© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001


Symbol der Verteidigung und des Sieges
Kroatien I: Hundertausende demonstrierten für ihren Kriegshelden General Mirko Norac
Carl Gustaf Ströhm

Es waren die größten Massendemonstrationen, die Kroatien seit langem erlebt hatte: In der Adriastadt Split versammelten sich über 150.000 Menschen, in der Hauptstadt Zagreb einige zehntausend, um für General Mirko Norac zu protestieren, der – offenbar auf Druck des Haager Kriegsverbrechertribunals – wegen angeblicher Kriegsverbrechen angeklagt werden soll.

Ihm wird vorgeworfen, an einem Massaker an serbischen Zivilisten bei der Verteidigung der Stadt Gospic im Unabhängigkeitskrieg von 1991 beteiligt gewesen oder zumindest dafür verantwortlich zu sein. Es geht um Taten, begangen während des "vaterländischen Krieges", der damals gegen die vordringenden, in Bewaffnung, Technik und Zahlenstärke weit überlegenen Serben geführt wurde. Der General, für den demonstriert wurde – heute 34 Jahre alt – war der jüngste Kommandeur des aus dem Boden gestampften kroatischen Heeres und galt als einer der tapfersten. In den einst hart umkämpften Gebieten Dalmatiens und der Lika gilt er als legendärer Nationalheld. Hätten Mirko Norac und seine Soldaten in Gospic nicht standgehalten, wäre den Serben der Durchbruch zur Adria gelungen. Kroatien wäre in zwei "Kessel" zerschnitten worden – und das hätte möglicherweise das Ende des kaum aus der Taufe gehobenen Staates bedeutet.

Der Fall des jungen Generals hat die seit Tudjmans Tod mühsam zugedeckte und vom Westen weitgehend nicht erkannte schwere innere Krise des kroatischen Staates aufbrechen lassen. Jetzt zeigt sich nämlich, daß die von starken "kryptokommunistischen" Kräften beherrschte Linksregierung, die nach dem Tode des Gründer-Präsidenten Tudjman die Macht übernahm, eine andere Vorstellung von Kroatien hat als die immer noch nationalgesinnte Mehrheit des Volkes. Der Sieg der Linken – übrigens nicht ohne tatkräftige, auch finanzielle Unterstützung durch den Westen – war deshalb gelungen, weil sie den von Krieg und Entbehrungen ermüdeten kroatischen Volksmassen Wohlstand, höhere Löhne, 200.000 neue Arbeitsplätze und den Anschluß nach EU-Europa versprachen. Heute, ein Jahr danach, ist so gut wie nichts davon verwirklicht. Die soziale Lage ist angespannt, statt neuer Arbeitsplätze gibt es zusätzliche Arbeitslose. Hinzu kommt, daß die neue Regierung unter Ministerpräsident Ivica Racan – schon um die dringend benötigten Kredite und Finanzhilfen zu erhalten – eine bedingungslose Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal zugesagt hat. Das aber heißt in der Praxis: Auslieferung aller kroatischen Generäle und Offiziere, die auf der "Haager Liste" stehen.

Hier aber setzt das große Mißverständnis ein. Für die große Mehrheit der Kroaten sind diese Generäle – Norac ist nur einer von ihnen – Retter des Vaterlandes und der Freiheit in höchster Not. Sie auszuliefern wird als schmachvoll und sogar verräterisch empfunden. Niemand wird den Krieg von 1990 bis 1995 als "klinisch reines" Unterfangen betrachten. Aber im Westen und im "antiseptischen" Haager Gerichtshof wird oft vergessen oder ignoriert, daß an diesem Krieg auch große Teile der serbischen Zivilbevölkerung aktiv beteiligt waren, die vorher von der Tito-Armee bewaffnet wurden. Es gab groteske Fälle, bei denen serbische Zivilisten – die mit ihren kroatischen (oder in Bosnien muslimischen) Nachbarn jahrzehntelang scheinbar normal zusammengelebt hatten – plötzlich aus Dachluken und Balkons das Feuer auf ihre Nachbarn eröffneten. Wer das nicht selbst erlebt hat, macht sich darüber keine Vorstellung – am wenigsten die Staatsanwälte und die Richter des Haager Tribunals.

Die meisten Kroaten sind empört, daß jetzt die Opfer der Aggression mit den Aggressoren auf die gleiche Stufe gestellt werden. Es gehe nicht an, sagte während der Demonstration in Split vor zwei Wochen ein kroatischer Offizier, "daß jedes serbische Weib, dessen Söhne bei den Tschetniks die Waffen gegen Kroatien erhoben, jetzt unsere Freiheitskämpfer unter Anklage setzen kann" (JF berichtete). Jetzt rächt sich, daß die heute regierenden Ex-Kommunisten – die sich jetzt als "Sozialdemokraten" (SDP) deklarieren – nach ihrem Machtantritt eine Politik des Revanchismus und der "großen Säuberung" betrieben haben, wobei die von Tudjmans installierten "nationalbewußten" Kader weitgehend durch Ex-Kommunisten ersetzt wurden, denen in manchen Fällen das alte Tito-Jugoslawien lieber ist als das neue selbständige Kroatien. Einer der wenigen nationalbewußten Politiker der regierenden SDP, der 63jährige Zdravko Tomac, gab neulich unumwunden zu, es sei unter dem neuen Zagreber Regime schwer, sich überhaupt als Kroate zu bekennen.

Der Schriftsteller Ivan Aralica – Autor eines vielbeachteten Buches über das Schicksal Hunderttausender seiner Landsleute, die 1945 von den Briten an Titos Partisanen ausgeliefert und in Todesmärschen durch das ganze damalige Jugoslawien getrieben wurden – sagte es noch drastischer: Die Sklaventreiber und Gefangenenbewacher der "Todesmärsche" fühlten sich seit den jüngsten Wahlen in Kroatien wieder als Sieger – während sich die Opfer von damals – "jene, die 1945 das Kreuz tragen mußten" – wieder als Verlierer fühlten.

Im Klartext heißt dies: Kroatien nähert sich einem potentiell bürgerkriegsähnlichen Zustand. Was der viel geschmähte Franjo Tudjman bis kurz vor seinem Tod zu verhindern suchte – daß einander nämlich Kommunisten und "Jugoslawisten" einerseits und Nationaldemokraten ("Separatisten") andererseits in offenbar Feindschaft gegenüberstehen, ist nach einem Jahr Linksregierung eingetreten. Der jetzige kroatische Staatspräsident Stipe Mesic (Mitglied der Kroatischen Volkspartei – HNS), verkündet plötzlich, er wäre stolz, daß sein Vater bei den Partisanen war. Mesic hat überdies Geheimdokumente aus dem Archiv seines Vorgängers Tudjman wahllos an Journalisten verteilt, was zu Protesten west-licher Botschafter führte.

Die gegenwärtig in Zagreb regierenden Linkspolitiker hoffen, daß sich die Proteste wegen der Generale und gegen die "Herabwürdigung" des vaterländischen Krieges totlaufen und die Entwicklung des Landes in jene allgemeine Konsum- und Massengesellschaft einmünden wird, in der Nationalität und Geschichte, Tradition und Stolz keine Rolle mehr spielen. Doch das aber ist keineswegs sicher.

Daher hat die Linksregierung inzwischen auch ihre Anhänger mobilisiert: Einige Tausend Menschen haben vergangenen Montag in der kroatischen Hauptstadt Zagreb gegen die "nationalistischen Proteste" und für "Demokratie und Frieden" demonstriert. Die Teilnehmer an der Kundgebung am im Zentrum gelegenen Jelacic-Platz schwenkten Transparente mit Aufschriften wie "Stopp dem Haß" oder "No pasaran", Pop- und Rockmusik erklang. Neben Regierungsanhängern waren vor allen "jugonostalgische" Veteranen und junge Leute engagiert, die aus binationalen Ehen stammen. Es handelte sich um die bisher größte Kundgebung zur Unterstützung der Regierung von Premier Racan und dem Kurs von Präsident Mesic. Aber auch an der Zagreber "Nationalisten"-Demonstration sollen Regierungskreise nicht ganz unbeteiligt gewesen sein: Die dort gefilmten jungen Männer, die ihren rechten Arm in die Kameras der Nachrichtenagenturen reckten, wirkten einfach zu arrangiert, um der Weltpresse von einer "faschistischen Gefahr" künden zu können. Trotzdem haben sich die Organisatoren in Split inzwischen von diesen Auftritten eindeutig distanziert.

Doch die nationale Opposition kündigte ungeachtet dessen für den 3. März weitere Proteste an. Der kroatische Nationalstolz ist eine über Jahrhunderte der Unterdrückung und Fremdherrschaft konstante Größe geblieben. Es wird dem Westen – wenn er sich auf eine Konfrontation mit den Kroaten einlassen sollte – nicht leicht fallen, diese Nuß zu knacken. Und selbst wenn er sie geknackt haben sollte, bleibt die Frage: Was dann? Kann sich Europa zwischen Adria und Donau eine Destabilisierung leisten? Und auf wen kann man sich in diesem Raum verlassen? Die mangelnde Kroatien-Politik der EU und des Westens könnte sich eines Tages bitter rächen.

Auszug aus der Verteidigungsrede des als Kriegsverbrecher beschuldigten kroatischen Generals Mirko Norac:

"Ich bin mit der Anklage gegen mich nicht vertraut und ich weiß auch nicht, wer der Urheber ist. Ich kann nur sagen, daß ich die Verteidigung von Gospic geleitet habe, einer Stadt, die Tag für Tag zerstört wurde und daß wir die bestialische Aggression der Tschetniks abwehrten, die vor nichts zurückschreckte und sich aller verfügbaren Mittel bediente.

Ich habe keinerlei Zivilisten getötet und so etwas auch niemals befohlen. Mit Zivilisten hatte ich überhaupt keinen Kontakt, ich beschäftigte mich ausschließlich mit der Strategie der Verteidigung. Das war ein täglicher Kampf, um Leben oder Tod. Wir hatten gar keine Zeit für Ausschreitungen. Vor und nach jeder Kampfhandlung bin ich in die Kirche gegangen. Ich bin jederzeit bereit, vor ein Gericht der Republik Kroatien zu treten, aber man möge mir eine Verteidigung in Würde und in Freiheit gestatten. Ich bin immerhin General des kroatischen Heeres. Ich bin mit 22 Jahren zur Verteidigung des Vaterlandes angetreten, ohne daraus ein Kalkül zu machen. Ich habe es nicht verdient, eingesperrt und in Handschellen vorgeführt zu werden. Ich bin nicht bereit, nach den Haag (zum internationalen Kriegsverbrechertribunal) zu kommen, denn dort bin ich bereits vorverurteilt.

Ich möchte eine Familie haben und friedlich und frei leben – so wie alle anderen Bürger dieses Landes. Ist es nicht eine Demütigung für den Staat selber, wenn er seine Generale in einen anderen Staat schickt, damit dort Fremde über sie zu Gericht sitzen?"


 
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