© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    13/01 23. März 2001

 
Kolumne
Täuschungen
von Klaus Motschmann

Einem an den europäischen Höfen des Mittelalters vielgespielten Schauspiel eines unbekannten Mönchs, "Ludus de Antichristo" (Das Spiel vom Antichristen), können wir eine zeitlose gültige Antwort auf die stets aktuelle Frage nach dem erfolgreichen Erwerb, Gebrauch und Mißbrauch von Macht entnehmen. Auf die Frage des deutschen Kaisers, wie es dem Antichristen möglich war, sich weite Teile der Welt zu unterwerfen, antwortete dieser lachend, kurz und bündig: "Mit zwei Begriffen kriege ich sie alle: pax et securitas, Frieden und Sicherheit."

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wer Frieden und Sicherheit verheißt, darf allgemeiner Zustimmung und – zumindest vorübergehend – einer breiten Gefolgschaft sicher sein. "Frieden und Sicherheit" spricht ein kreatürliches Grundempfinden des Menschen sehr viel stärker und persönlicher an als andere hehre politische Zielvorstellungen wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz.

Deshalb ist die Versuchung so groß, dem diabolischen Rat zu folgen und den Kampf um die eigene Macht mit den Begriffen "Frieden und Sicherheit" zu drapieren. Deshalb die Forderungen nach sicheren Arbeitsplätzen, sicheren Renten, sicheren Mieten, sicherem Einkommen, sicheren Verhütungsmitteln, sicheren Lebensmitteln, sicheren Atomkraftwerken, sicheren Straßen, sicheren Produkten aller Art. Wer möchte dagegen auch etwas einwenden und den Verdacht auf sich ziehen, die "Ängste der Menschen" nicht ernst zu nehmen? Aber eine Frage ist wohl doch noch erlaubt: Wo kommen diese Ängste her?

Wer "Frieden und Sicherheit" dauernd im Munde führt und zur Leitlinie seines politisch-gesellschaftlichen Handelns erklärt, beweist damit doch nur, daß es diesen angestrebten Zustand menschlicher Glückseligkeit trotz aller einschlägigen Anstrengungen der vergangenen Jahrzehnte noch immer nicht gibt. Das offenkundige Unvermögen der Ideologen aller Schattierungen bei der Bewältigung der von ihnen weitgehend selber verursachten Probleme ist selbstverständlich eine Quelle immer neuer Ängste.

Eine gewisse Zeit läßt sich dieses "Spiel" mit Täuschung und Angst der Menschen treiben und auch Macht gewinnen; auf Dauer jedoch nicht. Täuschungen führen über kurz oder lang zu Enttäuschungen – und diese zum Verlust der Legitimation politischer Macht. Es bestätigt sich immer wieder, was Abraham Lincoln so trefflich formuliert hat: "Man kann alle Menschen einige Zeit und einige Menschen alle Zeit, aber niemals alle Menschen alle Zeit betrügen."

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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