© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Brennpunkt Algier
Die geheimnisvolle Reise Joseph Fischers 1969 zu einem PLO-Kongreß und der Antisemitismus der Linken
Werner Olles

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Oder sich wenigstens daran erinnern, sollte man meinen. Denn welchem 21jährigen jungen Mann war es in den späten sechziger Jahren schon vergönnt eine Einladung der algerischen Regierung zu einer internationalen Konferenz zur Unterstützung des palästinensischen Volkes zu erhalten? Und in Algier in ein komfortables Hotel am Meer und zum Kongeß chauffiert zu werden, auf dem der Vorsitzende der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Yassir Arafat, sprach und bei dem die Teilnehmer der Abschlußkonferenz in einer "politischen Verlautbarung" ihrer Zuversicht Ausdruck gaben, "daß das palästinensische Volk den Endsieg (über Israel, d.V.) erringen wird".

Für Joseph Fischer scheinen solche Einladungen und Reisen selbstverständlich gewesen zu sein, sonst hätte er sich vielleicht daran erinnert, daß er in einem Spiegel-Interview vom 8. Januar 2001 auf die Frage, ob er sich um das Jahr 1970 in einem PLO-Lager in Jordanien aufgehalten habe, antwortete, er sei 1966 auf einer "völlig unpolitischen Tramptour im Nahen Osten" gewesen und erst in den neunziger Jahren als Außenminister wieder nach Israel und in die arabischen Länder gekommen.

Als sich Zeugen meldeten, die angaben, er habe im Dezember 1969 an besagter PLO-Solidaritätskonferenz in Algier teilgenommen, ließ der Außenminister im Bundestag durch seinen Staatsminister Volmer mitteilen, er sei zwar mit anderen SDS-Funktionären zu der Konferenz gereist, habe diese aber bereits nach einer Stunde verlassen, weil sie ihm zu "langweilig" gewesen sei. Der Abschlußerklärung des Kongresses habe Fischer nicht zugestimmt.

Dieser Darstellung hatte Inge Presser, ein Mitglied der SDS-Delegation, in einer dem Münchner TV-Magazin "Report" vorliegenden eidestattlichen Erklärung und im Spiegel widersprochen: "Fischer war, als die Resolution verlesen wurde, von Anfang bis Ende dabei." Man hätte sich auch mit den Zielen der Konferenz auseinandergesetzt, aber den vier männlichen deutschen Teilnehmern sei die Position der El-Fatah "nicht fortschrittlich genug" gewesen: "Sie hielten die Einschätzung der Lage durch die marxistischen Strömungen der PLO für adäquater." Volmers Behauptung im Bundestag, Fischer habe "auch früher als Privatmann nicht die geringste Tendenz gezeigt, das Existenzrecht Israels in Zweifel zu ziehen", konterte CSU-Chef Stoiber in der ARD mit der Bemerkung, wenn Fischer eine Beschlußfassung akzeptiert haben sollte, die das Existenzrecht Israels in Frage stellte, sei er als Außenminister "nicht mehr akzeptabel".

Am 15. Februar sprang Udo Knapp, 1969/70 im letzten Bundesvorstand des SDS und heute Leiter der Grundsatzabteilung im Bildungsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, seinem früheren Genossen und Parteifreund Fischer in einem halbseitigen Aufsatz in der FAZ zur Seite. Als einer der Teilnehmer an der Konferenz kann auch er sich "an keine Diskussion, an der wir als Gruppe beteiligt waren, erinnern". Den Auftritt Arafats fand man "eher lächerlich", sein Geschrei hätte "unangenehme Assoziationen an andere Figuren der Weltgeschichte, mit denen wir nicht sympathisiert haben, erzeugt". Das galt auch für den im Algier im Exil lebenden Black Panther-Führer Eldridge Cleaver, über dessen "rhythmisch christlichen Kampfgesang" man nur gestaunt habe. Aber auch mit ihm habe man "keinen Kontakt gehabt". Ein paar Wochen später fand dieser Kontakt plötzlich doch statt, als ein ehemaliger SDS-Vorsitzender und der Verfasser mit Cleaver in Algier telefonierten. Und auch mit Kathleen Cleaver, der zu dieser Zeit in Paris lebenden Ehefrau des Black-Panther-Führers, für die in der Bundesrepublik ein Einreiseverbot galt, bestanden solche Kontakte.

