© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Schwarzbuch des Journalismus
Medien: Der "FAZ"-Redakteur Udo Ulfkotte beschreibt, wie seine Berufskollegen lügen und fälschen
Thorsten Thaler

Die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zählt zu den obersten Geboten der Presse. Zur Veröffentlichung bestimmte Nachrichten und Informationen sind sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Dokumente müssen sinngetreu wiedergegeben werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche kenntlich zu machen. Bei der Beschaffung von Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden. Die vereinbarte Vertraulichkeit ist grundsätzlich zu wahren. Es widerspricht journalistischem Anstand, unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen zu veröffentlichen. So verlangen es die Richtlinien des Deutschen Presserates für die publizistische Arbeit ("Pressekodex"). Und so dürfen es Leser und Fernsehzuschauer im Zeitalter der Informations- und Mediengesellschaft auch zu Recht erwarten.

Doch grau ist alle Theorie, die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. In der tagtäglichen Berichterstattung verstoßen Journalisten immer öfter gegen die Gebote des Pressekodex. "Leider ist festzustellen, daß die Pflicht zu sorgfältiger Recherchierung in der Medienpraxis weithin mißachtet wird – Fälle von ’Desinformation‘ werden immer häufiger", klagte schon 1989 der inzwischen verstorbene Rechtsprofessor und Rektor der Philipps-Universität in Marburg, Erich Schwinge, in seinem Buch "Machtmißbrauch der Massenmedien".

Statistiken des Deutschen Presserates in Bonn belegen seine Feststellung. So stieg die Zahl der schriftlichen Beschwerden an den Presserat im Zeitraum von 1994 bis 1999 von 342 auf 456. (Zahlen für das Jahr 2000 liegen noch nicht vor.) Das entspricht einer Zunahme um 33 Prozent. Die mit Abstand meisten Beschwerden (143) richteten sich 1999 gegen eine Verletzung bzw. Mißachtung der Ziffer 2 des Pressekodex. Danach sollen Nachrichten und Informationen vor ihrer Veröffentlichung "mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt" auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden. Außerdem darf ihr Sinn bei der Wiedergabe weder entstellt noch verfälscht werden. Weitere 62 Eingaben an den Presserat bezogen sich auf die Ziffer 12, derzufolge niemand wegen seiner Geschlechts oder seiner Zugehörigkeit zu einer rassischen, ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. Gegen eine Verletzung bzw. Mißachtung der Ziffer 8 Pressekodex ("Die Presse achtet das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen") wandten sich 44 Beschwerden. Schließlich monierten 37 Eingaben einen Verstoß gegen den journalistischen Anstand, unbegründete Behauptungen und Beschuldigungen, insbesondere ehrverletzender Natur, zu veröffentlichen (Ziffer 9).

Mit Sanktionen haben Medien, die sich an den berufsethischen Grundsätzen versündigen, indes kaum zu rechnen. In den meisten Fällen werden die Beschwerden vom Deutschen Presserat als unbegründet zurückgewiesen. Seltener reagiert die 1956 gegründete Institution zur Selbstkontrolle der deutschen Presse mit Hinweisen, Mißbilligungen und nicht-öffentlichen Rügen. Und lediglich ein geringer Bruchteil der Beschwerden wird mit öffentlichen Rügen der angegriffenen Presseorgane geahndet. Ihre Zahl blieb in den letzten Jahren nahezu konstant, von 13 (1995) über 10 (1996), 14 (1997) und 8 (1998) bis zu 15 öffentlichen Rügen im Jahre 1999.

Dabei übersteigt das Ausmaß des Mißbrauchs journalistischer Freiheiten bei weitem die statistischen Befunde. "Was Sie heute in den Köpfen der Menschen finden, ist oft gar nicht mehr die Realität, sondern eine von den Medien konstruierte, hergestellte Wirklichkeit." Diesen Satz der Grande Dame der Meinungsforschung, Elisabeth Noelle-Neumann, hat der FAZ-Journalist Udo Ulf-kotte seinem soeben erschienenen Buch "So lügen Journalisten. Der Kampf um Quoten und Auflagen" vorangestellt. Darin führt Ulfkotte Dutzende von Beispielen für Fälschungen und Desinformationen, Halb- und Unwahrheiten, Sinnentstellungen, ungeprüfte Legenden und Gerüchte an, die Journalisten ihren Lesern und Fernsehzuschauern aufgetischt haben.

"Als Konsumenten der Medien haben wir uns offenbar daran gewöhnt", schreibt Ulfkotte, "daß ein Teil der täglich präsentierten Geschichten erstunken und erlogen ist. Nur die wenigsten Fälschungen werden später richtiggestellt. Der Reiz, Zeitungsenten, Fälschungen und Legenden nicht nur zu erfinden, sondern auch zu verbreiten, ist groß, gilt es doch, in einem täglich sich verschärfenden Konkurrenzkampf um Auflagen zu bestehen. Und selbst wenn solche Enten später entlarvt werden, müssen ihre Verursacher nicht unbedingt mit dem Schlimmsten rechnen."

Fliegende Kühe und trächtige Enten-Weibchen

Zu den harmloseren Fällen, bei denen der Medienkonsument aufs Glatteis geführt wurde, gehörten im April 1997 Geschichten über "fliegende Kühe", die angeblich von russischen Soldaten aus den östlichen Weiten des Landes per Flugzeug entführt, dann aber in der Luft abgeworfen worden sein sollen, weil die unruhigen Tiere das Flugzeug ins Trudeln zu bringen drohten. Deutsche Printmedien berichteten, daß eine der Kühe auf ein japanisches Fischerboot geprallt sei und es versenkt habe. Natürlich stimmte die Geschichte vorn und hinten nicht. Trotzdem druckten die meisten Zeitungen sie ohne den geringsten Argwohn. Selbst das Dementi des russischen Verteidigungsministeriums ("Kein Wort davon ist wahr") konnte die Journalisten hierzulande nicht in Zweifel stürzen.

Ebenfalls noch zum Schmunzeln sind die Geschichten über eine entwichene, angeblich 180 Meter lange Boa constrictor (Darmstädter Echo, 1./2. September 1998) oder ein "trächtiges" Wildenten-Weibchen (Leipziger Volkszeitung, 23. Juni 1999). In diese Kategorie gehören auch die seit Jahrzehnten wiederkehrenden Berichte über das Ungeheuer von Loch Ness oder die Sichtung von Außerirdischen. Daß selbst seriöse Medienformate nicht vor der Versuchung gefeit sind, mit diesem Thema höhere Auflagen und Einschaltquoten zu erzielen, belegt Ulfkotte am Beispiel der Sendung "Welt der Wunder" auf Pro 7. In der Jubiläumssendung zum vierten Geburtstag der Dokumentationsreihe durften die Zuschauer einem "Lauschangriff" auf Außerirdische beiwohnen. Die Sache erwies sich erwartungsgemäß zwar als Flop, dem Sender bescherte sie jedoch den gewünschten Erfolg. Während reguläre Ausgaben von "Welt der Wunder" von durchschnittlich 2,5 Millionen Zuschauern gesehen werden, schalten bei solchen Themensendungen mehr als drei Millionen ein. "Vielleicht waren es ja noch mehr – werden doch außerirdische Zuschauer von Pro 7 nicht erfaßt", witzelt Ulfkotte in seinem Buch.

Alles andere als witzig sind bewußte Fälschungen, die auf die Gutgläubigkeit von Medienkonsumenten setzen. So kennen Millionen Menschen die rührselige Geschichte von Kunta Kinte, wie sie der afroamerikanische Schriftsteller Alex Haley in seinem Bestseller "Wurzeln – Roots" aufgeschrieben hat und die 1978 als Fernsehserie auch in Deutschland zu Tränen rührte. Dabei hat die angeblich authentische Familiensaga gleich einen doppelten Haken: Erstens ist sie frei erfunden und zweitens auch noch zu weiten Teilen abgekupfert.

