© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Stolz in der Schamgesellschaft
In Deutschland ist man gern Deutscher – und sogleich schämt man sich gern dafür
Baal Müller

Der Bundespräsident, so haben wir nun also vernommen, ist "gerne" Deutscher, aber er ist "nicht stolz darauf". Unter welchen Bedingungen ist man jedoch auf etwas nicht stolz? Doch nur, wenn es einem entweder egal ist oder wenn man sich dafür schämt. Egal ist dem Bundespräsidenten sein Deutsch-sein offensichtlich nicht, denn er hat ja gesagt, er sei es gerne; also bleibt nur noch die negative Variante: Er schämt sich dafür.

In der Tat kann man gerne und sogar mit Leidenschaft etwas sein oder tun und sich trotzdem dafür schämen, wie es insbesondere bei Lastern wie Hurerei, Trunksucht, unschönen Gewohnheiten aller Art häufig der Fall ist. Man nimmt dabei zweierlei Perspektiven auf dieselbe Eigenschaft oder Handlung ein: eine externe, moralische, mit der die Angelegenheit beurteilt wird, und die interne des unmittelbaren Erlebens. In der politischen Öffentlichkeit wird diese Unterscheidung im Zusammenhang mit der Befindlichkeit, ein Deutscher zu sein, jedoch oft nicht mehr gemacht, Lust und Scham fallen dann zusammen: Man ist gerne Deutscher und schämt sich sogleich dafür, ja sogar: Man schämt sich gerne.

Johannes Rau wären solche Spekulationen erspart geblieben, wenn er ein klares und deutliches Wort gesprochen hätte, ohne nachträgliche Korrekturen, wie es eigentlich dem Amt des Bundespräsidenten entspräche. Niemand wird gezwungen, auf sein Deutschsein stolz zu sein, jedoch darf man dies vom höchsten politischen Repräsentanten der Deutschen erwarten. Nach Rau setzt Stolz jedoch immer eine individuelle Leistung voraus, zum Beispiel in seinem Falle die, es bis zum Bundespräsidenten gebracht zu haben.

Mehr als dieser Individualstolz ist für Rau nicht denkbar, eine Repräsentation, also ein Stolz auf die Leistungen anderer und einer überindividuellen Gesamtheit, grenzt ans Unmögliche. Dabei erlaubt die alltägliche Verwendung des Wortes "Stolz" durchaus den Bezug auf andere: ein Kind kann auf seine Eltern, ein Sportler auf seine Mannschaft stolz sein, auch dann, wenn er schlecht gespielt und ein Eigentor geschossen oder das Spiel sogar nur auf der Reservebank verbracht hat. Solange die Deutschen aber von Individualisten repräsentiert werden, die nur auf sich selbst stolz sein können, wird es auch weiterhin zwei Gruppen geben: diejenigen, die gerne deutsch, aber nur auf ihre deutschen Ämter stolz sind, und die anderen, die auf ihr Deutschsein zwar stolz sind, aber dies nur ungerne.


 
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