An Resolutionen kann Knapp sich nicht erinnern und Gespräche mit Palästinensern hätten nicht stattgefunden. Die Reden seien nicht übersetzt worden, was andere Teilnehmer bestreiten, es habe Simultan-Übersetzungen gegeben. Dafür erinnert er sich um so mehr an das "märchenhafte Hotel am Meer und an Minzetee, Safranreis und Knoblauchfleisch in den gekachelten Innenhöfen der Kasbah".

Mit seinem klassischen Rechtfertigungstext ohne jeden aufklärerischen Wert, der zur Wahrheitsfindung nichts beiträgt, will Udo Knapp weismachen, daß außer romantischem Revolutionstourismus nichts gewesen ist. Das kann man glauben, aber auch lassen, vor allem, wenn er zum Schluß behauptet, daß es während seiner Vorstandszeit "offizielle Gespräche des SDS mit der PLO nicht gegeben hat", und der "offen linke Antisemitismus" erst "nach 69 in den postkommunistischen Sekten" aufgetreten sei. An der Gründung einer dieser "postkommunistischen Sekten", der "Proletarischen Linken/Parteiinitiative" (PL/PI), war Knapp übrigens selbst beteiligt. Und daß es in seiner Vorstandszeit keine "offiziellen Gespräche mit der PLO" gegeben habe, ist auch kaum vorstellbar. Fünf Monate vor der Konferenz in Algier flog am 17. Juli 1969 vom Rhein-Main-Flughafen aus eine Gruppe von etwa zwanzig SDS-Funktionären aus Frankfurt, Aachen, Heidelberg und Hamburg in den Nahen Osten. Sie folgten einer Einladung der El Fatah Yassir Arafats und der "Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas" Nayef Hawathmes, beides Mitgliedsorganisationen der PLO, deren Vorsitzender wiederum Arafat war (und immer noch ist). Wenige Wochen zuvor hatte die Fatah versucht, den israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion zu ermorden und in verschiedenen Kinos in israelischen Städten mit Zeitzündern versehene Bombem deponiert. Die SDSler mit ihren "antiautoritären, antitotalitären und libertären Ideen" (O-Ton Udo Knapp) störte dies offenbar wenig, denn sie absolvierten teilweise uniformiert in diversen Guerilla-Ausbildungslagern der Fatah und der DFLP im Norden Jordaniens gemeinsam mit Mitgliedern der IRA Schießübungen und erholten sich anschließend von den ungewohnten Strapazen einer paramilitärischen Ausbildung in luxuriösen Hotels in Damaskus und Beirut. Im SDS-Info vom August 1969 deklarierte der Bundesvorstand die Aufenthalte in den Guerilla-Camps als "Informationsreise unter Geheimhaltungserfordernissen", während die Zeit ironisch von einem "Ferienlager bei El Fatah" schrieb.

Ebenfalls in der Zeit schrieb der Schriftsteller Jean Améry am 25. Juli unter dem Titel "Der ehrbare Antisemitismus", daß in der Neuen Linken die antiisraelische Haltung immer stärker werde. Es handele sich dabei jedoch um eine "Ummäntelung des Antisemitismus". Während dieser früher der "Sozialismus der dummen Kerls" gewesen sei, werde er nun zum "integrierenden Bestandteil des Sozialismus schlechthin". Amérys resignatives Resümee: "Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar!"

Ähnliches hatte auch schon Theodor Adorno wenige Tage zuvor in einem Brief an Herbert Marcuse festgestellt, in dem er den 68ern vorwarf, "in sich selbst Tendenzen auszubrüten, die ... mit dem Faschismus unmittelbar konvergieren". Er nehme die "Gefahr des Umschlags der Studentenbewegung in Faschismus viel schwerer" als Marcuse: "Nachdem man in Frankfurt den israelischen Botschafter niedergebrüllt hat, hilft die Versicherung, das sei nicht aus Antisemitismus geschehen ... nicht das mindeste. Du müßtest nur einmal in die manisch erstarrten Augen derer sehen, die, womöglich unter Berufung auf uns, ihre Wut gegen uns kehren." Und Anfang August 1969 in einem weiteren Brief an Marcuse über die Studentenbewegung: "Es ist ihr ein Quentchen Wahn beigemischt, dem das Totalitäre teleolgisch innewohnt."


 
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