© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Vom Fels zum Meer
Fischer und Trittin als unwürdige Erben von 1848
Christian Vollradt

Berliner Kabinettsmitglieder werden öffentlich mit ihrer revolutionären Vergangenheit konfrontiert. Die Presse greift ihre Aktivitäten in der Studentenbewegung auf: handgreifliche Auseinandersetzungen in Heidelberg und Göttingen, die einem Minister gar nicht gut zu Gesicht stehen. Dazu entlarven ehemalige Genossen detailliert ihre früheren Kontakte zu damals staatlich verfolgten Umstürzlern und die Mitgliedschaft in einem illegalen Zirkel – mit der Absicht, den so Angegriffenen in seinem derzeitigen Umfeld und seiner Tätigkeit zu diskreditieren.

Was aktuell Joseph Fischer und Jürgen Trittin belastet, widerfuhr einst dem preußischen Finanzminister Johannes von Miquel, dessen Tod sich am 8. September 2001 zum 100. Mal jähren wird. Der gehörte in seiner Heidelberger Studentenzeit als Mitglied des burschenschaftlichen Neckarbundes zum Kreis des badischen Radikaldemokraten Friedrich Hecker und hatte sich an dessen bewaffneten Aktionen im Revolutionsjahr 1848 beteiligt.

Mit dem im Londoner Exil harrenden Karl Marx stand er zu dieser Zeit in regem Briefkontakt und gelangte so in den illegalen Bund der Kommunisten. Zur Fortsetzung des Jurastudiums zog er in das ebenfalls revolutionär erhitzte Göttingen, wo er später als Rechtsanwalt wirkte. Dort gründete er eine Arbeiterpartei und organisierte Bauernaufstände. Unter dem Einfluß seines Freundes Rudolf von Bennigsen wandelte er sich vom radikalen Republikaner zum Nationalliberalen. Sein weiteres politisches Engagement führte Miquel in den Reichstag und das Amt des Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main, schließlich 1884 in den preußischen Staatsrat. Wilhelm II. berief ihn 1891 an die Spitze des preußischen Finanzministeriums, wo er als Schöpfer einer umfassenden Finanzreform Ruhm und Anerkennung erwarb.

Wie die 68er bzw. 78er sah sich auch der 1848er Miquel auf dem Höhepunkt seiner Karriere einer Kampagne ausgesetzt; in seinem Fall losgetreten vom sozialdemokratischen Vorwärts, der hämisch den Wortlaut einiger Briefe des jungen Revolutionärs von 1848 an seinen glühend verehrten Mentor Karl Marx widergab.

Neben solchen offensichtliche Parallelen springen die Unterschiede um so deutlicher ins Auge: nicht nur bei den inkriminierten Aktivitäten selbst – Miquel hatte im Gegensatz zur Spaßguerrilla unter wesentlich höherem persönlichen Risiko für seine Ideale gefochten und hätte dies wie zahlreiche Mitstreiter auch mit dem Leben bezahlen können –, sondern auch im Umgang damit. Die Würde des Amtes höher bewertend, überreichte Johannes von Miquel seinem Souverän, dem preußischen König, das Rücktrittsgesuch. Wilhelm II. sandte daraufhin von seinem Aufenthaltsort Burg Hohenzollern sofort an den Minister ein Telegramm, dessen Inhalt dem Absender wie dem Adressaten gleichermaßen zur Ehre gereicht: "Vom Fels zum Meer, vom jugendlichen Ungestüm zu staatsmännischem Wirken. Dies die Antwort Ihres Königs auf Ihr Abschiedsgesuch!" Stellt man angesichts dessen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber, so verläuft die Trennlinie nicht nur zwischen gestern und heute, sondern vor allem zwischen groß und klein!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen