© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Wien ist anders
Buchvorstellung: "Eine Republik im Wandel"
Gustav Domberg

Buchvorstellungen, auf denen Verlage ihre Neuerscheinungen und ihre Autoren präsentieren, gibt es wie Sand am Meer. Aber wo gibt es eine Buchpräsentation, zu der etwa siebenhundert Zuhörer erscheinen, bei der jene, die im Saal keinen Platz fanden, sich auf den Treppen im Vorraum niederließen – und das bei einem Buch, welches thematisch nichts mit Spaßgesellschaft und Unterhaltung zu tun hat?

Diese in jeder Hinsicht aus dem Rahmen fallende Präsentation gab es kürzlich Woche in Wien, im traditionellen Nobelhotel "Bristol" an der Ecke von Ring und Kärntner Straße, in Sichtweite der Staatsoper. Vorgestellt wurde ein Buch unter dem Titel "Republik im Wandel – Die große Koalition und der Aufstieg der Haider-FPÖ". Verleger Herbert Fleißner war eigens aus München angereist, Herausgeber Lothar Höbelt, Professor für neuere Geschichte an der Uni Wien, versuchte das dichtgedrängte Publikum bei Laune zu halten – während alles auf den "Stargast" des Abends wartete: auf Jörg Haider, den Landeshauptmann oder (wenn man so will) das einfache Parteimitglied aus Kärnten.

Als er erschien, zeigte sich, daß seine Faszination und sein Charisma – so oft ihn seine Gegner schon für politisch tot erklärten – ungebrochen sind. Aus der Vorstellung eines Buches über Haider wurde streckenweise eine Vorstellung Haiders höchstpersönlich – wobei eine Äußerung besondere Beachtung verdiente. Der langjährige FPÖ-Chef erklärte seinen Zuhörern, die Arbeit der letzten 15 Jahre (seit er die Führung der FPÖ übernommen hat) wäre vergebens und nicht sinnvoll gewesen, wenn man jetzt nicht über den österreichischen Rahmen hinausgreifen, um ein "Europa der Bürger" aufzubauen. Haider erwähnte dabei ausdrücklich seine guten Kontakte zu Oberitalien, und so mancher Anwesende fragte sich, ob das schon die Ankündigung einer Freiheitlichen Partei auf gesamteuropäischer Grundlage sein könne. Hinter vorgehaltener Hand wird schon seit langem gemunkelt, daß Haider – dem Österreich eines Tages zu klein werden könne – eine solche "europäische Lösung" anstrebt. Schon munkelt man auch, daß es in dem von Haider erwähnten Oberitalien ja zumindest einen Mann gebe, der nicht nur seiner Gesinnung, sondern auch seiner Finanzkraft nach einem solchen Projekt auf die Beine helfen könne: Silvio Berlusconi.

Auf der Präsentation wurde bald klar, daß die "Republik im Wandel" weder eine Anhimmlung und parteipolitisch motivierte Anpreisung des Jörg Haider darstellte, noch eines der inzwischen zahlreichen Anti-Haider-Pamphlete ist, deren Inhalt schon vor der Lektüre mühelos erraten werden kann. Unter den achtzehn Autoren des Sammelbandes finden sich zwar auch einige Parteifreunde Haiders, aber sie sind gegenüber den anderen Autoren in der Minderheit.

Für bundesdeutsche Verhältnisse mag es fast unwahrscheinlich klingen, daß sich unter den Autoren engagierte Linke finden – etwa der einstige Vordenker der SPÖ, Norbert Leser, der dem "Phänomen Haider" kritisch-wohlwollend, aber durchaus mit Respekt gegenübersteht. Ferner schreiben dort der langjährige Fraktionschef der SPÖ im Kärntner Landtag und Kammeramtsdirektor der Kärntner Arbeiterkammer, Erwein Paska, sowie der zum linken ÖVP-Flügel gehörende Verfassungsjurist Manfred Welan. Ein US-Universitätsprofessor von der California State University fehlt ebensowenig wie ein Dreigestirn deutscher Publizisten mit engen beruflichen und persönlichen Bindungen an Österreich: der frühere FAZ-Korrespondent Andreas Graf Rasumovsky ("Haider und die Medien"), der langjährige Welt-Korrespondent und Osteuropa-Experte Carl Gustaf Ströhm ("Haider und der Osten") sowie der Österreich- und Südost-Korrespondent des Rheinischen Merkur, Peter Meier-Bergfeld ("Gegen Erziehungsdiktatur und Gesinnungspolizei"). Anschließend signierte Haider das von ihm und seiner Partei handelnde Buch – die Menschen standen Schlange vor dem Tisch. Ein zufällig anwesender Gast aus Deutschland wunderte sich, daß mitten in Wien so etwas ohne übertriebenen Polizeischutz und ohne jegliche Zwischenfälle möglich ist.

Auf den Stehplätzen sah man eine FPÖ-Bundesministerin und andere politische Prominenz. Die Stimmung war gelöst, fast heiter, Haider war bei sichtlich guter Laune – ein gelungener Abend, der auf seine Weise den Slogan bestätigte: "Wien ist anders".


 
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