© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Soziales Gewissen
Das FPÖ-Dilemma zwischen Volkstümlickeit und Nulldefizit
Carl Gustaf Ströhm

Seit ihrer Niederlage bei den Wiener Wahlen am 25. März steht die FPÖ vor einer Neupositionierung. Ex-Parteichef Jörg Haider selber hat die Regierungsmannschaft für die Schlappe verantwortlich gemacht, als der FPÖ "die kleinen Leute" davongelaufen sind – jene Schichten also, die sie erst vor wenigen Jahren von der Sozialdemokratie zu sich herüberziehen konnte. Haider, "einfaches Parteimitglied" und Landeshauptmann von Kärnten, aber unverzichtbare Führungsfigur der FPÖ, erklärte als Fazit des jüngsten Debakels, die FPÖ müsse "soziales Gewissen" der Wiener Bundesregierung sein. Die Haushaltssanierung dürfe nicht dazu führen, "in die Taschen der kleinen Leute zu greifen". Solange die FPÖ "Politik aus einem Guß" mache, werde es die Partei und werde es ihn, Haider, in ihren Reihen geben: "Ansonsten stürzt die Partei ab".

Im Grunde hat Haider damit angedeutet, daß durch die heutige FPÖ ein Riß geht. Da ist einmal der "Ministerflügel": Der sieht anders aus als jene "populistische" Oppositionspartei von gestern. Bereits vor Monaten hatten einzelne Kritiker gewarnt, die FPÖ-Ministerriege in der Regierung Schüssel habe sich zu viel zugemutet, packe zu viele heiße Eisen gleichzeitig an. Das führe zu einer Verärgerung der Wähler. Es ist noch gar nicht lange her, daß die FPÖ aus der Opposition die SPÖ-ÖVP-Koalition beschuldigte, den Bürgern zu hohe Steuern und Belastungen aufzubürden. Statt dessen propagierte die FPÖ die flat tax: Steuerentlastung auf breiter Front nach US-Vorbild.

Jetzt stellt die FPÖ den Finanzminister, der – mit 32 Jahren einen der jüngsten Europas – sofort einen rabiaten Kurs in Richtung "Nulldefizit" ansteuerte. Das Ergebnis waren massive Steuer-, Gebühren- und Kostenerhöhungen, welche zu einer tiefen Verärgerung der Wähler führten. Dann wurden die bisher steuerfreien Unfallrenten besteuert – als sich die Proteste häuften, wurde ein Teil der Besteuerung für die Bezieher niedrigerer Einkommen rückgängig gemacht. Generell zeigte sich, daß Karl-Heinz Grasser, der seinerzeit von Haider in die Politik geholt wurde, einen ganz anderen Kurs ansteuerte als sein früherer Mentor. Gerüchte wollten wissen, Grasser sehe sich bereits als Galionsfigur einer künftigen wirtschaftsliberalen Partei. Mit den "volkstümlichen" Zielen Haiders hat er nichts im Sinn.

Nun legte sich Grasser auch noch mit den Landeshauptleuten an, als er den Landesregierungen Strafzahlungen androhte, wenn sie den Sanierungskurs nicht mitragen sollten. Haider solidarisierte sich mit den "Landesfürsten" – inklusive des Wiener SPÖ-Bürgermeisters Häupl. Die FPÖ, so ein Beobachter, habe vor lauter Freude am Regieren eine Grundregel der Demokratie nicht beachtet: Daß man nämlich keinesfalls seinen eigenen Wählern in die Weichteile treten dürfe – es sei denn, man habe es darauf abgesehen, die nächsten Wahlen zu verlieren.

Offenbar aus Mangel an Regierungserfahrung tappten einige FPÖ-Minister in Fallen, die sie, wo sie ihnen nicht bewußt gestellt wurden, zumindest hätten erkennen müssen. Der FPÖ-Sozialminister Haupt, ohnedies im Dauerkonflikt mit Krankenkassen und Sozialversicherung, geriet jetzt in die Schlagzeilen, weil er eine Kabinettschefin angeheuert hatte, die über einen Sondervertrag ein höheres Gehalt bezog als der Minister selber und alle langgedienten Beamten seines Ministeriums: Die Dame kassierte monatlich etwa 30.000 Mark. Um das Maß voll zu machen: Kurze Zeit später stellte sich heraus, daß der Minister einer Hochstaplerin aufgesessen war: Sie hatte den "Magister" vorgetäuscht, war also keine Juristin mit Abschlußexamen, sondern eine abgebrochene Studentin. Auch zwischen dem ÖVP-Wirtschaftsminister Bartenstein und dem FPÖ-Klubchef Westenthaler brach ein offener Konflikt wegen der Ladenöffnungszeiten aus: Der FPÖ-Politiker erklärte, seine Partei werde nicht zulassen, daß das "Familienleben der Verkäuferinnen durch erzwungene Nachtarbeit ruiniert" werde. Hier zeigte sich also der erste "populistische" Schwenk der FPÖ.

Fragt man nach den Ursachen der gegenwärtigen Schwierigkeiten, da stößt man bald auf mehrere Gründe: Die Wiener Koalition wollte nach dem US-Motto speed kills ("Geschwindigkeit tötet" – gemeint ist: Sie tötet den Widerstand) im Sturmschritt vieles auf einmal erreichen, ohne sich bewußt zu werden, daß sie damit wichtige Bevölkerungsgruppen vor den Kopf stieß, die sich bei Wahlen rächen würden. Hinzu kam bei der FPÖ eine strukturelle Schwäche: die Partei ist zu wenig organisiert, und neben Idealisten und Überzeugten lockte sie auch opportunistische Glücksritter an. Allerdings steht die ÖVP nicht viel besser da. Wenn in Wien der Kanzlerbonus für die ÖVP nicht zum Tragen kam, so ist das ein Alarmzeichen.

Wenn die schwarz-blaue Koalition die Bodenhaftung verliert, werden ihr alle Nulldefizite nichts nutzen. Vielleicht sollte im "bürgerlichen Lager" Österreichs auch wieder mehr über politische Inhalte gesprochen werden. Sparen ist zwar lobenswert, aber es kann keine Politik ersetzen. "Die ÖVP-FPÖ-Koalition ist zwar an der Regierung – aber sie ist nicht an der Macht," lautet die Diagnose angesichts der rot-schwarzen Beamten- und Presselandschaft. Nur wenn FPÖ und ÖVP ihre "Bodenhaftung" wiederherstellen, haben sie Aussicht auf dauerhaften Erfolg. Haider hat das erkannt – es ist nur die Frage, ob seine Parteifreunde das auch rechtzeitig erkennen.


 
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