© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    09/01 23. Februar 2001

 
Christian Ströbele
Schrulliger Reaktionär
von Christian Vollradt

Bisher konnte Hans-Christi-
an Ströbele dem Kesseltreiben gegen die vergangenheitsbelasteten Parteifreunde Fischer und Trittin etwas abseits stehend zuschauen – vielleicht sogar mit der berüchtigten "klammheimlichen Freude"? Denn Ströbele gilt im Gegensatz zu diesen als Bremsklotz der Grünen auf ihrem Weg zur Partei der Besser-Verbeamteten. Doch nun muß das Gründungsmitglied der Berliner Alternativen Liste (AL) seine einst bei der Flugabwehrtruppe der Luftwaffe erlernten Fähigkeiten gegen eine Presse ins Politische wandeln, die ihm mit Zeugnissen seiner Vergangenheit reichlich zusetzt.

Der 1998 zum zweiten Mal (1985 bereits als Nachrücker) in den Bundestag gewählte Ströbele offenbarte stets eine mäßige Kompatibilität zu den Gründungspostulaten seiner Partei: Er trat den Grünen nicht als Ökologe bei, auch Gewaltlosigkeit ist seine Sache nicht. In Partei und Fraktion gehörte er als "Gedienter" zu einer verschwindenen Minderheit. Der "Kanonier der Reserve" (eigene Angabe) forderte zu Beginn des Golf-Krieges 1991 öffentlich Bundeswehrsoldaten zur Desertion auf. 1939 in Halle/Saale geboren und im Westfälischen aufgewachsen, studierte Ströbele Jura; erst in Heidelberg, dann an der FU Berlin, dem Epizentrum des studentischen Protests. Seit 1969 wirkt er dort als Rechtsanwalt. Dem Konservativen des Berufsstandes setzte er das "Sozialistische Anwaltskollektiv" entgegen und trat – neben Schily und Mahler – als Verteidiger in Prozessen auf, die in seinen Augen Politisches, in denen der Justiz Kriminelles verhandeln. Während im Laufe der siebziger Jahre die Kommunarden ab- und die Kombattanten vortreten, wechselte der Jurist zwischen den Rollen des Verteidigers und des Angeklagten hin und her. Der Bundesgerichtshof verhängte 1982 eine zehnmonatige Haftstrafe gegen ihn (zur Bewährung auf zwei Jahre ausgesetzt), weil er, mit Kassibern für RAF-Häftlinge in Stammheim, der Fortführung des terroristischen Kampfes diente. Bereits 1974 hatte ihn die SPD wegen mangelnder Distanz zu seinen inhaftierten Mandanten ausgeschlossen. Daß ihm im polit-kriminellen Kampf die Stasi half, die außerdem die AL komplett unterwandert hatte, sollte nicht überraschen.

Ströbele verkörpert, äußerlich mit schlabberigen Wollpullovern, inhaltlich mit seinem Beharren auf dem, was er für urgrün hält, erst recht aber durch die Verbissenheit, mit der er als Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuß Helmut Kohl nachstellt, die ehemalige, westdeutsche Bundesrepublik – gewissermaßen reziprok zum rheinischen Altkanzler.

Im Gegensatz zu Trittin und Fischer scheint sich ihr nichtministrabler Rivale selbst treu geblieben zu sein, nur daß aus jugendbewegter Rebellion mittlerweile reaktionäre Schrulligkeit geworden ist. Das macht ihn vielleicht sogar sympathischer als die smarten Neugrünen. Damit das so bleibt, sollte er allerdings endlich aufhören, Moralapostel zu spielen!


 
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