© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Erzähler von Gottes Gnaden
Vor zehn Jahren starb der englische Schriftsteller Graham Greene
Werner Olles

Der Großneffe des bekannten Abenteuer-Schriftstellers Robert Louis Stevenson hat es sich in seinem Leben nie leicht gemacht. Am 2. Oktober 1904 in Berkhampstead in der Grafschaft Hertfordshire als Sohn eines Schulleiters geboren, studierte Graham Greene am berühmten Balliol College in Oxford. Seine journalistische Laufbahn begann er bei der Provinzzeitung Nottingham Journal, wechselte aber schon bald als Nachrichtenredakteur zur Times in London. Zu Beginn des Krieges wurde er Feuilletonredakteur und Mitherausgeber der Wochenzeitschrift Spectator, wenig später trat er ins Foreign Office ein. Seinen Militärdienst leistete Greene als Mitarbeiter des britischen Nachrichtendienstes "MI 5". Nach dem Krieg übernahm er als Direktor die Leitung des renommierten Verlages Bodley Head.

1926 erschien Greenes erster Roman "Zwiespalt der Seele", in dem sich bereits die Hauptmotive seines Gesamtwerkes ankündigten: die Darstellung der Unsicherheit allen irdischen Lebens einerseits und der völligen Abhängigkeit von der göttlichen Ordnung andererseits. Seinen literarischen Ruf begründete jedoch der 1932 erschienene Kriminalroman "Orientexpreß". Greene hat dieses und zahlreiche spätere Werke in Abgrenzung gegen seine ernsten eigentlichen "Romane" immer als Unterhaltungsliteratur ("Entertainments") bezeichnet.

Die Mehrdeutigkeit der menschlichen Haltungen, Empfindungen und Motive, wie sie seinen besten Büchern zugrunde liegt, wird auch in "Das Attentat" (1936) in der mitfühlenden Beschreibung des Verräters Raven offenbar. Unübersehbar ist dessen Ähnlichkeit mit Pinkie, dem jungen Verbrecherhelden aus "Am Abgrund des Lebens", auch dieser ist das Produkt einer "verlorenen Kindheit".

1938 bereiste der Schriftsteller Mexiko, das auf ihn einen tiefen Eindruck machte. Greene hatte den journalistischen Auftrag, die Situation der Katholischen Kirche zu beobachten, hiervon zeugt vor allem sein 1939 erschienenes und einen kämpferischen Katholizismus offenbarendes Reisebuch "Gesetzlose Straßen". In Mexiko entstand auch sein wohl bedeutendster Roman "Die Kraft und die Herrlichkeit" (1940), der das Martyrium eines dem Alkohol verfallenen Priesters während der kommunistischen Verfolgungszeit schildert. Sein Lebensweg offenbart die ganze Ohnmacht des sündigen Menschen, der dennoch ein Gefäß der göttlichen Gnade wird. Dem psychologischen Spionageroman "Zentrum des Schreckens" (1943), der im London der Kriegsjahre spielt und ein Jahr später von Fritz Lang verfilmt wurde, folgte 1948 "Das Herz aller Dinge": Der Polizeioffizier Scobie, ein gläubiger Katholik, der seine Frau und ein junges Mädchen liebt, endet durch Selbstmord. Das eigentliche Thema des Romans ist jedoch die Erkenntnis, daß die Liebe und Barmherzigkeit Gottes grenzenlos sind. Das Wirken der göttlichen Gnade im Chaos menschlicher Leidenschaften, Verirrungen und Verbrechen gestaltete auch der 1948 erschienene Ehebruchsroman "Das Ende einer Affaire".

Die besondere Eignung seines Stils für den Film zeigte das Drehbuch für einen der erfolgreichsten Nachkriegsfilme "Der dritte Mann" (1950). Der skrupellose Schwarzmarkthändler Harry Lime verschiebt in den schlimmen Notjahren Wiens gepanschtes Penicillin. Als sein amerikanischer Freund, der Wildwest-Schriftsteller Rollo Martins, ihn schließlich als Verbrecher erkennt, gibt er dem von der Polizei in die Katakomben der Kanalisation Gehetzten den Gnadenschuß. Mitte der fünfziger Jahre ging Greene als Korrespondent der Sunday Times in das Kriegsgebiet von Indochina und schrieb "Der stille Amerikaner" (1955). Vor dem Hintergrund des blutigen Bürgerkrieges in Vietnam wird hier die Geschichte einer problematischen Liebesbeziehung zwischen einem vom Idealismus getriebenen jungen Amerikaner und einer Eingeborenen entfaltet, die mit tragischen Konsequenzen endet.

Das Ergebnis eines Aufenthaltes auf Kuba war die leichte Spionage-Satire "Unser Mann in Havanna" (1958). Auf der von "Papa Doc" Duvaliers berüchtigten "Tonton Macouts" terrorisierten Karibik-Insel Haiti ließ der Autor 1966 seinen Roman "Die Stunde der Komödianten" spielen. 1970 erschien seine Autobiographie "Eine Art Leben".

Graham Greene, dessen Ruhm als fesselnder und hintergründiger Erzähler und als einer der führenden Dichter Englands auch heute noch ungebrochen ist, war beeinflußt von den großen Erzählern Frankreichs, Georges Bernanos, François Mauriac und dem Anglo-Franzosen Julien Green. Weltliche Macht und göttliche Gnade, Gut und Böse, Verbrechen und Strafe sind die polaren Gegensätze, um die sein Werk kreist. Hinter allen Einzelthemen steht freilich ein einziges großes Motiv: die Abscheu vor der Sinnlosigkeit des äußeren Lebens, mit der sich der gläubige Mensch in der modernen Welt konfrontiert sieht. Im Gegensatz zum Existentialismus Sartres und zum Realismus Hemingways stand für Greene aber letztlich die Heilsfrage im Vordergrund, und trotz manch düsterer Prognosen blieb er im Grunde stets ein Verkünder der christlichen Hoffnung. In Vevey, seinem Domizil am Genfer See, ist er vor zehn Jahren, am 3. April 1991 gestorben.


 
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