© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Totalitarismus, Intoleranz und Unfreiheit
Frankfurt: Der "Staatspolitische Club" diskutierte zum Thema "1968: Alptraum oder Aufbruch"
Ellen Kositza

Freiheit oder ungezügelten Hedonismus, konsumkritische Impulse oder wuchernden Neoliberalismus – was hat die westliche Welt der sogenannten 68er-Revolution wirklich zu verdanken, oder sind alles schlicht Kehrseiten derselben Medaille?

Ein recht illustres Podium vorzuweisen hatte der "Staatspolitische Club" in Frankfurt zum Thema "1968: Alptraum oder Aufbruch": Über Sinn, Unsinn und Folgen der Umwälzungen, die unter dem Signum "68" firmieren und, weitgehend personenfixiert zwar, in den letzten Wochen fette Schlagzeilen füllten, diskutierten vor vollem Haus und unter der Moderation von Claus M. Wolfschlag, dem Herausgeber der Anthologie "Bye-Bye ‚68", JF-Stammautor Werner Olles, Ex-KPDler Wolfgang Hübner, Kommune1-Berühmtheit Rainer Langhans, Günter Maschke als Begründer der Wiener Studentenbewegung und Ex-Hippie Hadayatullah Hübsch. Während zumindest Olles und Maschke als einwandfreie Renegaten der Linken gelten dürfen, vollzogen ihre Mitdiskutanten die damaligen Beweggründe zur Rebellion mit einigem Verständnis nach. Langhans, in weiß gekleidet und lockenmähnig, stellte die Frage nach dem Menschenbild in den Vordergrund.

Im Gegensatz beispielsweise zu den durch und durch patriarchalisch organisierten SDSlern hatten die Kommunarden das Verhältnis zwischen Mann und Frau, die Machtverteilung in den herkömmlichen Zweierbeziehungen als Sollbruchstelle des autoritären Staates in Angriff genommen. Den Ansatz der Kommunen bezeichnete Langhans als "Politik der ersten Person" , als emanzipatorisches Reinemachen im Eigenen, Privaten, im Gegensatz zur machtfixierten, nach außen gerichteten "Politik der dritten Person".

Aus Sicht des später zum Islam konvertierten Schriftsteller Hübsch bildeten exzessive Drogenerfahrungen einen Ausgangs- und Mittelpunkt der Bewegung. Haschisch und LSD, so der damalige Hippie-Häuptling, hätten in weiten Kreisen derart bewußtseinsverändernd gewirkt, daß dadurch eine fatale Hochstimmung nach dem Motto "...und morgen gehört uns die Welt" entstehen konnte.

Hübner, der seit der hessischen Kommunalwahl im März 2001 als Abgeordneter für die "Freien Bürger" im Frankfurter Stadtrat politische Verantwortung trägt, nannte die in Tabuisierungen erstickte Auseinandersetzung mit der Vätergeneration als initialen Anstoß für seine Beteiligung in den revolutionären Initiativen. Es sei der Wunsch gewesen, "an etwas beteiligt zu sein, das uns Würde zurückgibt".

Lebendiger Streit entbrannte unter anderem an der von Langhans aufgebrachten Frage, inwieweit das Streben nach "Angstfreiheit" eine Rolle spielte im inneren Diskurs der damals Engagierten. Für den Kommunarden stellte sich "Angst" als unnatürliches, negatives Verhaltensmuster dar, entstanden durch autoritäre zwischenmenschliche Verkehrsformeln der kapitalistischen Gesellschaft. Angstfreiheit könne gelingen durch Zerschlagung festgefahrener Machtstrukturen – eine Ansicht, die nicht nur für ein brummelndes Publikum, sondern auch für Widerspruch aus dem Podium sorgte: "Pervers" nannte Carl-Schmitt-Ausleger Maschke das Ziel einer angstfreien Gesellschaft und führte die modernen "Sklaven der Lust" als Resultate des linken "Befreiungswahns" an. Als nur scheinbare Freiheiten bezeichnete auch Olles die andernorts oftmals als positiv herausgestellten Folgen von ’68. Die Bewegung sei schon damals von Grund auf infiziert gewesen von Totalitarismus, Intoleranz und Unfreiheit, political correctness sei die einzige "Freiheit", die 1968 uns beschert habe.

Als Ergebnis dieses hochinteressanten Diskussionsabends bleibt die Erkenntnis, daß die Beweggründe der einzelnen Köpfe, die einst (West-)Deutschland in Inneren zu bewegen suchten, durch und durch heterogen waren, sich zum Teil gar im Grundsatz widersprachen – das gilt erst recht für die rückschauende Betrachtung über 30 Jahre danach.


 
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