sölle geöffnet werden.

Immer häufiger wenden sich junge Studenten aber von dem für sie anachronistischen Bild des revolutionären Studenten belustigt ab und dem schnellen Erwerb der benötigten Scheine zu.

Tino Bargels, Sozialwissenschaftler und Leiter der Arbeitsgruppe Hochschulforschung an der Universität Konstanz, beobachtet im Auftrag des Bildungsministeriums seit mehreren Jahren die politische Haltung von Studenten und kommt zu dem Ergebnis, daß von der heutigen Studentenschaft "die gesellschaftlichen Verhältnisse (...) nicht grundlegend in Zweifel gezogen werden". Eigentlich stimmt diese Erkenntnis optimistisch, wenn sich die Mehrheit der angehenden Akademiker in der Demokratie sozialisiert fühlt.

Bargels bedauert jedoch, daß Studenten mit Nachteilen, zu denen er auch Langzeitstudenten zählt, sich der Solidarität ihrer Kommilitonen nicht sicher sein können. Vielmehr herrsche statt dessen "Leistungsideologie", die sich auch in der Forderung nach härterer Selektion der Studenten bemerkbar mache.

Die Spätfolgen der Jahre um 1968 scheinen also mit einer wachsenden Zahl von unpolitischen Studenten beseitigt werden zu können. Waren es in der Mitte der achtziger Jahre noch 39 Prozent aller Studenten, die der Politik und dem öffentlichen Leben einen hohen Stellenwert zubilligten, lag die Zahl im Wintersemester 1997/98 bei nur noch 29 Prozent.

Die Hochschulpolitik ist für die meisten Studenten ohnehin ein unbekanntes Feld, an dem sich gerade einmal fünf bis sechs Prozent aller Studenten aktiv beteiligten. Mit diesen Ergebnissen bestätigt Bargels die Ergebnisse der Shell-Studie "Jugend 2000", die ebenfalls das Desinteresse von Jugendlichen an politischen Ideologien und den Rückzug ins Private feststellte, obgleich dort noch die gewachsene Bedeutung des sozialen Engagement hervorgehoben wurde.

Selbst an großen Universitäten kämpfen alle Studentengruppen mit den gleichen Problemen. Der "offene AstA" ist die Antwort auf den Mangel an Studenten, die ein Jahr mit Hochschulbürokratie vergeuden wollen. In hochschulpolitischen Gruppen und Verbindungen hat sich das Prinzip eingebürgert, daß Vorstandsämter im Rotationsverfahren unter den gleichen Aktiven weitergegeben werden.

Allein der Anteil nationalkonservativer Positionen, sagt Bargels aber, sei in den vergangenen Jahres deutlich angestiegen. Ebenso stieg die Toleranz gegenüber konservativen Positionen, wenngleich diese nur von fünf bis acht Prozent der Studenten geteilt werden.

Eine erste Auswertung seiner Umfrage für das vergangene Jahr hat ergeben, daß die Zahlen abermals um ein bis drei Prozent gestiegen sind. Bei studierenden Offiziersanwärtern liegt der Anteil nationalkonservativer Positionen überraschenderweise bei 20 Prozent, während sogar über die Hälfte aller Befragten die eigene politische Position "rechts von der Mitte" einordnete.

Grundlage für die Studie bilden politische Forderungen wie die Begrenzung von Zuwanderung, die Abwehr kultureller Überfremdung, die Förderung von Familien sowie der Schutz gegen Kriminalität, zu denen die Befragten ihre Zustimmung oder Abneigung geben können.Verbreitet sind diese Positionen traditonell unter den Studenten der Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften, schreibt Bargels im Tagesspiegel.

Studien vor einigen Jahren hatten ähnliche Ergebnisse geliefert. 1994 waren es 44 Prozent aller Studenten, die für eine Begrenzung der Zuwanderung von Ausländern, und 19 Prozent, die gegen Überfremdung stimmten.

Im gleichen Jahr präsentierte Alex Demirovic vom Frankfurter Institut für Sozialforschung eine Studie für das Bundesland Hessen, deren Ergebnisse mit Recht angezweifelt werden können. 30 Prozent rechtsnational orientierter Studenten stehe eine Minderheit von 18 Prozent linksgerichteten Studenten gegenüber. Zwei Jahre später sollten es dann nur noch 15 Prozent "rechter Studenten" sein. Das spricht entweder für eine enorm hohe Studiengeschwindigkeit dieser Gruppe, die nach anderen Studien traditionell auch Verbindungen angehört, oder gegen die Ergebnisse der Forschergruppe. Weiterhin fragt die Studie nach der Forderung nach Führungseliten, die immerhin von 30 Prozent aller Studenten gewünscht würde, und der Abschiebung krimineller Ausländer (58 Prozent).

Bei einem so großen Potential konservativer Stimmen stellt sich die Frage, wo sich Verschiebungen in der hochschulpolitischen Landschaft ergeben. Bürgerliche Studentenvertretungen wie in Köln oder Duisburg gehören immer noch zu einer Minderheitenerscheinung in der Bundesrepublik, der Ring freiheitlicher Studenten (RfS) ging schon vor Jahren ein, und einzelne burschenschaftliche Initiativen, an der Hochschule Fuß zu fassen, scheitern meist im Ansatz. Die Liste Aktiv in Aachen wurde schon während des Wahlkampfes als "Verbindungsliste" gebrandmarkt und trotz aller vermeintlich rechten Studenten nur von den wenigsten, die nicht in das Projekt eingebunden waren, gewählt.

Die Antwort aus Frankfurt scheint paradox: Die "rechtsorientierten" Studenten ziehen sich neben den "Unpolitischen" aus dem hochschulpoltischen Leben zurück und wollen offenbar keinen Einfluß ausüben. Mit dieser Argumentation scheinen die Ergebnisse mehr eine Chimäre zu sein, die der Legitimation linker Positionen in der Studentenschaft dient, weniger aber einer ernstzunehmenden Lageanalyse.


 
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