© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
FPÖ für Sanierungskurs abgestraft
Wahlen in Wien: SPÖ erreicht wieder traditionelle absolute Mehrheit / ÖVP bleibt dritte Kraft
Carl Gustaf Ströhm

Wien bleibt Wien. Dies kann man auch als gefährliche Drohung auffassen." Dieser Aus-spruch von Karl Kraus hat seit Sonntag, als in der österreichischen Hauptstadt Gemeinde- und Landtagswahlen stattfanden, besondere Bedeutung – für die Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ. Obwohl besonders die FPÖ mit Stimmenverlusten rechnete, die durch ihren Wechsel aus der Opposition in die Regierung bedingt waren, hat kaum jemand das Ausmaß des Erdrutsches vorausgesehen, der sich am 25. März vollzog.

Eine Sensation war das Abschneiden der SPÖ, die noch vor fünf Jahren von schweren Verlusten gebeutelt war. Diesmal errang sie mit 46,9 Prozent einen Zuwachs von 7,7 Prozent – und damit fast wieder das Ergebnis von 1991. Weil das Liberale Forum mit 3,4 Prozent scheiterte, gelang sogar die absolute Mehrheit an Mandaten im Wiener Gemeinderat. Der sozialdemokratische Bürgermeister Michael Häupl kann allein regieren – wie das seit 1945 üblich war. Die Wiener ÖVP, bisher Junior einer rot-schwarzen Rathauskoalition, hat ihren Marsch in die kommunale Opposition angekündigt. Sie erhielt mit 16,4 Prozent zwar um einen Punkt mehr als bei der letzten Gemeinderatswahl, blieb aber prozentuell gegenüber der Wahl zum Nationalrat 1999 zurück. Die Erwartung, vom Kanzlerbonus zu profitieren, erfüllte sich nicht.

Die Wiener Grünen konnten zwar von 7,9 auf 12,4 Prozent zulegen, aber ihr Traum, als Mehrheitsbeschaffer für eine rot-grüne Rathauskoalition unvermeidbar zu werden, erfüllte sich nicht. Bürgermeister Häupl braucht sie nicht – ganz abgesehen davon, daß es innerhalb der Wiener SPÖ schon vorher starke Vorbehalte gegen die "Chaoten" gab – als welche alte Sozis den bunten grünen Haufen charakterisieren. Das Liberale Forum (LIF) – vor acht Jahren als "links-linke" Abspaltung der FPÖ entstanden, verlor die letzten Mandate und ist damit aus der österreichischen Politik praktisch verschwunden. Die LIF-Wähler liefen zumeist zu den Grünen über – doch nicht alle: LIF und Grüne zusammen erreichten weniger Wähler als 1996.

Die schwerste Niederlage allerdings erlebte die FPÖ. Die Freiheitlichen, die vor fünf Jahren tief in SPÖ-Stammwählerschichten, besonders in den Wiener Arbeiterbezirken, eingedrungen waren und damals 27,9 Prozent erreichten, fielen um 7,7 Punkte auf 20,2 zurück. Es war die schwerste Niederlage, welche die FPÖ seit Jahren einstecken mußte – und dazu noch in Wien, wo sie bisher erfolgreich gegen den "roten Filz" der Bundeshauptstadt agiert und viele kleine Leute auf ihre Seite gezogen hatte. Bei der Suche nach den Ursachen wurde oft die durch eine Rede Haiders ausgelöste Antisemitismus-Debatte genannt. Haider hatte den Vorsitzenden der israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, mit einem bekannten Waschmittel verglichen und ihn beschuldigt, "Dreck am Stecken" zu haben. Das löste einen ungeheuren Medienwirbel aus und wurde von der SPÖ-Wahlpropaganda, die übrigens von einer US-Firma gestaltet wurde, geschickt thematisiert. Politologen und Wahlforscher bezweifeln allerdings fast einhellig, daß solche Debatten das Verhalten der Wiener Wähler wesentlich beeinflußt haben. Die FPÖ scheiterte vielmehr an einer an sich banalen Tatsache: nämlich am Spagat zwischen ihrer seinerzeitigen Rolle als "populistische" Oppositionspartei – und der seit einem Jahr neu übernommenen Rolle als neoliberal und fiskalisch agierenden Regierungspartei. Hier hat die FPÖ in der Regierung einen ganz anderen Kurs eingeschlagen, als es ihre Wähler – hauptsächlich kleine Leute und Mittelstand – von ihr erwarteten.

