© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Gespräche mit CSU, Vlaams Blok und Lega Nord
Interview: Andreas Mölzer über die Wiener ÖVP / FPÖ-Koalition und Jörg Haiders Ambitionen auf das Bundeskanzleramt
Philip Plickert

Mehr als ein Jahr ist seit der schwarz-blauen Wende vergangen. Für das mehrheitlich linksliberal regierte Europa war das ein Schock. Wie hat sich Österreich seitdem verändert?

Mölzer: Die linke Hysterie hat sich als absolut unbegründet erwiesen. Hier ist auf völlig demokratische Art und Weise eine Mitte-Rechts-Regierung zustande gekommen, die in erster Linie den Scherbenhaufen nach 30jähriger sozialistischer Dominanz in wirtschaftlicher, fiskalischer und in gesellschaftspolitischer Hinsicht wegzuräumen hatte. Angesagte Revolutionen finden bekanntlich nicht statt, und diese "Revolution", die die Linke im Falle einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung angekündigt hatte, ist tatsächlich ausgeblieben. Auch die von der extremen Linken prophezeite "Fratze des Faschismus" will sich ganz einfach in der Alpenrepublik nicht zeigen. Eine rechtsliberale Partei und eine christlich-konservative haben vielmehr eine Koalition eingegangen, was eigentlich recht unspektakulär ist.

Anfang der achtziger Jahre versprach Helmut Kohl eine "geistig-moralische Wende". Können Sie so etwas jetzt in Österreich beobachten, oder darf man dazu keine allzu großen Erwartungen haben?

Mölzer: Tatsächlich ist in der Politik ja Realismus angebracht, und Wunder gibt es nicht. Für eine tatsächlich große "geistig- moralische Wende" ist Österreich als Gemeinwesen auch zu klein und zu sehr international und europäisch eingebunden. Für die Republik selbst aber gibt es natürlich einen grundlegenden Wandel, da jenes verwaschene politische Klima, das durch die große schwarz-rote Proporzkoalition alles zugedeckt hatte, obsolet geworden ist. Nun gibt es eine klare und wohl auch polarisierende Teilung in Mitte-Rechts und Links. Das ist die Chance, die allzu konsensuale rot-weiß-rote Kompromiß- Demokratie, die in sich auch sehr korruptionsanfällig war, in eine Demokratie des demokratischen Diskurses, der miteinander wetteifernden Werte und Lösungsmodelle umzubauen. In der politischen Alltagspraxis allerdings ist die Ablösung einer politischen Gruppierung, die 30 Jahre die Macht innehatte, auch so etwas wie eine moralische Angelegenheit. Macht korrumpiert bekanntlich, und allzu lang ausgeübte Macht mit Sicherheit. Neue Besen kehren gut, und allem Neubeginn wohnt – wie wir seit Hermann Hesse wissen – ein Zauber inne. Was nicht heißt, daß die gegenwärtig Regierenden nicht auch irgendwann einmal über kurz oder lang im demokratischen Prozeß abgenützt wären und abzulösen wären.

Die Koalition führt in Umfragen vor Rot-Grün, obwohl Finanzminister Grassers Sparkurs nicht populär ist. Was würden Sie als die Erfolge der Koalition ansehen?

Mölzer: Es ist eine politische Binsenweisheit, daß schmerzhafte Reformen und politische Korrekturen am Beginn einer Legislaturperiode durchzuführen sind. Die rot-weiß-rote Neidgenossenschaft funktioniert wie in anderen Ländern auch nach dem Floriansprinzip: Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd’s andre an. Gespart soll also nur bei den anderen werden, weswegen insbesondere die vormals fundamental-oppositionellen Freiheitlichen naturgemäß Einbußen in ihren vormaligen Protest-Wählerpotentialen zu verbuchen haben. Wenn man aber nunmehr darangeht, die Neuverschuldung des Staatshaushaltes auf Null zu senken, wenn man das österreichische Sozialsystem ernsthaft saniert, von den Krankenversicherungen bis zu den Pensionen, wenn man Ausbildung, Wissenschaft und Forschung auf europäisches Niveau bringt, dann wird diese Koalition letztlich erfolgreich sein. All das ist aber bestenfalls in Ansätzen spürbar. Vorläufig sind die schmerzhaften Einschnitte dominant.

Welches waren die schlimmsten Fehler der neuen Regierung?

Mölzer: Im medienpolitischen Bereich hat sie bisher den Umbau in den staatsnahen Medien, insbesondere also im österreichischen Rundfunk und Fernsehen versäumt. Ob dies noch möglich sein wird und vor allem, ob es damit einen entparteipolitisierten Staatsrundfunk geben wird, bleibt abzuwarten.

Erwarten Sie, daß die Koalition für die ganze Legislaturperiode hält? Vielleicht sogar noch länger?

Mölzer: Ich gehe davon aus, daß diese Koalition, ein Mitte-Rechts-Bündnis also, das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends prägen wird, wobei die Konstellationen innerhalb dieser Koalition sich durchaus verändern könnten. Jörg Haider hat den Anspruch, nicht nur im Hintergrund gestaltend, sondern auch tatsächlich im Kanzleramt zu agieren, meines Erachtens gewiß nicht aufgegeben.

Die FPÖ wird als populistische und sogar extremistische Partei bezeichnet. Trifft Sie das?

Mölzer: Zum einen bin ich nicht der ex-officio-Verteidiger der Freiheitlichen. Ich glaube, daß Robert Michels "ehernes Gesetz der Oligarchie", das er zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Hinblick auf die deutsche Sozialdemokratie entwickelte, nahezu auf alle Parteien, auch auf die Freiheitlichen, zutrifft. Ich halte von politischen Parteien insgesamt wenig, erkenne und akzeptiere aber, daß sie natürlich für das demokratische Gefüge unersetzlich sind. Die große Versuchung für jeden Akteur im Bereich der Demokratie ist natürlich der Populismus. In jenem Sinne, in dem man da dem Volk nach dem Maul redet und ihm opportunistisch das sagt und tut, was am meisten Zustimmung bringt, ist ja natürlich eine Gefahr. In dem Sinne allerdings, daß man Bedürfnisse, Sorgen und Nöte der Bevölkerung artikuliert, also die vox populi spielt, ist der Populismus auch eine Notwendigkeit. Im Grunde sind die österreichischen Freiheitlichen eine rechtsliberale, identitäre, nämlich auf die historisch gewachsene, kulturelle und ethnische, aber auch administrativ staatliche Identität des Landes orientierte Partei, die rechtsstaatliches Denken, Verfassungstreue und das Eintreten für Leistung und freie Marktwirtschaft über Generationen mit einem gewissen Protest-Reflex gegen die Mächten, gegen "die da oben", verbunden hat. Aus dem zweiten Faktor resultieren auch ihre Probleme mit der jetzigen Regierungsbeteiligung. Die Freiheitlichen Jörg Haiders sind immer gegen politische Privilegien des Establishments eingetreten und gehören nun selbst dazu – ein Problem. Sie sind für Privatisierung und freie Marktwirtschaft eingetreten und müssen heute als Regierende den staatsnahen Wirtschaftsbereich doch einigermaßen schützen – ein Problem. Sie sind für eine Auflösung medialer Monopole und für Meinungsfreiheit eingetreten und versuchen nunmehr doch als Regierungspartei dort ihren Einfluß geltend zu machen – ein Problem. Und so geht das weiter.

Wie würden Sie die Grundüberzeugung der FPÖ definieren?

Mölzer: Parteien sind keine Kirchen, und geschlossene Ideologien gibt es heute in Parteien nicht mehr. Die FPÖ mag vieles sein, mit Sicherheit ist sie nicht links. Vieles in ihr ist widersprüchlich und nicht stringent. Sie ist liberal in dem Sinne, daß sie für den Rechtsstaat, für Bürgerrechte und für die freie Marktwirtschaft eintritt. Sie ist national in jenem Sinne, da sie noch immer deutsch- nationale Ideenstränge im Bereich von Sprache, Kultur und Volkstum bewahrt. Sie ist aber auch national, indem sie nach dem Motto "Österreich zuerst" Österreich-Patriotismus und Heimatbindung predigt. Sie ist konservativ in dem Sinne, daß sie konservative Wert von Familie bis zur Leistung hochhält, und sie ist sozial in jenem Sinne, daß sie für den vielzitierten "kleinen Mann" und dessen soziale Absicherung eintritt. Vielschichtig und widersprüchlich also.

Sie gelten als Vordenker einer europäischen Zusammenarbeit der demokratisch rechten Parteien. Sehen Sie da Chancen für die nahe Zukunft?

Mölzer: Gerade die Sanktionen gegen Österreich haben gezeigt, daß es in unseren Tagen zunehmend so etwas wie eine europäische Innenpolitik gibt. Die Linke demonstriert uns, wie man diese grenzüberschreitend organisiert. Auf der rechten Seite des demokratischen Spektrums hingegen grenzen sich die Ausgegrenzten gegenseitig aus. Durch den Meinungsdruck der linken Mainstream-Medien lassen wir uns vorschreiben, wer sozusagen politisch adäquat ist, mit wem man reden darf und mit wem nicht. Wenn ich beispielsweise das glauben würde, was über die österreichischen Freiheitlichen in der internationalen Links- Presse so geschrieben wird, dürfte ich einem Exponenten dieser Partei keineswegs die Hand geben, geschweige denn mich mit ihm an einen Tisch setzen. Wenn ich aber dies umlege auf andere europäische Gruppierungen, die als "rechts", wenn nicht gar "rechtsextrem" gelten, muß ich zwangsläufig beginnen nachzudenken. Ich persönlich glaube, daß ich mit Persönlichkeiten, Vereinigungen und Parteien dann reden kann, wenn sie sich einerseits zu den Standards von Demokratie und Humanismus bekennen, wie sie in westlichen Breiten heute Usus sind. Wenn sie aber andererseits sich von der political correctness, dem Prinzip Heuchelei, das in unseren Tagen so dominant ist, nicht versklaven lassen. Natürlich gibt es da Kräfte in den etablierten konservativen Parteien Europas, etwa in der bayerischen CSU oder bei den französischen Gaullisten, mit denen ich mir eine Zusammenarbeit wünschen würde. Es gibt aber auch diffamierte politische Kräfte, wie etwa den Vlaams Blok oder die italienische Lega Nord, und selbstverständlich eine Reihe von Persönlichkeiten und Vereinigungen im bundesdeutschen Spektrum, mit denen man meines Erachtens das Gespräch führen sollte.

Die Verhältnisse in der Bundesrepublik sind Lichtjahre von denen in Österreich entfernt. In Ihrer Zeitung schreiben freiheitliche Minister und selbst der Kanzler. Hierzulande werden Rechtskonservative vom Verfassungsschutz und der Antifa beobachtet und diffamiert. Woran liegt das?

Mölzer: Na ja, in Österreich gab und gibt es eben diese Freiheitlichen, die aus dem historisch gewachsenen, national- liberalen Lager stammen, die durch den Volkstribun Jörg Haider zu einer der bestimmenden Kräfte der Republik geworden sind. Auch ein sich als rechtsintellektuell definierendes Blatt wie Zur Zeit hat somit im Gefolge, manchmal auch als Avantgarde, dieser Entwicklung, die Teilhabe am politischen Diskurs geschafft. Man kann uns nicht mehr ganz so einfach ausgrenzen, obwohl es das Bestreben dazu und zur Diffamierung, ja Kriminalisierung unseres Blattes immer wieder gibt. Wir kennen die Probleme, wie sie in Deutschland existieren. Wir haben sie zum Teil auch am eigenen Leib erfahren. Aber, wie Sie sagen, man kann uns das Gespräch nicht verweigern. Wenn ich selbst in Österreich Kolumnist der auflagenstärksten Tageszeitung bin und gleichzeitig eine kleine rechtsintellektuelle Wochenzeitung herausgebe und als Kulturbeauftragter des Landes Kärnten eine offizielle Beraterfunktion ausübe, ist dies im Meinungsklima der Alpenrepublik ein gewisser Faktor. Ähnliches ist natürlich im Bereich der bundesdeutschen Rechten nur schwer denkbar. Die Situation ist in Deutschland besonders schwierig, da hier die Faschismuskeule schneller und brutaler gehandhabt wird als anderswo auf der Welt. Wir kennen die historischen Gründe dafür. Für mich steht aber außer Zweifel, daß sich auch in Deutschland im konservativen Spektrum in Parteipolitik, Verbänden und Medien so etwas wie ein demokratisch rechter Bereich wird profilieren müssen. Nur leicht wird das nicht werden.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wochenzeitung "Zur Zeit", Kolumnist und Kulturberater des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider

 

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