© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Das Scheitern einer Kampagne
von Peter Meier-Bergfeld

Alles rätselt über Haider – aber auf erbärmlichem Niveau. In Österreich ist es noch niedriger als in Deutschland. Allenthalben geht es um "schlimme" Zitate und was er wann wo wie gesagt – oder zu sagen unterlassen hat. Das Phänomen Haider muß demokratietheoretisch begriffen und demokratiegeschichtlich analysiert, nicht beschimpft werden. (…)

Nichts war verräterischer als der Auftrag an die sogenannten drei "Weisen", "die Natur, das Wesen der FPÖ" zu untersuchen und zu bestimmen, eine Anmaßung und Unverschämtheit sondergleichen. Parteien sind freie privatrechtliche Vereinigungen, die sich von niemandem – außer der eigenen Justiz – "überprüfen" lassen müssen. Ihre innere demokratische Organisation ist frei, jedenfalls Nichtmitgliedern und Nichtwählern zu gar nichts verpflichtet. (…)

Mit ihrer "Vogelschau" oder "Eingeweideschau" sind die Weisen in antike und mittelalterliche, mystische, obskurante Praktiken zurückgefallen. Dies abgewiesen zu haben, das ist ein Verdienst der FPÖ um die moderne Demokratie und den modernen Rechtsstaat.

Leider haben die "Weisen" das in ihrem Bericht noch immer nicht begriffen. Die FPÖ, heißt es, habe in Wahlkämpfen "fremdenfeindliche Gefühle ins Spiel gebracht". Das ist nicht verboten. Das Gegenteil ist verboten: anzuordnen, wem der Mensch feindliche oder freundliche Gefühle entgegenzubringen habe, das ist totalitär, das ist der Versuch, in das forum internum des Menschen bestimmend einzugreifen. Wen ein Mensch liebt, haßt, wem er wie gesonnen ist, das ist einzig seine Sache – Weise, Europa, Regierungen, Parteien geht das gar nichts an. Alles andere ist nicht nur Gesinnungsdiktatur, sondern sogar Gefühlsdiktatur. Und das war das entscheidende Kriterium aller Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, daß sie vom Bürger nicht nur Stillschweigen, Hinnehmen, ja Mitmachen verlangten, sondern sogar sein Innerstes, seine Gedanken und Gefühle, lenken und bestimmen wollten. Um es einmal deutlich zu sagen: Jedermann hat das gute Recht, fremdenfeindlich zu sein, auch Maoist, Titoist, Stalinist, Hitlerist, Trotzkist oder was auch immer zu sein. Der säkulare Staat hat ihm das weder an- noch abzuerziehen. Er hat weltanschaulich neutral zu sein. Alles andere ist Erziehungsdiktatur. Taten bestraft – mit Recht – der moderne Rechtsstaat, nicht Gesinnungen oder gar Gefühle.

Die Weisen rügen weiter, die FPÖ habe "eine Atmosphäre geschaffen, in der offene Manifestationen gegen Ausländer als etwas Normales erschienen sind". "Manifestationen", also etwa Meinungsäußerungen oder Demonstrationen, für die Anwesenheit oder den weiteren Zuzug von Ausländern (in Deutschland die Organisation "Pro Asyl" mit ihren Flugblättern "Alles rein!") sind so erlaubt und legal und legitim wie solche dagegen. Und wenn das souveräne Volk der Meinung ist, nun sei es genug mit der Zuwanderung, dann ist es so. Die Politik hat das zu vollziehen, nicht abzuerziehen. Der erwachsene Wahlbürger ist kein unmündiges Kind. Und was soll die Klage über "offene Manifestationen"? Sollen die besser "verdeckt", unterdrückt sein? Daß in Österreich, etwa in der Kronen-Zeitung, Leserbriefe sich – auch deftig – mit dem Ausländerproblem auseinandersetzen können, ist – als Ventil – sehr heilsam, besser jedenfalls als in Deutschland, wo die Menschen bei einem offenen Wort Staatsanwalt und Verfassungsschutz fürchten. In Deutschland brennen Asylantenheime, in Österreich nicht. Der Österreicher – nach allen Umfragen – mag Österreicher, die Deutschen können sich selbst nicht leiden, deshalb sind sie auch zur Integration von Ausländern viel weniger fähig als die Österreicher. Selbsthaß erzeugt Fremdenhaß.

Die Weisen charakterisieren die FPÖ tadelnd als "rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen". Populismus, also Volksverbundenheit, ist nicht zu tadeln, Volksphobie der Politiker, die jede Volksabstimmung fürchten, schon eher. Wenn das Grundwort der Demokratie vom griechischen demos zum lateinischen populus wechselt, zucken ja alle deutschen Politiker zusammen. In Österreich sind Volksbegehren und Volksentscheid in der Verfassung verankert. Und "Radikalität", das heißt, an die Wurzel des Übels gehen, ist ebenfalls positiv zu bewerten, jedenfalls genauso berechtigt wie Lauheit und Intransingenz. ("Die Lauen will ich ausspeien", heißt es in der Bibel.) Und sollte man nicht im Deutschland von 1968 »der unruhigen Jugend aufmerksam zuhören«, wurden da nicht radikale Fragestellungen hoch gelobt (und dann in Mitbestimmungsgesetze gegossen), und warnte nicht Bundespräsident Gustav Heinemann davor, mit dem Finger auf die Radikalen zu zeigen ("Drei Finger weisen auf uns zurück!")? Radikalität allein links zu loben, das kann wohl nicht richtig sein. Radikalität im Einsatz für den populus, das Volk, ist in der Demokratie geradezu erwünscht.

Die "Weisen" bekritteln auch "die Strategie des Gebrauchs der Gerichte, um jede heftige, gegen die FPÖ vorgetragene Kritik zu unterbinden". Das ist ein Affront gegen den österreichischen Rechtsstaat und eine völlig unangebrachte Kritik gegenüber der rechtsuchenden FPÖ in diesem Rechtsstaat. Soll die FPÖ vor Gericht nicht mehr ihr Recht suchen dürfen, dem gesetzlichen Richter entzogen werden? Selbstverständlich bleibt es in intakten rechtsstaatlichen Strukturen jedermann unbenommen, den Rechtsweg einzuschlagen. Wie oft, wie häufig, wann gegen wen jemand klagt, das geht weder die "Weisen" noch die EU noch sonst irgend jemanden etwas an.

Sanktionen, wie leider dann auch der "Weisenbericht", sind der Versuch, die demokratische Bandbreite (nach dem Muster der deutschen "wehrhaften Demokratie") einzuschränken, letztlich alle Andersdenkenden auszugrenzen und ihr Wahlverhalten zu zensurieren, am besten durch Einschüchterung zu steuern. Das ist in höchstem Maße antidemokratisch, ein Anschlag auf die Volkssouveränität, den Kern der Demokratie. (…)

Auch der deutsche Jurist und Professor an der Verwaltungshochschule in Speyer, Hans Herbert von Arnim, ein Kritiker der Parteien, die sich "den Staat als Beute" dienstbar gemacht haben, erkennt, daß die Fundamentalkritik am (hier: deutschen) politischen System »von den Hohepriestern und Gralshütern des Dogmatismus … nicht kampflos hingenommen wird" ("Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung – am Volk vorbei", München 2000), denn "die politische Klasse will die Entmündigung des Volkes", ihren eigenen "Absolutismus". Das "System" sei verderbt, faul, überversorgt, privilegienverwöhnt, ineffizient und selbstsüchtig. Es handle sich in Deutschland nur noch um eine "fiktive Demokratie", und "diejenigen, die wieder den Stachel löcken und an die Wurzel gehende (Anmerkung: das heißt radikale) Kritik an den Verhältnissen äußern", werden "als politisch unkorrekt gebrandmarkt, notfalls auch persönlich diffamiert und ins politische Abseits gestellt". Genau das hatte EU-Europa mit Österreich, der FPÖ und Jörg Haider vor. Wann untersuchen die "Weisen" die Verwaltungshochschule in Speyer und den Professor von Arnim, der sagt, das "Grundgesetz ist ohne demokratische Legitimation", weil von den Alliierten bestellt und bestimmt und niemals als solches vom deutschen Volk approbiert? (…)

In Österreich kann man noch "unerwünschte Dinge" sagen, insoweit ist das Land ein Hort der Freiheit, die in Deutschland schon lange dahinsiecht. In Deutschland "können die Intellektuellen ihr eigenes Volks nicht leiden" (Helmut Schmidt), und der estnische Staatspräsident Lennart Marti sagte am 3. Oktober 1995 in Berlin besorgt: "Deutschland ist eine Canossa-Republik geworden, eine Republik der Reue." (…) In Deutschland werden alle Probleme der Gegenwart vollständig als Probleme einer wiederkehrenden Vergangenheit interpretiert, alles wird immer und allein vor dem Horizont des Nationalsozialismus wahrgenommen, das heißt, alle Politik ist Vergangenheitsbewältigung. (Rolf Peter Sieferle, "Epochenwechsel. Die Deutschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert", Berlin 1994)

Das ist in Österreich noch nicht der Fall. In einem Spiegel-Interview (10. Juli 2000) gibt das sogar der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel zu: "Wir haben doch in den letzten 20 Jahren (!) keine offene Diskussion mit den Bürgern geführt – auch aus der speziellen Sorge, jede Debatte könnte in nationalistische Bahnen laufen … immer aus Angst vor deutschen Sonderwegen. Statt dessen gab es Regierungshandeln, und die Zustimmung zu Europa galt als Akt der Political Correctness." Damit das aber genauso werde, sollte Österreich unter EU-Kuratel gestellt werden, gehört es doch – aus Brüsseler Sicht – noch immer zum Pangermanismus.

An vorderster Front kämpft dafür die "Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit", in Wien residierend, alimentiert von der österreichischen Bundesregierung. Tatsächlich handelt es sich um eine Ver-naderungs- und Zensurbehörde, schon jetzt mit mehr Zensoren bestückt, als Metternich 1848 zur Verfügung hatte – und natürlich hochmodern computerisiert. Die Leiterin der Stelle, ehemals langjährig im Büro der deutschen Ausländerbeauftragten tätig, erklärt unverblümt: ja, die Meinungsfreiheit stehe in einem "Spannungsverhältnis" zu ihrer Arbeit, sie, diese Freiheit, sei ja auch begrenzt, sie solle eben "für Freiheit und Gleichheit" genutzt werden. Da soll die Freiheit nur noch in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden, das ist ihre – unzulässige – Einschränkung. Wer bestimmt das Wahre, Gute, Schöne? Beate Winkler?

Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sah das (im Nationalrat am 26. April 2000) anders: Man müsse den Namen dieser Beobachtungsstelle "beinahe schon unter Anführungszeichen setzen … Wie objektiv kann eine solche Stelle sein, wenn sie einfachste Prinzipien, auf die wir uns ständig berufen, mißachtet?" Und er setzte hinzu: "Man fragt sich, wo denn der gemeinsame Wertekanon sein soll, auf den wir uns ständig beziehen?" Die Wahrheit ist: Der linkssozialistische Antifa-Wertekanon soll erst durchgesetzt werden, es gibt ihn nicht als einen gemeinsamen in EU-Europa, in ganz Europa schon gar nicht.

Die Nordiren (Protestanten und Katholiken), die Basken, Korsen, Sizilianer, Katalanen, ja die Slowaken, Tschechen, Zigeuner, Kroaten haben sehr unterschiedliche Auffassungen von europäischen Werten. Und sie haben das Recht dazu. Im übrigen ist die Auflösung "harter" Grundrechte – als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat – in "weiche", letztlich undefinierte "Werte" sehr gefährlich. "Werte" dienen zunehmend in Europa zur Instrumentalisierung der Erziehung von Bürgern zu erwünschtem (von wem? mit welchem Recht?) Denken und Fühlen. Dabei gerät man vom sicheren Boden des Rechts in den verquasten Sumpf von "Werten". Die FPÖ ist ein Bollwerk dagegen.

Die Beobachtungsstelle durchsucht europäische Medien nach – ihrer Meinung nach – rassistischen Äußerungen, sammelt sie, wertet sie aus und stellt sie in ein riesiges Internet-Netzwerk. Vorderhand – fast möchte man sagen: natürlich – werden nur deutschsprachige Medien ausgewertet, angeblich aus Geldmangel. Ein Teil dieses Netzwerks wird aber vor der Öffentlichkeit geheimgehalten werden, nur die Gutgesinnten sollen Zugang haben.

Das Arbeitsprogramm der Stelle ist gewaltig: In allen 15 EU-Staaten werden Kooperationspartner tätig, vor allem Nichtregierungsorgane (Universitäten, Ausländerbeauftragte, "Pro Asyl", Sozialpartner, Kirchen, Stiftungen bis hin zu Sportvereinen etc.), Schulen sollen mit Flugblättern versehen, ein Kontrollsystem errichtet werden, das die Umsetzung der "Charta der politischen Parteien der EU für eine nichtrassistische Gesellschaft" überwachen wird, Forschungsprojekte, Filmpreise, Zusatzausbildungen für möglichst alle Lehrer werden kommen, Broschüren, Flugblätter, Konferenzen. Die Stelle soll – so Beate Winkler am 3. Mai 2000 in der Presse – "Auge und Ohr Europas" sein. Bezeichnenderweise fordert der sogenannte "Weisenbericht" die "Erweiterung des Status der EU-Beobachtungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit".

Tatsächlich wird eine Prüfstelle für "falsche" Gesinnungen auf EU-Ebene etabliert, eine Aufsicht in der EU-Erziehungsanstalt, ein Meinungs-TÜV. Noch einmal: Das verstößt gegen die Errungenschaft der Demokratie als Verfahren, fällt in unstatthafte Wesens- und Seelenbeeinflussung zurück. Am höchsten aufgegipfelt wird dieser freiheitsgefährdende Zensurunfug, wenn der Vorsitzende des Verwaltungsrats dieser Stelle, Jean Kahn, erklärt: "Europa braucht eine Seele. Diese Seele zu finden und ihr für die Zukunft Leben einzuhauchen, das ist eines der Ziele der Europäischen Beobachtungsstelle."

Wer das nicht als Politlyrik bagatellisiert, der wird darin eine gefährliche Drohung erkennen. Die "Seele Europas" soll diese Denunziationsbehörde sein? Wieder diese metaphysische, ontologische Heiligsprechung einer bestimmten Meinung, die auch die Verdammung aller anderen beinhaltet. Das ist zutiefst illiberal. Und wenn der Tätigkeitsbericht dieser EU-Dienststelle dann auch noch von der "Verseuchung" Europas durch falsch Denkende und falsch Wählende spricht, sind wir in der Kategorie der tödlichen Krankheit, ja der Geisteskrankheit, die man dem Andersdenkenden zuschreibt. (…)

Die Vorwürfe gegen Haider – sieht man sie im Lichte der Fakten und Vergleiche – fallen alle in sich zusammen. Er wolle den Zuzug von Ausländern begrenzen? Ja, das wollen alle europäischen Innenminister (der deutsche Schily: "Wir haben genug!") und Regierungen. Auf dem EU-Gipfel in Tampere/Finnland (Oktober 1999) haben sie es wieder bekräftigt ("einheitliche Asylpolitik"). Deutschland strebt – seit zehn Jahren – nach "Lastenverteilung" in Europa. Offensichtlich betrachtet es Asylanten als Last. Haider hat nie die Geltung der Genfer Flüchtlingskonvention in Frage gestellt, obwohl diese eine Kündigungsklausel hat (ein Jahr Kündigungsfrist), und selbst das Abschieben von Flüchtlingen, denen dann Gravierendes droht, ist bei Verletzung vitaler Interessen des Aufnahmelandes (im Wortlaut dieser Konvention, die jeder zitiert, aber keiner liest) erlaubt. Ein Recht auf Einreise bietet die Konvention niemandem, die Konvention ist ein Abkommen unter Staaten (Uganda hat sie übrigens auch unterzeichnet). Sie regelt die Rechte (und Pflichten) des Flüchtlings, nachdem er aufgenommen worden ist. Das Verfahren zur Aufnahme können alle Staaten in eigener Regie regeln. In Deutschland wird gerade "die einheitliche Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention" diskutiert, das heißt im Klartext: ihre restriktive Auslegung. (…)

Haider wird vorgeworfen, Positives vor und über ehemalige Waffen-SS-Angehörige(n) gesagt zu haben. Beharrlich wird ignoriert, daß erstens Waffen-SS-Männer aus fast allen Staaten Europas (freiwillig) kamen, daß zweitens ab 1944 in Deutschland zwangsweise zur Waffen-SS eingezogen wurde und drittens Kurt Schumacher (SPD-Vorsitzender seinerzeit) und Bundeskanzler Konrad Adenauer Ehrenerklärungen gegenüber den Angehörigen der Waffen-SS abgegeben haben – Adenauer gegenüber einem Ex-Generaloberst der Waffen-SS. Von Haider gibt es kein einziges Wort der Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust, Tatbestände, die übrigens in den USA und in Dänemark zum Beispiel nicht strafbar sind.

Norman Finkelstein sagt zu dem Problem im Profil-Interview vom 21.8.2000: "Der Holocaust wird durch die Holocaust-Industrie derartig korrumpiert, daß die einzige Möglichkeit, die Würde der Ermordeten und der Überlebenden wiederherzustellen, ein frontaler – intellektueller und moralischer – Angriff ist. Diese Leute müssen ein für allemal entlarvt und aus dem Geschäft geworfen werden … Es ist bedauerlich, daß sich Leute so benehmen, als entsprängen sie direkt einer Karikatur aus dem Stürmer." Was wäre, wenn nicht der Jude Finkelstein, sondern Haider das gesagt hätte?

Was wäre, wenn er gesagt hätte, was der langjährige CDU-Abgeordnete und ehemalige Innensenator von Berlin, Heinrich Lummer, in seinem Buch "Deutschland soll deutsch bleiben: kein Einwanderungsland, kein Doppelpaß, kein Bodenrecht" (Tübingen 1999, schreibt: "Selbst eine hochmotivierte Holocaust-Industrie kann gegen die Zeit und die menschliche Natur nicht erfolgreich ankämpfen … deshalb muß es die Historisierung des Nationalsozialismus geben." Was wäre, wenn Haider, wie Lummer, geschrieben hätte: "Ist der Autodieb aus Polen und der Räuber aus dem Kosovo eine Bereicherung? Macht uns der libanesische Sozialhilfeempfänger mit zehn Kindern und zwei Frauen reicher?" Oder: "Ein arbeitsloser Ausländer trägt zur Finanzierung der Renten nichts bei. Und schon seit Jahren ist jeder zugewanderte Ausländer ein zusätzlicher Arbeitsloser, oder er macht einen anderen Deutschen arbeitslos." Oder: "Deutschland braucht keine Analphabeten aus Anatolien!"

Was wäre, wenn Haider geschrieben hätte, was Arno Wiedmann in der Berliner Zeitung vom 14. August 2000 schreibt: "Die Rede von der ’Auschwitz-Lüge‘ unter Strafe zu stellen, ist ein zutiefst undemokratischer Akt. Mit ihm soll ein Problem administrativ beseitigt werden, das durch solche Verfahren nur noch vergrößert wird. Die Beschränkung der Meinungsfreiheit ist auch dumm." Von Haider gibt es keine Äußerung in diesem Sinne.

Haider, so schilt man, sei gegen die Osterweiterung der EU. Er ist es nicht. Er ist vorsichtig, was die Folgen und Nebenfolgen anbelangt. Das sind alle Politiker in EU-Europa. Gerade eben hat der für die Erweiterung zuständige Kommissar, Günter Verheugen, eine Volksabstimmung darüber in Deutschland vorgeschlagen. Alle EU-Euphoriker haben ihn in der Luft zerrissen, obwohl er nichts anderes getan hat, als der Volkssouveränität zu ihrem Recht verhelfen zu wollen. Wann werden "Weise" Verheugen richten? Aber Haider ist der Buhmann. Das alles ist eine einzige Heuchelei: "Tartuffe" en suite.

Haider sei gegen die Euro-Einführung gewesen. Ja, mit Recht, wie man jetzt sieht. Der Euro hat fast ein Viertel seines Wertes (in einem Jahr) verloren. Versprochen war von den "Altpolitikern", daß er so hart wie Schilling und Deutsche Mark werden würde. Das Gegenteil ist der Fall. In "Friede durch Sicherheit. Eine österreichische Philosophie für Europa" (Freiheitliche Akademie Wien, ohne Jahr = 1998) schreibt Haider: "Die Abwertungsgefahr ist kein Gespenst, das wir an die Wand malen, sondern eine reale Gefahr." Und eine Seite zuvor: "Die Zweifel der Freiheitlichen an der Sinnhaftigkeit der geplanten Währungsreform sind daher mehr als berechtigt." Ja, er hat – leider – recht behalten. Inzwischen importiert Euro-Europa Inflation.

Haider – so klagen die Berufseuropäer – halte am "Europa der Vaterländer" (de Gaulle) fest, verschließe sich der Idee des deutschen Außenministers und Ex-Steinewerfers Joseph Fischer von der "Finalität Europas". Haider steht damit völlig im Einklang mit dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zum Maastrichter Vertrag, das Manfred Brunner erstritten hat. (Bezeichnenderweise wird das Urteil heute in der Europadiskussion in deutschen Medien völlig totgeschwiegen.) Gegen Fischers Forderung vom "Übergang vom Staatenverbund der Union hin zur vollen Parlamentarisierung in einer Europäischen Föderation, … das heißt ein europäisches Parlament und eine ebensolche Regierung, die tatsächlich die gesetzgebende und die exekutive Gewalt innerhalb der Föderation ausüben" stehen die rechtlich verbindlichen Worte des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 12.10.1993: "… sind der Ausdehnung der Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Gemeinschaften vom demokratischen Prinzip her Grenzen gesetzt. Dem Deutschen Bundestag müssen Aufgaben und Befugnisse von substantiellem Gewicht verbleiben … Der Unionsvertrag begründet keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat. Er ermächtigt die Union nicht, sich aus eigener Macht die Finanzmittel zu verschaffen, die sie zur Erfüllung ihrer Zwecke für erforderlich erachtet." Und – sehr wesentlich – das Gericht setzt hinzu: "Dazu gehört auch, daß die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind und ebenso, daß der wahlberechtigte Bürger mit der Hoheitsgewalt, der er unterworfen ist, in seiner Sprache kommunizieren kann."

Das heißt: Die Staatlichkeit Deutschlands, die Volkssouveränität seiner Bürger können nicht in eine "Europäische Föderation" aufgelöst werden wie ein Stück Zucker in Wasser, denn es gibt kein europäisches Staatsvolk und keine europäische öffentliche Meinung und keine europäische Sprache. Oder kurz – wie das Bundesverfassungsgericht auch ausführt –: "… daß der Unionsvertrag keine Kompetenz-Kompetenz der Union begründet". Eine solche müßte eine funktionsfähige "Europäische Föderation" aber haben. Wie nennt man die Handlungen eines Außenministers, der seinen Staat auflösen will? Fischer (in seiner Berliner Rede vom 12. Mai 2000) nennt es – sehr euphemistisch – das Überwinden von "Prozedur- und Substanzproblemen". In der Tat, von der Substanz des deutschen Staates würde nichts übrigbleiben und von innerstaatlichen demokratischen Prozeduren auch nichts. Haider bewahrt also in seiner Europapolitik – indirekt – mehr von deutscher staatlicher Substanz, als der deutsche Außenminister bewahren will.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß sich Jörg Haider und die FPÖ um die Meinungsfreiheit in Österreich und Europa verdient gemacht haben. Sie wenden sich gegen Gedanken- und Gefühlspolizei, Totalitarismus und Erziehungsdiktatur, Unterdrückung und Political und Historical Correctness. (…)

Der Hauptvorwurf gegen Haider ist ja immer gewesen, er sei restriktiv in der Ausländerpolitik. Aber schon Willy Brandt verlangte das ("Die Aufnahmefähigkeit ist erschöpft", 1973). Der Ausländerbeauftragte der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Heinz Kühn, sagte: "Bei über 10 Prozent Ausländeranteil wird jedes Volk rebellisch." (1980) Bundeskanzler Helmut Schmidt erklärte: "Mehr als 4,5 Millionen können wir nicht mit Anstand verdauen." (1981) "Verdauen"! Und Herbert Wehner fürchtete gar: "Wenn wir das Problem nicht lösen, kommen nach uns die Faschisten." (1982) – Bis hin zu Georg Kronawitter (SPD-Vorsitzender in Bayern), der die "drohende multikulturelle Verslumung der deutschen Großstädte" (1993) auf uns zukommen sah. Es ist also heuchlerisch, Haiders Ausländerpolitik ständig zu denunzieren. (…)

Das ist unfair und interessegeleitet. Tatsächlich dient seine Ausländerpolitik den realen Interessen der Modernitätsverlierer. Demgegenüber mutiert der Ausländer bei allen Gutmenschen zum Heilsbringer, der uns den Utopieersatz der multikulturellen Gesellschaft bringe. Mag sein, daß das in Wien-Döbling funktioniert, auch in Köln-Lindenthal oder in Berlin-Grunewald. In Kaisermühlen und in Kreuzberg funktioniert es nicht. Mit Recht sagt Günther Nenning, es gebe auch das Menschenrecht, "bei sich daheim zu sein". "Es muß", sagt Heinrich Lummer, "in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein, auf solche Zusammenhänge hinzuweisen, ohne als Nazi oder Ausländerfeind diffamiert zu werden". Ansonsten endet eines Tages die Antifa-Hysterie in einer "DDR- Light" in der Bundesrepublik Deutschland, und es steht dann als Graffito auf den Mauern: "Deutsche, kauft nicht bei Rechten!" (…)

 

Peter Meier-Bergfeld ist Österreich-Korrespondent des "Rheinischen Merkur". Bei seinem Text handelt es sich um eine stark gekürzte Fassung eines Beitrages in dem von Lothar Höbelt herausgegebenen Buch "Republik im Wandel" (Universitas, München 2001, 472 Seiten, 54,50 Mark), die wir mit freundlicher Genehmigung des Verlages hier drucken.


 
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