© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Messe: Cebit in Hannover eröffnet / Detailfragen behindern neue Technik
Zwischen Innovation und Flop
Ronald Gläser

Wer in den letzten Tagen aufmerksam das Fernsehen verfolgt hat, dem konnte nicht entgehen, daß das Mekka der Informations- und Kommunikationstechnologie wieder bevorsteht: die Cebit. Statt Rasierschaum und Waschmittel dominieren jetzt Software und Digitalkameras die alltäglichen Werbeblöcke. Ford wirbt für sein neues Telematiksystem im Ford Focus, Intel preist den neuen Pentium Vier an. Kaum eine überregionale Zeitung kommt ohne Sonderbeilage zu der Messe in Hannover aus.

Nach dem Expo-Debakel braucht die Stadt den Erfolg ebenso dringend wie die Messeleitung, nachdem die für letztes Jahr geplante Cebit Home Messe in Leipzig sogar abgesagt werden mußte. Ein neuer Besucherrekord muß her. Auf 800.000 Interessenten hat man sich eingestellt. 422.000 Quadratmeter stehen über 8.000 Unternehmen aus 60 Ländern zur Verfügung.

Doch auf dem IT- und TK-Markt ist es schwieriger geworden. Der faktische, seit einem Jahr andauernde Börsencrash der High-Tech-Aktien ist symptomatisch für die neue Unsicherheit an den Neuen Märkten. Das weltweite Wachstum der ganzen Branche wird Prognosen zufolge dieses Jahr auf unter zehn Prozent fallen.

"Wir haben die Turbulenzen gemerkt", sagt Herbert Lange von der Deutschen Messe. Die Zahl der Absagen von eingeplanten Ausstellern ist deshalb auf rund fünf Prozent gestiegen. Selbst mittelgroße Telefongesellschaften haben ihre Messeteilnahme kurzfristig beerdigt.

Symptomatisch für den Absturz einer ganzen Branche ist Intershop. Das in Thüringen entstandene Unternehmen entwickelt E-Commerce-Programme, die in aller Welt eingesetzt werden. Zu den Kunden gehören, Intel, Shell und Time Warner. Die Firma wurde in kürzester Zeit immer größer, tätigte teure Unternehmenszukäufe und erwirtschaftet deshalb immer noch Verluste. Mit Spannung werden die neuen Geschäftszahlen erwartet. Der Aktienkurs ist in einem Jahr von 120 auf fünf Euro gefallen. Trotzdem wird Intershop aufwendig auf der Messe vertreten sein.

Die Schwerpunkte der Cebit liegen insbesondere wieder im Bereich der Vernetzung und unterschiedlicher Formen der Datenkommunikation. Die Trends gehen in dieselbe Richtung: immer schneller, immer kundenfreundlicher und immer bedienungsfreundlicher. Ein Beispiel ist Bluetooth. Dieser neuen Technologie will ein Konsortium zum Durchbruch verhelfen. Schon letztes Jahr war Bluetooth ein Messe-Thema, ohne daß sich die Funktechnik durchgesetzt hätte. Sie ermöglicht die Herstellung von Minifunkverbindungen, die auf einer Entfernung zwischen zehn und hundert Metern aufgebaut werden können. Dadurch lassen sich alle möglichen Verbindungen kabellos realisieren.

Wer mit Mobiltelefon und Laptop im Internet surft, kann durch Bluetooth das Handy in der Jacken- oder Hosentasche lassen. Telefon-Kopfhörer ersetzen das Telefon in der Hand. So bleiben die Hände zum Bügeln oder zum Tellerwaschen frei. Besonders für pubertierende Computerfreaks könnte sich diese Technik voll auszahlen. Ein Computernetzwerk läßt sich ad hoc ohne großen Aufwand und "Kabelsalat" aufbauen. Solche Netzwerke sind die Voraussetzung für sogenannte LAN-Partys, zu denen teilweise Hunderte von Spielern ihre Rechner mitbringen. Dann werden ein ganzes Wochenende Ballerspiele ausprobiert und Pizzas gegessen.

Das Internet beherrscht natürlich auch immer mehr die Cebit. Die Firma Friendlyway präsentiert zum hundersten Mal ein Produkt, das Fernsehen und Internet miteinander verbinden soll. Zuschauer können dann auf TV-Beiträge interaktiv reagieren, indem sie den Bildschirm berühren und eine bestimmte Internetseite aufsuchen. So lassen sich beispielsweise Produktinformationen völlig neu an den Mann bringen. Vielleicht kann man auch Containerbewohner so abwählen, ohne zum Telefonhörer greifen zu müssen.

Der Durchbruch könnte auch ASP (Application Service Providing) gelingen. Dahinter verbirgt sich eine neue Vermarktungsform für Computersoftware. Die entsprechenden Anwendungen wie Bildbearbeitungs-, Textverarbeitungs- oder Kalkulationsprogramme sind nicht mehr auf dem eigenen Rechner, sondern sie befinden sich auf einem Großrechner. Dort wählt sich der Nutzer ein, wann immer er die Programme benötigt.

So läßt sich eigener Speicherplatz einsparen. Der Nutzer muß auch keine hohe Lizenzgebühr zahlen, sondern nur die zeitabhängige Miete des Programms. Und er verfügt immer über die neueste Version. Auf der Berlinale lief gerade ein großes Projekt mit Journalisten, die diese Technik im Pressezentrum ausprobieren konnten.

Das alles setzt sehr schnelle Datenverbindungen voraus. Ein besonderes Cebit-Forum ist nicht zuletzt deshalb der DSL-Technik gewidmet, die Übertragungsgeschwindigkeiten ermöglicht, die jene herkömmlicher ISDN-Leitungen um das 70fache übersteigt könnten. Meistens bleibt es aber bei theoretischen Geschwindigkeiten.

Die Telekomtochter T-Online, deren Aktienkurs noch ein Fünftel ihres Jahreshochs ausmacht, hat ihre aggressive Vermarktung von DSL auch längst wieder zurückgezogen. Sie konnte den Ansturm der Kunden nicht bewältigen. Viele derer, die Ende letzten Jahres den euphemistischen Versprechungen Ron Sommers erlegen waren, sind noch immer nicht angeschlossen. Sie müssen sich in der Regel noch bis zum dritten Quartal dieses Jahres gedulden.

Die Schwierigkeiten bei DSL reichen von Platzmangel in Telefon-Hauptverteilern über Lieferprobleme der entsprechenden Geräte bis hin zur Entfernung, die zwischen dem Verteilerkasten und dem Kunden liegen. Die Kupferadern reichen ab einer bestimmten Länge nicht mehr aus, die große Datenmenge zu übertragen. Dennoch gehört den Hochgeschwindigkeitsverbindungen für Datentransfers die Zukunft.

Das wissen auch die Mobilfunkbetreiber. Selbst auf der letzten Cebit waren entsprechende neue Hochgeschwindigkeitsprodukte schon lange in aller Munde. Es mangelte auch hier an der Umsetzung. Erst waren keine Geräte verfügbar. Dann mußte festgestellt werden, daß eine steigende Anzahl von Nutzern die Übertragungsraten wieder verringert, weil die Mobilfunknetze überlastet sind, was insbesondere auf die D-Netze zutrifft. Das alles läßt die Schwierigkeiten erahnen, die sich in den kommenden Jahren mit den teuer bezahlten UMTS-Netzen ergeben werden. Kürzlich wurde bekannt, daß von Entwicklern die theoretisch erreichbaren Kapazitäten mit UMTS nicht einmal unter Idealbedingungen erreicht werden. Funktionstüchtige Geräte wird wohl niemand vorstellen können.

Jetzt zeichnet sich zunächst die Einführung neuer Handys mit etwas größerer Datenübertragungsrate ab. Da ist einmal GPRS, das dreimal so schnell wie bisher und auch billiger als bisherige Lösungen sein soll. Der andere Standard, HSCSD, ist noch schneller und arbeitet mit der Bündelung von vier Kanälen, was voraussichtlich nur die wenig ausgelasteten E-Netze bewerkstelligen können.

Die Gerätehersteller gehen das Thema sehr zurückhaltend an. Nokia beispielsweise hat derzeit nur ein einziges Gerät auf dem Markt, das UMTS-fähig ist. Der Konkurrent Motorola vermarktet eines für GPRS. Die Mobilfunkbetreiber setzen auch lieber auf ihre erfolgsverwöhnten Standardleistungen: das Telefonieren. Viag beispielsweise setzt weiterhin auf Genion und hat sich nur von seinem albernen Strichmännchen ("Wenn das Häuschen im Display erscheint ...") getrennt. Neue, zweiminütige Werbespots laufen deshalb ab dieser Woche auf Prosieben – getarnt als Cebit-Specials. Damit man beim Einschalten des Fernsehers daran erinnert wird: Es ist mal wieder Cebit.


 
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