© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001


Die Stimme der Basken wird lauter
Frankreich: Wahlerfolge für baskische Nationalisten / Departement Baskenland denkbar
Charles Brant

Die baskischen Listen sind gestärkt aus den Kommunal- und Kantonalwahlen hervorgegangen. Sie konnten Mandate in den größeren Städten des nördlichen Baskenlandes dazugewinnen und sogar einen Sitz im Rat des Departements Pyrenées-Atlantiques erringen.

Aber auch das Problem des baskischen Terrorismus hat sich auf den Titelseiten der Presse in neuer Frische zurückgemeldet. Am 5. und 6. März druckte die konservative Tageszeitung Le Figaro insgesamt zwei Seiten von "Enthüllungen", die die baskische Befreiungsorganisation ETA betrafen. Schlagzeilen zur "Gefahr des baskischen Nationalismus" warnten vor einer Wiederaufnahme ihrer Aktivitäten auf französischem Boden. Beim Lesen dieser Artikel wurden schnell die Quellenoffensichtlich, aus denen derlei "Enthüllungen" stammten: ein vertraulicher Bericht der französischen Polizei und eine in der spanischen Tagezeitung El Pais abgedruckte Rede der Pariser Staatsanwältin Irène Soller, die sich im perfekten Einklang mit der offiziellen Madrider Regierungslinie befindet. Am Ende derselben Woche – ein äußerst seltsamer Zufall, wenn es denn einer gewesen sein sollte – berichteten die Medien über den Raub von 1,6 Tonnen Dynamit und 20.000 Sprengsätzen aus einem Depot des Staatsunternehmens Société Titanite in der Nähe von Grenoble, der einem Kommando der ETA angelastet wurde, und über die mehr oder weniger sofortige Verhaftung eines mutmaßlichen "Terroristenchefs" nicht weit vom Tatort. All dies geschah im unmittelbaren Vorfeld der französischen Kommunal- und Kantonalwahlen und wenige Wochen vor den Wahlen im zu Spanien gehörenden Südteil des Baskenlandes, die für den Mai angesetzt sind.

Im Norden des Baskenlandes, den seine Bewohner als "l’Iparralde" bezeichnen, hat der Mythos von einer Mischung aus baskischem Nationalismus und Terrorismus die Wähler nicht daran hindern können, die vote abertzale, die "patriotische (Wahl-)Stimme" stärker zu Gehör zu bringen. In den Gemeinden mit über 35.000 Einwohnern haben die baskischen Nationalisten – vor Ort heißen sie "Abertzale" – ihr Ergebnis von 11,2 Prozent 1995 auf 13,5 Prozent verbessert. Durch die Wahl von Jean-Michel Galant, der im Kanton Saint-Etienne-de-Baigorry 44 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, sind sie zum ersten Mal mit einem Abgeordneten im Landrat der Region Pyrenäen-Atlantik vertreten. In Saint-Pierre d’Irube stimmten 55,3 Prozent der Wähler für die 27 Mitglieder der Mannschaft Hiriburu Maita, ein Listenbündnis aus militanten Linken und Abertzale-Kandidaten, die auch den neuen Bürgermeister Alain Iriart stellten. Den Nationalisten gelang der Einzug in die Kommunalräte, sei es im Bündnis mit UDF und RPR – wie in Anglet und Biarritz –, mit den Sozialisten in Hendaye oder über autonome Listen in Bayonne.

In Biarritz wurde Jakes Abeberry, ein alter Kämpe der baskischen Bewegung und Gründer der Zeitung Enbata, auf einer Liste wiedergewählt, die der zentristische Senator und Bürgermeister Didier Borotra anführte. Ihr Bündnis rührt von den 1991er Wahlen her, die fast das Aus für die Gaullisten des RPR bedeutet hätten. Vor den Wahlen sagte Borotra dem Figaro: "Ich bin kein Befürworter der baskischen Autonomie oder eines baskischen Departement, aber die Stadt gehört allen, und man muß anerkennen, daß die Basken im Baskenland zu Hause sind."

Die Präsenz der Abertzale in den Kommunalräten wirkt sich auf die Schwerpunkte aus, die im kulturellen Leben gesetzt werden, auf die Achtung und Aufwertung der baskischen Identität. Mehrere Städte haben auf ihr Betreiben zweisprachige Straßenschilder anbringen lassen. Das Rathaus in Saint-Jean-de-Luz trägt die baskische Aufschrift "Herriko Etchea", was soviel heißt wie "Haus des Volkes". Die Irrukina, die baskische Fahne, weht hier Seite an Seite mit der französischen Trikolore und der blauen Flagge der EU. Die Kommunen haben außerdem entschieden, sogenannte Ikastolas zu eröffnen: Schulen, in denen der Unterricht vom Kindergarten bis zur Hochschulreife auf baskisch erfolgt. Bislang gibt es im Baskenland 25 solche Schulen, ohne die die baskische Sprache nicht überleben könnte.

