© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
Mode unter politischem Diktat
Schulen: Im "Kampf gegen rechts" wird jetzt über Kleidervorschriften diskutiert
Alexander Schmidt

Im "Kampf gegen Rechts" ist ein neuer Schauplatz eröffnet worden. Waren bisher als "rechtsextremistisch" bekannte Gruppen und politische Akteure im Fadenkreuz des Verdachtes, reicht jetzt der Anschein des politisch Extremen aus, um als Verfassungsfeind ins Zwielicht gerückt zu werden.

Die Zahl "88" spielt hierbei wegen ihrer Bedeutung in Neonazikreisen als Hitlergruß eine besondere Rolle. Viele Kreistage in der Bundesrepublik beschäftigen sich mit der Frage, ob die Zahl weiterhin als Autokennzeichen vergeben werden kann. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im hochsauerländischen Kreistag, Michael Rademacher, forderte ein Verbot der Zahl in Nummernschildern, um die Bürger vor "unliebsamen Anfeindungen" zu schützen, die durch Zufall an die 88 gekommen seien.

Ebenso mischte die 88 den Wahlkampf um das Studentenparlament in Bonn auf. Die Wahlwerbung eines Kandidaten des Rings Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) auf Platz 88 der einhundertköpfigen Wahlliste sorgte für einen Eklat und den Vorwurf des Rechtsextremismus aus den Reihen der Jungsozialisten und anderer linker Gruppen. Der Kandidat hatte lediglich mit seiner Listennummer und der Aussage "Inhalte statt Zahlenspiele" geworben.

Auch in der Bekleidungsindustrie rätseln Marketing-Fachleute, wie Kleidung politisch korrekt angeboten werden kann, ohne für Skinheads interessant zu sein. Die favorisieren nämlich nicht nur die Polohemden mit dem Lorbeerkranz von Fred Perry, Arbeiterhemden von Ben Sherman oder Pullover von Lonsdale, aus deren Namen mit den Buchstaben "nsda" anderes angedeutet werden kann. Neu im Kleiderschrank der markenbewußten Skinheads mit entsprechender Geldbörse sind Sportartikel der Firma "Consdaple", in denen die Buchstabenfolge "NSDAP" komplett vorhanden ist, sowie Schuhe der Marke "New Balance". Das überdimensionale "N" auf Schuhen dieser Marke soll angeblich neuerdings für "Nation" oder "Nazi" stehen.

Noch nie war es einfacher, sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen, politisch nicht korrekt, aber dennoch topmodisch gekleidet zu sein. Statt unbequemer Nietenarmbänder lockt jetzt der luftgepolsterte Turnschuh.

Größere Ängste dagegen haben Sportartikelhändler, die um ihren Ruf als seriöse Anbieter bangen. Neben den Überlegungen der Hersteller, die umstrittenen Modelle vom Markt zu nehmen, suchen Zwischenhändler nach politisch korrekten Endverkäufern. "Dubiose Internet-Shops mit möglichen rechten Kontakten beliefern wir nicht mehr", berichtet ein Verkaufsleiter im Nachrichtenmagazin Focus.

Viele Kleinanbieter, die zunehmend auch ihre Verkaufswege über das Internet sichern, sind so bedroht. Haben sie keinen bundesweiten Ruf, laufen sie Gefahr, unter dem schwammigen Etikett "dubioser Handel" nicht mehr beliefert zu werden.

Solche Probleme gibt es im Ausland nicht. Im größten "Doc Martens"-Geschäft in London stehen zwanzigfach geschnürte Stahlkappenstiefel mit weißen Schnürbändern neben Damensandalen, ohne daß einer der Kunden daran Anstoß nehmen würde. Von dieser angelsächsischen Gelassenheit ist die Bundesrepublik weit entfernt.

Vielmehr beschäftigen sich bundesweit Schulen mit neuen Kleiderordnungen für ihre Schüler. In der Hans-Grade-Realschule in Berlin-Treptow wurden Springerstiefel auf der Schulkonferenz unter Mitsprache von Lehrern, Schülern und Eltern verboten. Gleiches gilt für die Robert-Havemann Gesamtschule in Berlin-Pankow. Weitere Stiefel-Verbote bestehen an der Gesamtschule in Wesel (Nordrhein-Westfalen) und der Hermann-Tempel-Schule in Ihlow (Niedersachsen).

Die Direktoren und Schulleiter der betroffenen Schulen wollen zum einen durch das Verbot von Stahlkappen auf dem Schulhof größere Sicherheit gewährleisten, zum anderen Lehrer und Schüler, die sich von den Seidenblousons und Tarnhosen eingeschüchtert fühlen, entlasten. Obwohl viele Schulleiter die Verbotsliste gern weiter ausdehnen möchten, fallen T-Shirts mit Aufschriften wie "white power" nicht unter die neue Kleiderordnung.

Eine Liste der indizierten Kleidungsstücke – ähnlich dem Index für jugendgefährdende Schriften – liegt noch nicht vor. Deshalb muß jetzt häufiger die Frage gestellt werden, ob es sich bei Kleidungsstücken um rechte, linke, oder unpolitische Mode handelt. Hierzu der rheinland-pfälzische Kultusminister: "Ein Lehrer kann nicht in eine Klasse kommen und entscheiden: Dies ist eine Bomberjacke oder nicht."

In den östlichen Bundesländern werden die Verbote unter vielen Schulpolitikern positiv aufgenommen. Peter Kauffold (SPD) und Steffen Reiche (SPD), die Bildungsminister von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, stehen den Verboten von Springerstiefeln und Bomberjacken aufgrund der erhofften Erfolges fast euphorisch gegenüber.

Dieser Erfolg ist gerade im Westen für viele fraglich. Eine dpa-Umfrage in Nordrhein-Westfalen ergab, daß viele Lehrer derartigen Verboten skeptisch gegenüberstehen, ebenso bezweifelt die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD), daß so das Problem Rechtsextremismus bekämpft werden könne.

Der Verband Bildung und Erziehung hält ebenfalls nichts von einem Verbot. "Verbote sind zwar publikumswirksam, aber nicht geeignet, die Probleme Jugendlicher in unserer Gesellschaft zu lösen", sagt der Verbandsvorsitzende Ludwig Eckinger. Ebenso sprach sich der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Gerhard Friederich (CSU) gegenüber der JUNGEN FREIHEIT dafür aus, daß solche Verbote nur dann zu rechtfertigen seien, wenn die Kleidung Symbolcharakter hätte. Der juristische Hintergrund fehlt dennoch.

Auch Berliner Schulpolitiker lehnen die Erlasse ab. "Mit einem Kleiderverbot kann man keinen Gesinnungswandel vollführen", so der schulpolitische Sprecher der Union in Berlin, Stefan Schiede. Diese Erkenntnis hat sich jedoch bislang nur in wenigen Kultusministerien durchgesetzt.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen