© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Pankraz,
Gautama Buddha und die Wut der Taliban

Die Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan durch die wüsten Taliban-Herrscher ist ein Ärgernis und eine Monströsität, aber man darf auch den Satz riskieren, daß Buddha selbst dagegen wohl wenig einzuwenden gehabt hätte. Die Lehren dieses Gautama Siddharta waren jeder Verbildlichung abhold, schon sie als "Religion" zu bezeichnen, verfehlt den Sachverhalt. Der Buddhismus ist allenfalls eine Religion ohne Gott – und damit eigentlich eine Unreligion, eine Widerreligion. Es gibt nichts zu glauben in ihm, am ehesten könnte man ihn als eine "Haltung" bezeichnen, als eine kulturelle Attitüde.

Der Buddhismus ist die Anbetung des puren Nichts, die Überzeugung von der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit allen menschlichen Tuns. Die "Erleuchtung" ("Buddha" heißt "der Erleuchtete") des Gautama bestand in der Einsicht, daß im Grunde alles, ob Geist oder Materie, Nichts sei und alles, was scheinbar nicht Nichts sei, bloßes Leiden, und zwar überflüssiges Leiden. "Dharma", wie Buddha selbst sagte.

Alles, was "ist", lehrte er, leidet darunter, "daß" es ist. Es kann gar nicht schnell genug wieder im Nichts verschwinden, es hält es in keiner Form länger aus, es ist vergänglich in einer schon anstößigen Weise. Es hat nie und nimmer Zeit, mit irgendwelchen Zeitgenossen irgendeine Form von Gemeinsamkeit herzustellen, denn es gibt gar keine Zeit und folglich auch keine Geschichte und keine Tradition und keine heiligen Bücher und am wenigsten Götter, die in Statuen abgebildet oder auch nur symbolisiert werden könnten.

Man fragt sich, wieso eine Lehre mit so wenig Trost in ihren Konklusionen eine so machtvolle "Weltreligion" werden konnte, der die meisten "Gläubigen" auf Erden anhängen. Liegt es vielleicht just an der bloßen "Haltung" des Gautama Siddharta, diesem versunkenen Sitzen in der Lotusblüte, dieser Gelassenheit jenseits von jeglicher Angst und Aufgeregtheit, diesem völlig reinen Spiegel, in den man schauen kann, wenn man auf den Buddha schaut?

Buddha war angesichts von Not und Elend nicht gleichgültig, die nach der Gelassenheit größte von ihm gepredigte Tugend war das Mitleid, das gleichmäßig allen Menschen und jeder Kreatur galt und das er schneidend von der "Gerechtigkeit" abhob, die anderen Religionen so teuer ist. Buddha sah das unendliche Leid in der Welt und war traurig darüber und versprach Überwindung – genau das machte ihn wohl berühmt bei asiatischen Völkern und später auch im Abendland, bis hin zu Schopenhauer.

Die buddhistische "Haltung" verband sich völlig ungezwungen mit allen möglichen regionalen Göttergestalten und Volksreligionen, denen sie gewissermaßen ein weltanschauliches Dach lieferte, unter dem sich nicht nur rationalisierende Theologen und Philosophen bergen konnten. Sie hat dabei natürlich manches von ihrer ursprünglichen Nirwana-Geneigtheit verloren, es gab verschiedene, miteinander rivalisierende Buddha-Orthodoxien, ja, am Ende kam es gar zu Buddhas eigener Vergöttlichung.

Buddha wurde selber Gott, man studierte ihn nicht mehr nur, sondern betete ihn an, errichtete ihm Tempel, brachte ihm Opfer, zelebrierte ihm zu Ehren Rituale. Man glaubte an unzählige Inkarnationen von ihm, an unzählige "Boddhisatvas", denen man spezifische Statuen und sonstige Abbildungen widmete. Von keinem Gott sind so viele unterschiedliche Verbildlichungen bekannt wie von Buddha.

Es gibt dickbäuchige Boddhisatvas, die vor Wonnegefühl geradezu zu platzen scheinen und das breiteste Grinsen abstrahlen, das sich vorstellen läßt. Es gibt demgegenüber feine, schlanke Boddhisatvas mit ernstem, ganz nach innen gekehrtem Blick und kunstvoll verschränkten Händen. Es gibt androgyne, zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit schwankende Boddhisatvas, die Laute spielen und tanzen wie indische Tempeltänzerinnen. Es gibt grimmige japanische Buddhas, die unverkennbar Kriegsgötter sind, und es gibt Buddha-Reliquien, Zähne, Fußabdrücke, die gigantisch sind und auf originales Riesenformat weisen.

Aber genau dieses Bilderwesen lag dem ursprünglichen Gautama nach allem, was wir wissen, so unendlich fern, daß die jetzige talibanische Bilderstürmerei fast wie eine längst fällige Reinigung wirkt, wie eine Rückkehr zum wahren Buddhismus. Man muß ja auch sehen, daß die Proteste gegen die Zerstörung ein überwiegend geschmäcklerisches, kunsthändlerisches, sogar massentouristisches Interesse offenbaren, das weder mit Religion noch auch nur mit echter Nachdenklichkeit zu tun hat. Hinter der lauthals bekundeten Empörung versteckt sich existentielle Gleichgültigkeit.

Dennoch, bemerkenswert bleibt, daß man als erklärter Buddhist ohne weiteres noch einer anderen Religion angehören kann; kein buddhistischer Priester oder Schriftgelehrter wird etwas dagegen einwenden. Man stelle sich einmal vor, man wäre im Westen zugleich strenger Katholik und strenger Mohammedaner – eine absurde Vorstellung. In Verbindung mit dem Buddhismus aber ist dergleichen möglich und nicht im geringsten anstößig.

Obwohl sich der Buddhismus in allen Weltteilen ausbreitete und weiter ausbreitet, haben die Buddhisten, im Gegensatz zu Christen und Mohammedanern, nie missioniert. Dem Buddhismus fehlt alles Zelotenhafte, weder Hackebeil noch Scheiterhaufen folgen seiner Fährte nach, er ist wie Äther, der die Persönlichkeit durchdringt, ohne ihren Charakter und ihre Erscheinung zu beeinträchtigen.

Eben deshalb bleibt der Bildersturm der Taliban ausgerechnet gegen Buddha-Statuen eine barbarische Torheit und eine empörende Ruchlosigkeit, auch wenn seine Intentionen noch so sehr mit den ursprünglichen Lehren des Gautama Siddharta übereinstimmen mögen. Er beschädigt die edle Haltung, die gerade bei Buddha über jeder Lehre steht.


 
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