© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    12/01 16. März 2001

 
PRO&CONTRA
Eine zentrale Gendatenbank errichten?
Andrea Barta / Jutta Brandewiede

Die Gentechnik hat in der Gerichtsmedizin schon seit längerem Einzug gehalten: Die genaue DNA-Analyse (PCR Methode) von eingetrocknetem Spurenmaterial (z.B. Blut, Sperma, Haare) kann noch nach Jahren den Täter oder das Opfer eines Gewaltverbrechens identifizieren. Sie wird aber auch verwendet, um unschuldig Verdächtigten oder auch Verurteilten zu helfen. Sie kann daher allgemein für Verbrechensaufklärung und nicht nur bei Sexualdelikten angewandt werden. die Methode ist zwar nicht hundertprozentig, aber von einer hohen Präzision.

Die zur Zeit diskutierte Frage, ob nach dem Fall Ulrike, von allen Männern eine Gendatei angelegt werden soll, ist so nicht rechtens, da sie die Hälfte der Menschheit a priori zu potentiellen Verbrechern erklären würde und den Grundsatz der Unschuldsvermutung widersprechen würde. Zur Zeit ist der gesellschaftliche Konsens derartig, daß nur im Verdachtsfall solche Daten (wie zum Beispiel Fingerabdrücke) erhoben werden dürfen.

Technisch wäre eine Genkartei von allen Deutschen im Prinzip machbar, aber auch teuer. In Zukunft könnte von jedem Neugeborenen Genmaterial zur späteren Verwendung aufgehoben werden. Durch die effiziente Computerisierung wäre eine so große Gendatei auch gut einsetzbar.

Obwohl es die Identifizierung von Tätern sicherlich erleichtern würde, ist so eine große Datei nicht unproblematisch, da sie vor Mißbrauch strengstens geschützt werden muß. Aber jeder weiß, daß mißbräuchliche Verwendung von Daten auch jetzt vorkommt. Deshalb wäre zur Zeit der sogenannte gläserne Mensch abzulehnen:

Erstens, weil es noch keinen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt. Zweitens, weil es noch keinen hundertprozentigen Schutz vor Mißbrauch gibt.

 

Prof. Dr. Andrea Barta ist Molekularbiologin am Institut für Medizinische Biochemie der Universität Wien.

 

 

Eine Gendatei kann ebensowenig wie eine Datei von Fingerabdrücken ein Mittel sein, um Gewaltverbrechen zu verhindern. Es ist ein Instrument, das bei der polizeilichen Ermittlung eine wichtige Rolle spielen kann, jedoch in mancherlei Hinsicht auch überschätzt wird:

1. Allein durch den genetischen Fingerabdruck – als einziges vorhandenes Indiz – wäre ein Gewalttäter nicht zu überführen.

2. Spuren können verwischt, vertuscht, vermieden, falsch gelegt werden. Das weiß jeder Bankräuber. Das weiß auch jeder Vergewaltiger, besonders dann, wenn er schon einmal überführt wurde.

Die Argumentation, daß die Gendatei ein prophylaktisches Instrumentarium ist, erscheint naiv, bedenkt man, daß nicht einmal die Androhung von Kastration oder Todesstrafe abschreckend wirkt.

Tatsache ist, daß Männer, die vergewaltigen, eine Gen- oder Fingerabdruckdatei wenig schrecken müßte: denn nicht einmal ein Fünftel aller Gewalttaten, die Männer an Frauen, Mädchen und Jungen begehen, weren – trotz schwerster Traumatisierungen der Betroffenen – überhaupt angezeigt. Die Hälfte aller angezeigten Vergewaltigungen kommt gar nicht erst zur Hauptverhandlung. Und so muß auch nur ein Promilleanteil aller Gewalttäter überhaupt mit rechtlichen Konsequenzen ihrer Verbrechen rechnen.

Viele Arbeiten und Forschungsergebnisse zum Thema "Männlichkeit und Gewalt" liegen als potentielle Instrumentarien zur Prophylaxe vor. Sie politisch und praktisch zu nutzen, wäre – im Gegensatz zur Einrichtung einer Gendatei, mit deren Instrumentarium sich der demokratische Rechtsstaat verabschiedet – ein Beitrag zur Humanisierung und Demokratisierung einer Gesellschaft, in der offensichtlich das eine Geschlecht immer noch Angst vor dem anderen haben muß.

 

Jutta Brandewiede ist Diplomsoziologin und Mitarbeiterin des Hamburger Notruftelefons für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen