© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Souverän ist, wer die Quellen kennt
Tief an den sauerländischen Wurzeln gegraben: Ernst Hüsmert ediert die Briefe des jungen Carl Schmitt
Ulrike Imhof

Wer die Forschung zu Leben und Werk Carl Schmitts (1888–1985) nur für das letzte Jahrzehnt überschaut, gewinnt schnell den Eindruck, alles Wesentliche in der Biographie des Staatsrechtslehrers habe sich zwischen 1933 und 1945 ereignet. Diese starke Fixierung auf den vermeintlichen NS-"Kronjuristen" hat sogar sein Wirken in der Weimarer Republik soweit in den Schatten gestellt, daß er in zahllosen Veröffentlichungen immer noch als "intellektueller Wegbereiter" Adolf Hitlers gelten durfte und niemand es für nötig hielt, Schmitts Aktivitäten in den letzten Monaten vor der NS-Machtergreifung einmal anhand seines im Nachlaß überlieferten Tagebuchs zu rekonstruieren. Erst Wolfgang Pyta und Gabriel Seiberth haben dann den von ihren Kollegen so lange und so beharrlich überhörten Ruf "Zu den Quellen!" vernommen und konnten in Der Staat (Jahrgang 38, 1999) Schmitt als politischen Berater zweifelsfrei im Anti-NSDAP-Lager Kurt von Schleichers verorten.

Je weiter man sich vom Jahr 1933 in Schmitts Biographie zurückbewegt, desto wahrscheinlicher ist es, vergleichbare Forschungserfolge erzielen zu können. Hier ist tatsächlich noch so viel "nicht Dechiffriertes" (Gabriel Seibert) bei Carl Schmitt zu entdecken, daß man sich mit Thomas Wirtz ein "Moratorium" in der ausufernden Schriftenexegese wünscht (FAZ vom 12. Februar), damit die Auswertung und edition der Düsseldorfer Nachlaß-Massen endlich in Angriff genommen werden möge. Vor allem der ganz junge, der "wilhelminische" Schmitt, der zwischen Gymnasium, Studium und ersten Jahren als Hochschullehrer im Kaiserreich geformt wird, harrt noch der Entdeckung. Da für diese Aufgabe jener archivalische Spürsinn, detailversessene Faktenhunger und altmodische Respekt vor den Quellen mitzubringen sind, der passionierte Heimat- und Familienkundler mitunter eher auszeichnet als auf Bestätigung von "Theorien" erpichte Ideenhistoriker, betritt mit dem Diplomingenieur Ernst Hüsmert keineswegs ein Unberufener die Bühne der Schmitt-Forschung.

Hüsmert ediert und erläutert die Jugendbriefe, die sein berühmter Plettenberger Landsmann zwischen 1905 und 1913 an dessen Schwester Auguste schrieb. Dazu liefert Hüsmert eine knappe Einführung, die "Entwicklung und Aufstieg eines jungen Genies" skizziert und auf die Vielzahl unbetretener Pfade hinweist, die – um nur dies zu erwähnen – in das Dickicht der "Bildungseinflüsse" eines werdenden Juristen führen, der mehr Künstler und Literat zu sein schien und nie in Gefahr geriet, als Rechtstechniker und "Fallbearbeiter" zu verkümmern.

Die Briefe, denen Hüsmert einige Kostproben literarisch-satirischer Fingerübungen Schmitts und seines Freundes Fritz Eisler beigibt, dokumentieren diese schriftstellerischen Anfänge, belegen aber vor allem, was der Herausgeber meint, wenn er verspricht, den "rheinischen Katholizismus", die "beneidenswert bequeme Religion, fern von allem Fanatismus und von absoluter Unbefangenheit gegenüber Andersgläubigen" als familiäres Erbe Schmitts heller zu beleuchten. Dies fällt einige Monate nach dem Erscheinen von Raphael Gross’ Monographie besonders stark ins Gewicht. Diese löste nicht zuletzt deshalb ein großes öffentliches Echo aus, weil sie in prosekutorischer Manier vorgab, alles über "Carl Schmitt und die Juden" zu "entlarven" (siehe dazu Günter Maschkes Rezension in JF 43/00). Denn wie Pyta und Seiberth kann jetzt auch Hüsmert Quellen gegen Mutmaßungen sprechen lassen.

Gross wußte über Schmitts Jugend zu berichten, daß sie von dem Gefühl geprägt worden sei, "in einer bedrückenden Diaspora zu leben", nicht immun gewesen zu sein gegen eine "aus der Defensive heraus agierende Verachtung für die protestantisch-jüdische Bildung" und selbst, zumal als vorgeblich alleiniger Autor der satirischen "Schattenrisse" (1913), judenfeindliche Ressentiments gepflegt und verbreitet zu haben.

Die Briefe belegen in all diesen "Anklagepunkten" geradezu das exakte Gegenteil. Nirgends ist darin ein Hauch anti-jüdischer Animosität zu spüren. Als sich Schmitt in ein jüdisches Mädchen verliebte und von deren Eltern, seiner damaligen Stellung als "positionsloser Hund" wegen, gebeten wurde, den Kontakt abzubrechen, provozierte ihn diese demütigende Erfahrung nicht etwa zu einschlägigen Invektiven. Eine Reaktion, die mit jenem Kommentar des sechzehnjährigen Schülers korrespondiert, der die Pressemeldung über einen ihm bekannten jüdischen Justizrat, der mit "100.000 Mark Unterschlagung verschwunden" sei, mit Mitleid für die Söhne ("dicke Freunde") statt mit Häme quittiert.

Besonders peinlich müssen für Gross jene Passagen des Briefwechsels sein, die die Mit-Verfasserschaft Fritz Eislers für die "Schattenrisse" zweifelsfrei belegen. Gerade das parodierende Schreiben des "jüdischen Advokaten Ewald Oskar Kohn an Gottfried von Bouillon", das Gross als antijüdischen Ausfall Schmitt zuschreibt, ist tatsächlich ein kleines Meisterstück Eislers, dessen familiäre Wurzeln tief ins ungarische Judentum reichen! Auch das – nicht nur von Gross – Schmitt angelastete Rathenau-Kapitel stammt von Eisler,wie Ellen Kennedy schon 1988 herausfand. Insgesamt, so resümiert Hüsmert, handle es sich hier also "nicht um eine antisemitische, sondern um eine innerjüdische Angelegenheit".

Darüber hinaus erweist sich die – im durchaus unverächtlichen Sinne eines vom "Bildungswert der Heimatkunde" fest überzeugten Eduard Spranger gesprochen – heimatkundliche Qualität von Hüsmerts Edition in der Vermittlung von Einzelheiten über das Plettenberger Eltern-"Milieu" der "kleinen Leute", über Schmitts unbändigen Ehrgeiz, den Bildungsheißhunger eines Lesetiers, die durch Bücherkäufe und Opernbesuche bedingten finanziellen Bedrängnisse, Karrierehoffnungen und die Anfänge der schließlich in einem Skandal endenden Beziehung zu seiner ersten Frau, einer veritablen Hochstaplerin. Da Hüsmert naturgemäß nur erste Schritte in unbekanntes Terrain wagt, werden viele Kontexte nur angedeutet. Gern hätte man näheres darüber erfahren, wie Schmitts militärische Musterung ausfiel. Oder warum ihn der später von ihm so oft verulkte Thomas Mann noch 1911 zu wiederholter Lektüre reizte und Bewunderung für den "glänzenden Stil" abnötigte. Und warum erntete Wilhelm Schäfer, an dessen Die Rheinlande Schmitt mitarbeitete, in den "Schattenrissen" nur noch Spott? Das sind nur einige Fragen, die den Wert der Hüsmert-Edition jedoch keineswegs beeinträchtigen.

 

Carl Schmitt: Jugendbriefe. Briefschaften an seine Schwester Auguste 1905 bis 1913. Hrsg. von Ernst Hüsmert, Akademie Verlag, Berlin 2000, 213 S., Abb., 62 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen