© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Inspektionsrecht
Ulrich Schlüer

Ist eine Armee, die sich bezüglich Doktrin, Ausbildung und Zusammenarbeitsbereitschaft von hohen Militär-Repräsentanten anderer Staaten inspizieren lassen muß, eine unabhängige, eine eigenständige Armee? Eine Frage, der sich die Schweiz stellen muß – weit rascher, als manche denken. Weil die Nato ein solches Inspektionsrecht beansprucht.

Dieser Nato-Anspruch ist verständlich, wenn er gegenüber Nato-Mitgliedern erhoben wird. Aber die Nato will mehr: Sie will auch die "Partnerschaftsfortschritte" der Armeen jener Länder jederzeit inspizieren können, die formell nicht Mitglieder der Nato sind, die sich aber dem Nato-Programm "Partnerschaft für den Frieden" (Partnership for Peace, PfP) angeschlossen haben. Und diesem Programm hat sich der Bundesrat angeschlossen - ohne das Parlament, geschweige denn das Volk zu befragen. Unser Bundesrat behauptet nach wie vor, PfP sei einem Selbstbedienungs-Kiosk vergleichbar. Man könne dort Nato-Programme beziehen, die für unser Land interessant seien. Irgendeine Verpflichtung entstehe für die Schweiz daraus nicht. Daß PfP von der Nato von allem Anfang an ganz anders definiert wurde – davor verschließt der Bundesrat weiterhin die Augen. Er muß sie verschließen – nur so kann er PfP der Volksabstimmung weiterhin vorenthalten. Und das will er. Weil er – nicht ohne Grund – eine Niederlage an der Urne befürchtet. Aber jetzt verlangt die Nato ein Inspektionsrecht, auch gegenüber der Schweiz. Aus Nato-Sicht ist klar, daß diese "Partnerschaftsfortschritte" regelmäßig inspizieren will. Das folgt haargenau aus der Funktion, welche PfP für die Nato hat: "Beitrittswillige beitrittsfähig machen" – das ist das Ziel, das die Nato mit dieser Partnerschaft erreichen will. Und bei solcher Definition ist nur logisch, daß sie Fortschritte bezüglich Beitrittsfähigkeit von beitrittswilligen Staaten regelmäßig begutachten will. Daß die Nato dieses Inspektionsrecht gegenüber allen PfP-Partnern, auch gegenüber der Schweiz beansprucht, daß der Bundesrat dazu aber beharrlich schweigt, zeigt, wie der Anschluß unserer Armee an die Nato langsam, aber sicher fortschreitet. Mit Wissen und mit stillschweigender Zustimmung der Regierung. Stoppen kann diese verhängnisvolle Entwicklung nur der Souverän: Mit einem klaren Nein am 10. Juni zur Verflechtung unserer Armee mit ausländischen Armeen.


 
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