© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Existenznöte
Karl Heinzen

Rudolf Scharping hat mit seiner Äußerung gegenüber der "Bild am Sonntag", für das nächste Jahr mehr Geld für die Bundeswehr fordern zu wollen, keineswegs einen Kurswechsel signalisiert. Niemand muß befürchten, daß insgeheim Konzeptionen ausgetüftelt wurden, wie deutsche Streitkräfte in Form gebracht werden könnten, um auf irgendwelche imaginären Herausforderungen der Zukunft vorbereitet zu sein. Die politische und militärische Führung weiß, daß eine realistische Bundeswehrplanung stets nur kurzfristiger Natur sein kann. Die finanziellen Sonderwünsche haben daher einen ganz simplen Hintergrund: Der chronische Balkan-Einsatz reizt das, was den Streitkräften möglich ist, nicht nur militärisch aus, und auch das Bemühen, den Soldaten daheim und im besetzten Gebiet wenigstens partiell persönliche Ausrüstungsgegenstände und Waffensysteme bereitzustellen, die nicht schon die Väter und Großväter kannten, kostet nun einmal seinen Preis.

Die Verantwortung für all das, was die Bundeswehr heute auszeichnet, kann auch nach mehr als zwei Jahren Amtszeit immer noch nicht Rudolf Scharping angelastet werden. Er hat als Verteidigungsminister bloß mit der Tradition seines Vorgängers Volker Rühe gebrochen, den Primat des Politischen im Kasernenhofton zum Ausdruck zu bringen. Diese atmosphärische Aufhellung ließ vergessen, daß er in der Sache gezwungen war, Kontinuität zu wahren.

Die Bundeswehr hat mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch keine neue Existenzberechtigung gefunden. Sie zehrt von der Erinnerung an eine Zeit, in der die meisten sie, so bedauerlich das war, für unverzichtbar hielten. Da es keinen Krieg zwischen Ost und West gab, darf heute behauptet werden, daß sie damals sogar geholfen hätte, den Frieden zu bewahren.

In den Jahren nach Wende und Wiedervereinigung hat sich die Politik lange Zeit redlich darum bemüht, neue Aufgaben der Streitkräfte zu erfinden. Die Ergebnisse waren bescheiden. Am wenigsten haben sie vermutlich die Politiker überzeugt, die sie propagieren mußten. Man gewann allerdings Zeit, um eine sentimentale und natürlich auch ein bißchen überängstliche Öffentlichkeit darauf vorzubereiten, daß sie eigentlich ganz ohne, auf jeden Fall aber mit erheblich weniger Soldaten auskäme. Diese Überzeugungsarbeit, so fand man heraus, läßt sich nicht über Nacht leisten. Ihre Botschaft muß zudem mit dem Erscheinungsbild der Bundeswehr kongruent sein. Streitkräfte ohne Probleme werden von den Menschen nicht als problematisch empfunden. Solange sie als führungsfähig, gut ausgerüstet und hoch motiviert gelten, erscheint ihre Abschaffung als Verschwendung. Erst wenn sie dies alles nicht sind, wird darüber nachgedacht, ob sich die Mittel zur Beseitigung der Mängel wirklich lohnen. Die Bundeswehr ist auf ihrem Weg in eine Zukunft, in der sie niemand mehr ernstlich vermissen muß, schon weit vorangekommen.


 
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