© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Wien sieht rot
von Philip Plickert

Unter Aufbietung ihrer gewaltigen Wahlkampfmaschinerie ist es der SPÖ gelungen, die verlorene rote Festung Wien zurückzuerobern. Bürgermeister Häupls Sozialisten haben überraschend deutlich gewonnen, dagegen mußten die Wiener Freiheitlichen gerade in den Arbeiterbezirken herbe Verluste einstecken. Die "kleinen Leute" kehrten – enttäuscht vom schwarz-blauen Sparkurs – reumütig zur SPÖ zurück. Ohne die lästige Kontrolle eines ÖVP-Juniorpartners kann diese nun an die Tradition von 55 Jahren Genossenfilz anknüpfen. Auch die Grünen haben kräftig zugelegt, doch ist dies schon ein "Signal für Rot-Grün"?

Sicher nicht, denn die Grünen sammelten lediglich die Trümmer der Liberalen. Die meisten Interpretationen der Wiener Wahl sind von Wunschdenken geleitet. Die Freiheitlichen befinden sich keineswegs im "freien Fall", wie linke Kommentatoren behaupten: Nach fünfzehn Jahren der Fundamentalopposition haben sie lediglich jenen Teil ihrer Wählerschaft abgegeben, der den Wechsel in die Regierungsverantwortung nicht verkraftet. Sie haben aber den zweiten Platz klar gehalten.

Jetzt stehen erst einmal zwei Jahre ohne Wahlen bevor, zwei Jahre hat die Regierung Schüssel Zeit für tiefgreifende Reformen. Nichts deutet darauf hin, daß eine nervöse FPÖ die Koalition sprengen wollte. Den "kleinen Leuten" mag die Haushaltssanierung abstrakt erscheinen, nach dreißig Jahren sozialistischer Schuldenpolitik führt jedoch kein Weg daran vorbei. Die Früchte des Sparens können ÖVP und FPÖ dann pünktlich zur nächsten Nationalratswahl 2003 ernten.


 
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