Haley hatte einfach aus Harold Courlanders Novelle "The African" abgeschrieben (wofür er später 650.000 Dollar an Courlander zahlen mußte), eigenes hinzugedichtet und diese Mischung dann als biographische Spurensuche nach seinen familiären Wurzeln in Afrika verkauft. Seinem Ansehen schadete die 1997 von englischen Medien entlarvte Fälschung jedoch mitnichten. Kritiker beschuldigte der Schwarze Haley einfach des Rassismus – und entledigte sich so unangenehmer Fragen nach dem Wahrheitsgehalt seiner Geschichte. Zudem hatte sich der Pulitzerpreisträger und Duz-Freund des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter bereits "einen Platz am Firmament der Legenden erkämpft, von dem man ihn nun noch schwer wieder vertreiben konnte", wie Ulfkotte in seinem Buch schreibt. Mit Vernunftgründen, findet er, sei kaum zu erklären, warum die Mär von Kunta Kinte weiterhin als "angebliche Sternstunde der Literatur um die Welt eilt".

Den Vorwurf des geistigen Diebstahls mußten sich andere namhafte Schriftsteller und Journalisten auch schon gefallen lassen. Die von Ulfkotte zusammengetragenen Beispiele reichen von dem russischen Literaturnobelpreisträger Michail Scholochow über den englischen Bestsellerautor Michael Crichton und den deutschen Schriftsteller Walter Kempowski bis zum Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und dem ARD-Korrespondenten Gerd Konzelmann. Empfindlich traf es 1998 den Verleger der Ambrose-Bierce-Biographie von Michael Schulte. Nachdem ein Rezensent nachgewiesen hatte, daß Schulte seitenlang wortwörtlich aus einer amerikanischen Biographie, die drei Jahre zuvor erschienen war, abgeschrieben hatte, mußte er die komplette Auflage aus dem Handel zurückrufen und einstampfen.

Daß viele Plagiate auch noch preisgekrönt werden, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil. "Die große Anzahl der Preise, die weltweit für gefälschte oder komplett abgeschriebene ’Meisterwerke‘ vergeben werden, müßte eigentlich aufhorchen lassen", meint Ulfkotte. Kein Land und keine Jury scheine davor gefeit, ausgerechnet Fälschern einen Preis zuerkennen zu wollen oder diese zumindest mit einer Laudatio zu ehren. Deutschland bildet darin keine Ausnahme, schreibt Ulfkotte. So wurde der vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gesendete Dokumentarfilm "Verschlußsache Atomtod – Chronik einer verschwiegen Strahlenkatastrophe im Ural" von der Jury des renommierten Adolf-Grimme-Preises lobend erwähnt. Die schockierenden Bilder verstümmelter und entstellter Babys sollen – wie später bekannt wurde – jedoch nicht aus dem Ural, sondern aus einer Moskauer Kinderklinik stammen. Mit einer nuklearen Verstrahlung, wie dem Zuschauer suggeriert wurde, hätten sie nichts zu tun.

Als komplett gefälscht stellte sich auch die preisgekrönte Dokumentation "The Connection" heraus, die das britische Independent Television 1996 ausstrahlte und die in 14 Länder verkauft wurde. Der Film zeigt, wie das kolumbianische Cali-Kartell Rauschgift nach Großbritannien schmuggelte und an Minderjährige verkaufte. Recherchen der Zeitung Guardian ergaben später, daß es sich bei dem heruntergewürgten Heroin um einen Pfefferminzbonbon handelte und der angeb-liche Drogenkurier der Freund einer Mitarbeiterin des Filmteams war, der für seinen Auftritt bezahlt wurde. Und der vermeintliche Drogenbaron entpuppte sich in Wirklichkeit als pensionierter Bankangestellter.

