© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Von Zwerg Nase zu Jud Süß
Eine im "Vorurteil" steckengebliebene Untersuchung über Wilhelm Hauffs Antisemitismus
Irene Casparius

Da bei dem Geniestamm der Schwaben der Schiller, der Schelling und der Hegel sprichwörtlich die Regel sind, geraten kleinere Geister schnell in die Schmähecke. Das gilt auch für Wilhelm Hauff (1802–1827). Und das, obwohl ihn selbst ganz illiterate Menschen wenigstens dem Namen nach kennen und seine in moderner Präsentation zumeist gänzlich verstümmelten Schöpfungen schätzen. Man denke an das mit Lieselotte Pulver verfilmte "Wirtshaus im Spessart", die volkstümlichen Märchengestalten wie Zwerg Nase oder den kleinen Muck. Aber Popularität ist für deutsche Literaturwissenschaftler stets auch ein untrügliches Indiz für mindere künstlerische Qualität. So erledigt ihn Josef Nadler in seiner mehrbändigen Literaturgeschichte in einer kümmerlichen Zeile als "geschickten Macher". Und auch Bernhard Zeller, der im Insel-Verlag 1969 eine Hauff-Ausgabe edierte, faßt den "deutschen Scott", der das Genre des historischen Romans mit seiner württembergischen Vorzeit-Mär "Der Liechtenstein" etablierte, sichtlich mit spitzen Fingern an.

Hauffs Ruf endgültig zu ruinieren, hat sich aber erst jetzt der Osnabrücker Germanist Rolf Düsterberg vorgenommen. In der ehrwürdigen Zeitschrift für deutsche Philologie (Heft 2/2000) thematisiert er die "opportunistische Judenfeindschaft" des Dichters. Tatsächlich entdeckt Düsterberg ein Desiderat, wenn er nachweisen kann, daß die literarische Präsentation von Juden in Hauffs Werk niemals Gegenstand literaturwissenschaftlichen Interesses war. "Ausgerechnet" deswegen, weil diesem "Lieblingsdichter des deutschen Volkes" (Fritz Martini) mit seiner Novelle vom Juden Joseph Süß Oppenheimer ("Jud Süß") wirklich eine "langanhaltende Rezeption mit extremer Wirkung" beschieden war. Noch Zeller schrieb über den historischen Oppenheimer als über den "im Volke so verhaßten Finanzminister..., der unter Karl Alexander mit unbarmherziger Strenge Steuern erpreßte".

Mit solchen Fortschreibungen antijüdischer "Vorurteile" möchte Düsterberg nunmehr aufräumen. Er trägt an Zitaten zusammen, was sich bei Hauff an negativen Urteilen der "Kinder Israels" finden läßt. Dies alles und insbesondere die Szenen aus dem "jüdischen Geld-, Spekulanten- und Börsenmilieu", spiegele "angebliche" Eigenarten, "rassistische Vorstellungen", "traditionelle Judenfeindschaft und ihre Stereotypen von einer spezfisch körperlichen und seelischen Andersartigkeit und Minderwertigkeit der Juden", "judenfeindliche Affekte". Es gibt in Düsterbergs paraphrasierender Sammlung kaum einen häufiger verwendeten Begriff als "Vorurteil". Der sozioökonomischen Basis der Judenfeindschaft, als denkbarer realer Kern dieser Präjudizien, widmet der Hauff-Kritiker dagegen nur eine längere Anmerkung. Darin referiert er vorsichtig einige sozialhistorische Befunde. Denen zufolge hätten "einige wenige jüdische Finanzleute" seit dem 17. Jahrhundert zwar "Einfluß und Reichtum" erlangen können, doch die erdrückende Mehrheit der Juden habe zu Hauffs Zeit als "abgesonderte Pariakaste" gelebt. Mit so groben Befunden hat Düsterberg die soziale Stellung von Juden gerade in dem von einer Art Weltwirtschaftskrise gezeichneten Jahrzehnt nach dem Sieg über Napoleon kaum erfaßt. Einmal abgesehen davon, daß er mit dieser Variante von "Stereotypen" die markanten Unterschiede übersieht, die im föderalen Deutschen Bund etwa zwischen Preußen, Hessen oder Württemberg bestanden.

Düsterberg mag das Verdienst zukommen, erstmals das Material kompiliert zu haben, aufgrund dessen man über den "Judenhaß" bei Hauff diskutieren könnte. Daß sich der schwäbische Schnell- und Vielschreiber mit dem Thema "nicht ernsthaft" beschäftigte und nur Publikumserwartungen opportunistisch bediente, ist Düsterberg zuzugeben.Was ihn und seine neuerdings so rührigen Kollegen (siehe zu "Fontane und die Juden": JF 49/00) nicht enthebt, endlich für die politisch für so brisant erachtete Literatur die sozialhistorischen Kontexte gründlich zu erforschen. 


 
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