© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    11/01 09. März 2001

 
Ein Meer von Unsicherheit
Sicherheitspolitik: General a.D. Naumann hielt einen Vortrag vor der Münchner Burschenschaft Arminia-Rhenania
Philip Plickert

Der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, General a. D. Klaus Naumann, hat sich für die amerikanischen Pläne zum Aufbau eines "National Missile Defense" (NMD) ausgesprochen. Bei einem Vortragsabend auf dem Haus der Münchner Burschenschaft Arminia-Rhenania vergangene Woche sagte Naumann, die Regierungen der EU müßten erkennen, daß auf der Welt nur schwer berechenbare Raketenpotentiale existierten, die innerhalb von fünfzehn Minuten europäisches Territorium treffen könnten. Die Vorstellungen des US-Präsidenten Bush unterschieden sich insofern von denen Clintons, als Bush auch die europäischen Bündnispartner in die Raketenabwehr miteinbeziehen wolle. Dies sei eine gute Perspektive.

Die Befürchtungen Rußlands dagegen, die NMD oder auch die Nato-Osterweiterung richteten sich gegen seine Souveränität, hält Naumann für unbegründet. Präsident Putin nannte er einen Nationalisten, der die einstige Größe der Sowjetunion auch mit militärischen Drohgebärden wiedererlangen wolle. Es verwundere darum wenig, daß Balten und Osteuropäer in die Nato drängten. Die russische Kriegführung in Tschetschenien bezeichnete Naumann als schweren Verstoß gegen die Menschenrechte. Überlegungen zu einem Bündnis mit Rußland erteilte er eine klare Absage. Wörtlich sagte er: "Ich setze mich in kein Boot, das Löcher hat." Trotzdem bleibe Rußland Partner und nicht Gegner.

Naumann, der vor seiner Verwendung bei der Nato Generalinspekteur der Bundeswehr war, widersprach der Ansicht, nach dem Ende des Kalten Krieges gäbe es keine militärische Bedrohung für die westlichen Staaten mehr. Europa sei zwar eine "Insel des Friedens", liege jedoch "inmitten eines Meeres von Unsicherheit". Die leichte Verfügbarkeit von Massenvernichtungsmitteln bereite ihm Sorgen. Nicht atomare oder chemische, sondern biologische Waffen seien die große Gefahr: "Niemand weiß, wo das Zeug nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geblieben ist. Vor allem steckt das Wissen noch in den Köpfen der Entwickler." Allein der Irak verfüge über große Mengen an Milzbranderreger, welche die halbe deutsche Bevölkerung auslöschen könnten. Eine große Gefahr stelle in Zukunft die "asymmetrische Kriegführung" in Form von Terror- und Sabotageakten dar.

Die Bundeswehr wird sich nach Ansicht Naumanns immer mehr von einer Truppe zur Landes- und Bündnisverteidigung zu einer Interventionsarmee wandeln. Trotz dieses neuen Auftrages hält Naumann an der Wehrpflicht fest, da diese eine der wenigen Institutionen sei, die noch aktives Engagement der Bürger für ihren Staat bedeute. Harte Kritik übte Naumann an der finanziellen Unterversorgung der Bundeswehr. Die Soldaten müßten mit veraltetem Material arbeiten, was ihre Sicherheit im Einsatz gefährde. Deutschland bilde mit seinen Ausgaben für Militär und Rüstung das internationale Schlußlicht und könne sehr bald den Anschluß an die technologische Entwicklung verlieren. Dies sei auch ein Ergebnis der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung: Deutschland wandele sich immer mehr zu einer Spaßgesellschaft, welche den Bezug zur harten Wirklichkeit verliere.

Die Burschenschaft Arminia-Rhenania veranstaltet seit fast einem Jahrzehnt die Vortragsreihe "Treffpunkt Friedensengel" mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Nicht nur Studenten, sondern auch eine Gruppe junger Offiziersanwärter der Bundeswehr waren diesmal anwesend. An ihre Adresse gerichtet sagte Naumann, sie könnten "mit erhobenem Haupt" ihren Dienst in der Bundeswehr verrichten. Die Zeit, da man "aufrecht unter dem Teppich gehen" mußte, sei vorbei. Naumann wörtlich: "Ich bin stolz darauf, Deutscher zu sein, stolz auf die enorme Aufbauleistung meiner Landsleute und auf die stabile Demokratie." Es gebe auch deshalb wieder einen zunehmenden Rechtsradikalismus, weil bundesdeutsche Politiker das Thema "nationale Identität" lange Zeit vernachlässigt hätten. Die europäischen Partner erwarteten, daß Deutschland 55 Jahre nach den Krieg zu einem "normalen Selbstbewußtsein" finde. Innerhalb der EU und auch der Nato dürften die Deutschen nicht länger zögern, auch ihre eigenen "nationalen Interessen" zu formulieren.


 
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