Der Wahlerfolg der Abertzale hat von neuem die sehr alte, aber stets aktuelle Forderung nach einer eigenen baskischen Verwaltungseinheit aufgeworfen. Diese Forderung wurde schon von dem Konventsmitglied Garat, Abgeordneter für Ustaritz, erhoben, als 1790 die Departements ins Leben gerufen wurden. In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts zählte sie zu den Forderungen der Enbata-Bewegung. Zu Beginn der achtziger Jahre war sie Inhalt eines Wahlversprechens François Mitterrands, das Lionel Jospin später rückgängig machte.

Daß sie damit nicht von der Tagesordnung verschwunden ist, zeigte erst kürzlich eine Großkundgebung in Bayonne. Auch in den Kommunalräten hat sie viele Anhänger, etwa in Bayonne oder Saint-Jean-de-Luz, wo die RPR-Vorsitzende Michèle Alliot-Marie Bürgermeisterin ist. Die Bayonner Handelskammer hat sie ebenso auf ihr Programm gesetzt wie die bäuerlichen Syndikalisten, die seit den letzten Wahlen in der Landwirtschaftskammer die Mehrheit haben. Darüber hinaus existiert schon eine Vereinigung von Abgeordneten für das Departement Baskenland. Deren Generalsekretär Renaud d’Elissagaray wiederholt unablässig, daß man mit dieser Forderung keinerlei separatistische Ziele verfolge.

Neue Umfrageergebnisse bestätigen, daß die Zeit reif ist. Der Umfrage, die im Auftrag der Zeitung La Semaine Basque und des Fernsehsenders France 3 Aquitaine durchgeführt wurde, zufolge stehen 66 Prozent der Basken und 47 Prozent der Béarner der Teilung des Departement Pyrénées-Atlantique in die Departements Béarn und Baskenland "völlig einverstanden" oder "eher einverstanden" gegenüber – das ergibt insgesamt eine Mehrheit von 56 Prozent. 49 Prozent der Basken gaben an, sich vorrangig als Franzosen zu fühlen, 22 Prozent fühlten sich vorrangig baskisch. Bei den Béarnern fühlten sich 30 Prozent als Béarner und nur 44 Prozent als Franzosen. Zu den wichtigsten Erkenntnissen aus dieser Umfrage gehört die Feststellung, daß das Nationalbewußtsein bei den Béarnern sogar noch stärker ausgeprägt ist als bei den Basken. Im übrigen sind 48 Prozent der Basken und 42 Prozent der Béarner gegen einen Autonomiestatus, wie er im letzten Jahr für Korsika in Kraft trat. 62 Prozent der Basken und 59 Prozent der Béarner befürworten einen Pflichtunterricht in ihrer Muttersprache, der Teil des normalen Lehrplans wäre und dasselbe Gewicht hätte wie der Französischunterricht.

Das ändert nichts an der Tatsache, daß die Gründung eines Departements Baskenland gewissen baskischen Würdenträgern ungelegen käme. Neben Michèle Alliot-Marie wären hier Didier Borotra und Jean Grenet zu nennen. Letzterer, Bürgermeister von Bayonne und UDF-Abgeordneter, bemerkte schadenfroh: "In Anbetracht des derzeitigen Pariser Verhältnisses zu Madrid kommt das nicht in Frage." Soll das heißen, daß auch Borotra und Grenet –wie Alliot-Marie – das Erbe der Vorfahren heiligen und auf die von ihnen festgeschriebenen Grenzen pochen? Keineswegs. Sie schließen sich eher dem Béarner UDF-Präsidenten François Bayrou an und halten die Einteilung in Departements für nicht mehr zeitgemäß. Dem Beispiel der Elsässer Abgeordneten folgend, wollen sie die Regionalisierung und die europäische Harmonisierung der Entscheidungsprozesse voranbringen. Dies scheint ihnen um so dringender geboten, da ihre Region an die autonome Euskadi, den südlichen Teil des Baskenlands, und an ein Spanien grenzt, das inzwischen beinahe eine Föderation ist. Bayrou legte die Ratspräsidentschaft des Departement Pyrénées-Atlantiques nieder, um sich der Wahrnehmung seines europäischen Mandats zu widmen. Außerdem wird der liberale UDF-Chef als möglicher französischer Präsidentschaftskandidat gehandelt – Umfragen sehen ihn allerdings bei nur sechs Prozent. Imagepflege läßt sich aus dem Straßburger EU-Parlament auch besser betreiben. Bayrous Nachfolger als Ratspräsident wurde der Baske Jean-Jacques Lasserre, was Bayrou als "Zeichen der Einheit des Departements" begrüßte.

Jakes Abeberry, den stellvertretenden Bürgermeister von Biarritz, läßt die Vorstellung eines Departement Baskenland dennoch nicht los. "Zum einen wird das Departement Pyrénées-Atlantique immer ein künstliches Gebilde bleiben. Zum anderen würde ein baskisches Departement die überfällige Anerkennung der Identität eines Landes und eines Volkes bedeuten. Dafür gibt es eine sehr breite Unterstützung."


 
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