Getürkt war auch ein Beitrag, den das RTL-Magazin "Explosiv" am 21. März 2000 sendete. Thema des Films war der Handel mit scharfen Waffen, den Schüler einer Essener Gesamtschule betrieben haben sollen. "Deutlich ist zu erkennen, wie einer der Schüler professionell eine Walter-neun-Millimeter prüft", hieß es im Text. Empörte Eltern schalteten darauf Anwälte ein, weil die Behauptung, die im Bild gezeigten Schüler handelten mit scharfen Waffen, aus der Luft gegriffen war.

"Die Wirklichkeit muß eben immer ein bißchen spannender und aufregender sein als das wahre Leben", schreibt Udo Ulfkotte. Aus dem Fall des Filmemachers Michael Born habe in Deutschland "offenbar niemand etwas gelernt". Born war im Dezember 1996 vom Landgericht Koblenz zu vier Jahren Haft verurteilt worden, nachdem seine zahlreichen Fälschungen von Fernsehreportagen aufgeflogen waren. In seinen Filmen hatte Born unter anderem Bilder von Jägern gezeigt, die Katzen abknallten, angebliche Kindersklaven, die in Indien für Ikea Teppiche knüpften, PKK-Terroristen, die Bomben für Anschläge auf Touristen bastelten, eine Superdroge auf dem Rücken von Kröten, die sich als Dosenmilch entpuppte, und ein angebliches Ku-Klux-Klan Treffen in der Eifel, für das seine Mutter die Kutten nähte. Gekauft und gesendet wurden die sensationsheischendenden Beiträge von nahezu allen Fernsehanstalten, den privaten ebenso wie den öffentlich-rechtlichen. "Wo viel Geld gezahlt wird, da ist auch die Geldgier nicht weit. Und die animiert zu Fälschungen, Legenden und Entstellungen", kommentiert Ulfkotte diese Fälle von Scheckbuch-Journalismus.

Oft wiederholte Legenden werden zu Realitäten

Neben den in vielen Fällen wie selbstverständlich gewährten geldwerten Vorteilen und Vergünstigungen (Einladungen zum Essen, Reisen, Übernachtungen etc.) für Journalisten und der zunehmenden Vermischung von bezahlter PR und Journalismus sind es nach Ulfkotte vor allem Barschecks, "die von manchen Journalisten offenbar ohne Gewissensbisse angenommen werden". Inzwischen zahlten deutsche Fernsehstationen mehr als 100.000 Mark für ein Zehn-Minuten-Interview, das aus aktuellem Anlaß der "Knüller des Tages" zu werden und die höchsten Einschaltquoten verspricht, schreibt Ulfkotte. Dies gelte im Bereich der Printmedien auch für die beiden Nachrichtenmagazine Spiegel und Focus.

Im Vergleich zu den 9,34 Millionen Mark, die der Stern für die gefälschten Hitler-Tagebücher berappte, sind das freilich nur "Peanuts". Von der Jahrhundert-Blamage (Ulfkotte) im Frühjahr 1983 erholte sich das Hamburger Magazin nur sehr langsam; dem Stern-Reporter Gerd Heidemann und Fälscher Konrad Kujau trug das Gaunerstück im Juli 1985 jeweils mehr als vier Jahre Haft ein. Gelernt haben Nachahmer wie Michael Born oder der Schweizer Tom Kummer, der vor allem für das Magazin der Süddeutschen Zeitung Interviews mit Hollywood-Stars zurechtbastelte und im vergangenen Jahr aufflog, aus diesem Skandal augenscheinlich nur, daß sich Verbrechen zumindest finanziell doch lohnen kann. Kummer hatte nach seiner Enttarnung sogar die Chuzpe, seine angeblichen Exklusiv-Interviews als eine neue journalistische Form ("Borderline"-Journalismus) zu rechtfertigen. Er habe doch nur "die üblichen Definitionen von Realität und Virtualität in Frage stellen wollen" (JF 23/2000).

Auf schlampige Recherchen und mangelndes Wissen der Journalisten führt Ulfkotte jene Fälle zurück, bei denen über historische Begebenheiten ungenau, sinnentstellend oder schlicht falsch berichtet wird. So sei das berühmte Zitat Rosa Luxemburgs "Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" von ihr lediglich auf Andersdenkende innerhalb des kommunistischen Blocks gemünzt gewesen. Was die angebliche Toleranz der KPD-Führerin betrifft, zitiert Ulfkotte aus einem Aufruf Luxemburgs vom 24. November 1918: "Der Diktatur des Proletariats gehört der Tag und die Stunde. Wer sich dem Sturmwagen der sozialistischen Revolution entgegenstellt, wird mit zertrümmerten Gliedern am Boden liegen bleiben."

Zu den häufig in Anspruch genommenen Zitaten gehört auch der Bertolt Brecht zugeschriebene Satz "Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin". Doch die wenigsten werden wissen, daß er in den Originalausgaben von Brecht gar nicht vorkommt. Erst in den siebziger Jahren, schreibt Ulfkotte, sei er dem Brecht-Gedicht "Wer zu Hause bleibt" von einem unbekannten Lektor vorangestellt worden. In der Originalfassung steht genau das Gegenteil, wie Ulfkotte mit einem längeren Zitat daraus belegt.

Daß der englische Premier Winston Churchill 1946 den Begriff "Eiserner Vorhang" für den Ost-/West-Gegensatz der Nachkriegszeit geprägt habe, wie immer wieder von Journalisten behauptet wird, verweist Ulfkotte ebenfalls ins Reich der Legenden. Zwar habe Churchill diese Formulierung verwendet, der Satz stamme aber aus der Zeit des Ersten Weltkrieges und seine geistige Urheberin sei die belgische Königin Elisabeth. Ulfkotte zitiert sie mit einem Satz nach dem Einmarsch deutscher Truppen: "Zwischen Deutschland und mir ist nun für immer ein eiserner Vorhang niedergegangen."

Daß es sich bei solchen Ungenauigkeiten nicht um Petitessen handelt, macht Ulfkotte an weiteren Beispielen deutlich. "Wiederholt man Fälschungen, Märchen und getürkte Legenden nur oft genug in den Medien, dann werden irgendwann einmal aus ihnen Realitäten, die in die Geschichtsbücher eingehen", schreibt der Journalist. So entbehrten historische und populärwissenschaftliche Darstellungen vom Sturm auf die Bastille zu Beginn der Französischen Revolution 1789 ebenso der Grundlage wie Schilderungen von der vernichtenden Niederlage napoleonischer Truppen bei ihrem Rußlandfeldzug 1812. Die Bastille wurde nicht mit Gewalt "erstürmt", sie kapitulierte. Und der Armee Napoleons wurden vor allem Bakterien zum Verhängnis, die zu Fleckfieber und Ruhr führten.

Als nicht haltbar erweisen sich auch die Potemkinschen Dörfer und der Thesenanschlag Luthers. Der Reformator Martin Luther hat seine 95 Thesen nicht an die Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen, sondern an den Erzbischof Albrecht von Magdeburg-Mainz geschickt. Die Legende vom Thesenanschlag setzte Philipp Melanchthon erst nach dem Tod Luthers in die Welt. Und Fürst Potemkin, Gouverneur der südrussischen Provinzen und der Krim, hat keineswegs für Kaiserin Katharina II. Dörfer aus Pappmaché errichten lassen. In Wahrheit gehen auf Potemkin Städtegründungen wie Sewastopol und das heutige Dnjepropetrowsk zurück. Das hinderte den Leitartikler Thomas Schmid nicht, am 28. März 2000 in der Welt zu behaupten: "Potemkinsche Dörfer gaukeln eine Wirklichkeit vor, die es gar nicht gibt: Hinter den Mauern die Öde, das Nichts."

Öko-Hysterie ist ein einträgliches Geschäft

Ausführlich widmet sich Ulfkotte in seinem Buch auch der von den Medien gestützten unlauteren Kampagne von Greenpeace gegen den Shell-Konzern im Fall der Ölplattform Brent Spar sowie zwei Umweltthemen, die seit Jahren als Dauerbrenner gelten und von den Medien regelmäßig groß aufbereitet werden: dem Waldsterben und der Klimaveränderung.

