© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Die Spitzenklasse des Widerstandes
Wiener Wahlkampf: Aufregung über Haiders Aschermittwochsrede / Wahlsieg für Rot-Grün sicher / Drohungen gegen behinderten FPÖ-Kandidaten
Philip Plickert

Letzten Freitag, eine Woche vor der Wiener Landtagswahl am 25. März, kam es auf dem Stephansplatz zur unvermeidlichen Demonstration gegen Rassismus und die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ). André Heller, Elisabeth Orth und Doron Rabinovici, laut Presseberichten die "Spitzenklasse des Widerstandes", protestierten mit einigen tausend "Widerständlern" der zweiten und dritten Klasse gegen die schwarz-blaue Regierungskoalition.

Für große Aufregung sorgte dabei ein angeblich antisemitischer Ausspruch Jörg Haiders bei seiner Rede in Ried am Aschermittwoch. In Anspielung auf den Vorsitzenden der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, sagte der Kärntner Landeshauptmann dort: "Ich verstehe überhaupt nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann." Führende Oppositionspolitiker warfen Haider Antisemitismus vor, aber auch ÖVP-Vertreter forderten eine gemäßigte Wortwahl. Muzicant selbst kündigte eine Klage wegen Kreditschädigung und übler Nachrede an.

Haider verteidigt sich, sein Ausspruch sei keineswegs antisemitisch gemeint. Muzicant, ein wohlhabender Wiener Immobilienhändler, sei während der Zeit der EU-14-Sanktionen Österreich in den Rücken gefallen. "Dazu kommt, daß er seine politischen Beziehungen durchaus nutzt, um geschäftlich seine Dinge unter Dach und Fach zu bringen", behauptet Haider in einem Interview des Magazins News. Gegenüber News erklärte der Ex-FPÖ-Chef, er sehe nicht ein, warum der Steuerzahler "für die schlampige Wirtschaft des Herrn Muzicant nur einen Schilling berappen soll." Die Kultusgemeinde ist mit mindestens 600 Millionen Schilling (umgerechnet 85 Millionen Mark) verschuldet. Daraufhin empörte sich die Schriftstellerin Rabinovici: "Es ist ein Skandal, daß die ÖVP, die behauptet, Haider zähmen zu können, nicht merkt, daß er unter der Hand immer extremistischer wird."

Eine Tragikomödie durchlebt zur Zeit ein FPÖ-Kandidat für die Wiener Wahl, Peter Schumann, ehemaliger ORF-Kurator und Behindertenvertreter. Der im Rollstuhl sitzende langjährige SPÖ-Funktionär war erst vor einer Woche zur FPÖ übergewechselt und erlebte gleich sein blaues Wunder: Als er in einer Replik auf die Aussage des Schauspielers Adi Hirschall, bei der FPÖ handele es sich um "braunes Gesindel", öffentlich sagte, er fühle sich in der "braunen Partei ganz wohl", erhoben fast alle Gazetten ein wildes Geschrei, ohne die Ironie dieses Anspruchs im geringsten zu begreifen. Schumann betonte, er sei bewußt mißverstanden worden. Unbekannte drangen in der Nacht zum letzten Freitag in die Räume des Behinderten-Vereins "Aktiv-Mobil", dessen Vorsitzender Schumann ist, ein und schmierten an die Wand: "Nazi-Sau, wir kriegen Dich". Daraufhin verzichtete der verstörte Behindertenlobbyist zunächst auf sein sicheres Mandat.

Letzte Umfragen vor der Wahl sehen die SPÖ bei 42 Prozent, weit abgeschlagen folgen FPÖ mit 23 Prozent und ÖVP mit 18 Prozent. Aller Voraussicht nach kann die FPÖ damit ihren Platz als zweitstärkste Kraft halten. Den Grünen wird mit 14 Prozent eine Verdopplung ihres Ergebnisses von der letzten Wahl vorausgesagt. Das in den anderen Bundesländern bedeutungslose "links-linke" Liberale Forum (LIF) unter Alexandra Bolena scheint nach den Umfragedaten Boden gutzumachen und hat nach einer für den Wiener Standard erarbeiteten Umfrage Chancen, am kommenden Sonntag wieder ins Wiener Rathaus gewählt zu werden. Keine Chancen hat die KPÖ, die einst mit SED-Geldern auftrumpfen konnte. Deren Spitzenkandidatin Waltraud Stiefsohn sagte resigniert dem Standard, es sei sichtbar, daß die FPÖ keine Antworten auf die Fragen der Zeit habe und daß sich alle anderen Rathausparteien in der "neoliberalen Mitte" zusammendrängten.

Meinungsforscher beurteilen den Wahlkampf der FPÖ als den geschicktesten, die großflächigen Plakate der FPÖ haben nach ihren Erkenntnissen die meisten Wiener erreicht. Während 60 Prozent der Wiener angaben, Helene Partik-Pablé (FPÖ) sei ihnen aufgefallen, sind es bei Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) nur 50 Prozent und beim mitregierenden Bernhard Görg (ÖVP) nur 40 Prozent.

   Kritikern wie der Integrationsstadträtin Brauner von der SPÖ mißfällt, daß der FPÖ-Spruch "Ausländer: Ich verstehe die Sorgen der Wiener" zu oft neben dem Plakat "Kriminalität: Auch ich will sicher leben!" hänge.
 
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