Nicht so sehr ideologische Motive und schon gar nicht ein plötzlich entdeckter Widerwille gegen Jörg Haider – vielmehr der eigene Geldbeutel des Wählers gab diesmal den Ausschlag gegen die FPÖ. Die Kürzungspolitik des 32jährigen FPÖ-Finanzministers Karl-Heinz Grasser hat die neu gewonnenen (und teilweise auch die traditionellen) FPÖ-Wähler serienweise vor den Kopf gestoßen. Die FPÖ, die in der Opposition als die Partei des kleinen Mannes auftrat, begann – kaum an der Regierung – mit einer knallharten neoliberalen Sanierungspolitik, die bis zum Jahre 2002 ein Nulldefizit des Bundeshaushalts bewirken sollte. Das "Null-Defizit" wurde geradezu zum Glaubensbekenntnis der neuen Regierung und besonders der FPÖ-Minister. Es wurde nicht bedacht, daß der einfache Wähler damit wenig anfangen kann. Ihn interessieren nicht die Staatsschulden – sondern was in seinem Geldbeutel bleibt. Da aber zeigte sich bald, daß der Finanzminister für seine ehrgeizigen Sanierungspläne in erster Linie die mittleren und unteren Einkommen rigiros zur Kasse bitten mußte.

So wurden alle möglichen Gebühren drastisch "hochgeschnalzt", die Pensionen faktisch gekürzt, Steuervorauszahlungen erhöht. Im Beamtenstaat Österreich legte sich die FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer frontal mit den Beamten an und verkündete das Ende der "Pragmatisierung", das heißt des Berufsbeamtentums. Mehrere hunderttausend Beamte und ihre Familien fühlten sich verunsichert und attackiert. In kurzer Zeit prasselten dann unerfreuliche Neuerungen auf das Wählervolk nieder: Studiengebühren von jährlich etwa 1.500 Mark wurden eingeführt. Die Unfallrentner mußten ihre bisher steuerfreie Rente versteuern. Ärzte und Patienten wurden durch die schlagartige Einführung einer Ambulanzgebühr verschreckt. Es sah aus, als hätte es die Ministerriege der FPÖ darauf angelegt, die eigenen Wähler zu verprellen.

Hinzu kam noch, daß viele Maßnahmen wirkten, als habe man aus der Hüfte geschossen. Die 39jährige Infrastrukturministerin Monika Forstinger (FPÖ) trat mit einer Verordnung an die Öffentlichkeit, durch welche sämtliche Telefonnummern in Österreich geändert werden sollten – ein Unternehmen, das gewaltige Milliarden-Kosten verursacht hätte. Die unerfahrene Ministerin mußte unter allgemeinem Protestgeschrei noch am gleichen Tag einen Rückzieher machen.

Schon Monate vor der Wahl stellten Beobachter des Wiener politischen Klimas fest, daß sich in der Wählerklientel der FPÖ Unmut, Ärger und Enttäuschung über die eigene Partei breitmachten. Plötzlich verbreitete sich der Eindruck – ob berechtigt oder nicht –, manche FPÖ-Politiker kassierten genauso rücksichtslos ab wie die von ihnen kritisierten Sozialdemokraten. Das Ergebnis war, daß die mit der FPÖ sympathisierenden Rentner scharenweise wieder in zur SPÖ zurückkehrten – und der enttäuschte Mittelstand frustriert zu Hause blieb. Bei einer Wahlbeteiligung von 64 Prozent ist die "Partei der Nichtwähler" in Wien gleich nach den Sozialdemokraten die zweitstärkste Kraft geworden.

Erst jetzt fällt den FPÖ-Abgeordneten zweierlei auf: Einmal die Tatsache, daß in der Regierung des Kanzlers Wolfgang Schüssel alle unpopulären Ressorts (Finanzen, Verkehr, Gesundheit) sich in FPÖ-Hand befinden, während der ÖVP-Kanzler weise darüberschwebt. Zum anderen scheint auch, als hätte sich die FPÖ vor lauter Freude am Regieren den Koalitionspakt mit der Volkspartei gar nicht genau angeschaut. Ein FPÖ-Abgeordneter sagte nach der Wahl: "Wir vollziehen den Koalitionspakt mit zugunsten der ÖVP und bleiben dabei auf der Strecke!"

Erst jetzt wird klar: Will die FPÖ nicht beim nächsten Mal vom Wähler bestraft werden, muß sie eine klare Entscheidung treffen, ob sie mehr dem Internationalen Währungsfonds oder mehr den kleinen Leuten verpflichtet ist. Beides zusammen – das wird nicht gehen. Am Dienstag wurde immerhin bei der Ambulanzgebühr "nachbessert", so daß Kinder künftig "mit Sicherheit nichts zahlen" müssen, so ein FPÖ-Sprecher.


 
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