"Das stille Sterben. Säureregen im deutschen Wald" (Spiegel, 1981), "O Tannenbaum, wo sind deine Blätter (Die Zeit, 1981), "Der saure Tod" (Stern, 1982), "Noch zwanzig Jahre deutscher Wald" (Die Zeit, 1983) – so waren Titelgeschichten und Reportagen überschrieben, die Anfang der achtziger Jahre das drohende Waldsterben thematisierten. Zwanzig Jahre später sind das für Ulf-kotte nurmehr "Horrorgeschichten", die eine "Hysterie" anheizten. Wissenschaftler und Journalisten hätten sich "gründlich verlaufen – im Märchenwald". Heute rede kaum noch jemand vom Waldsterben. Kritiker des "Kampagnen-Journalismus" wie Hartmut Spieker, der bereits Ende der siebziger Jahre in einer Studie zu einem gegenteiligen Schluß kam, hätten recht behalten. Inzwischen seien viele Fachleute – die Ulfkotte zitiert – zu der Einsicht gelangt, daß es sich bei der deutschen Hysterie um ein Medienmärchen handele, das Europa nur eines beschert hat: daß die Franzosen den Ausdruck "le waldsterben" in ihren Wortschatz aufgenommen haben.

Ebenfalls seit etwa Anfang der achtziger Jahre wird vor einer Veränderung des Klimas gewarnt. Geschichten über den Treibhauseffekt und das Ozonloch füllen seither seitenweise Zeitungen und Zeitschriften. Der Spiegel ließ in einer Fotomontage auf dem Titelbild sogar den Kölner Dom in Meeresfluten versinken. Schnell wurde die "Öko-Hysterie" zu einem einträglichen Geschäft für die Medien. Einige der von Ulfkotte näher ausgeleuchteten Stichworte dazu lauten: mikrobiell verunreinigte Birkel-Nudeln, Fadenwürmer in Seefischen, Parasiten in Rotfüchsen, Pestizidrückstände in Babynahrung, Bakterien in Rohmilch und Rohmilchkäse, der Giftstoff TBT in Fußballtrikots, radioaktives Radium-226 in Mineralwässern, Formaldehyd in Ikea-Regalen, Regenwald-Holz in Nivea-Creme – ob überdramatisiert oder einfach falsch, für Udo Ulfkotte macht das kaum einen Unterschied: "Denn irgend etwas bleibt schließlich in den Köpfen der Verbraucher hängen", schreibt er.

Wo Journalisten nach dem Motto arbeiteten: "Was zählt, ist nicht die Wahrheit, sondern das, was die meisten dafür halten", sei guter Rat teuer. "Gegen diese Art von Journalismus gab und gibt es in Deutschland keinen Schutz", stellt Ulfkotte resigniert fest. Dabei konnte er einen der haarsträubendsten Medienskandale der jüngsten Zeit nicht einmal berücksichtigen: "Neonazis ertränken Jungen", lautete im Windschatten der Bild-Zeitung der Tenor endloser Medienberichte Ende vorigen Jahres zum Tod des sechsjährigen Joseph Abdulla im sächsischen Sebnitz, der in Wahrheit bei einem Badeunfall ums Leben kam. Wieder einmal erwies sich eine Geschichte als erstunken und erlogen.

Günther Jauch umringt von Pressevertretern: Der TV-Moderator sagte am 21. Oktober 1996 als Zeuge im Prozeß gegen den Filmemacher Michael Born aus, dem zur Last gelegt wurde, in mindestens 21 Fällen Fernsehbeiträge gefälscht zu haben. In Jauchs Sendung "Stern TV" waren zwischen 1990 und 1995 die meisten dieser gefälschten Beiträge gelaufen. Born wurde zu vier Jahren Haft verurteilt.


 
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